Franziskus zu Atheisten: „Offener Dialog ohne Vorurteile“

Papst Franziskus hat sich am vergangenen Mittwoch mit einem offenen Brief an den Atheisten und Gründer der italienischen Tageszeitung La Repubblica, Eugenio Scalfari, indirekt aber an alle Atheisten gewandt.

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Scalfari hatte dem Papst einige direkte Fragen zum Glauben gestellt und der Papst ließ es sich nicht nehmen, darauf auch zu antworten. Ein Papst mit einem offenen Brief an Atheisten in einer Tageszeitung? Das ist überraschend, genau so wie seine Worte, die hoffentlich dem Verständnis zwischen Atheisten und Gläubigen, besonders Christen, dienen mögen.

Der Papst mahnt in dem Schreiben, das in Auszügen auf Domradio.de veröffentlichtwurde einen „offenen Dialog ohne Vorurteile“ an, impliziert damit mangelnde Dialogbereitschaft und Vorurteile auf beiden Seiten. Und gerade auf Seiten der Christen ist eine mangelnde Dialogbereitschaft mit Atheisten kein gangbarer Weg:

Dieser Dialog ist nicht nur ein nebensächliches Accessoire für das Leben eines Gläubigen, sondern ganz im Gegenteil sein unverzichtbarer Ausdruck!

Unverzichtbar? Aber kommen wir bislang in unserem christlichen Leben nicht auch ganz gut ohne aus? Was der Papst hier verdeutlicht ist das, was ich an anderer Stelle schon mal als den möglichen Schwerpunkt seines Pontifikats bezeichnet hab: die Evangelisierung! Der jetzige Papst ist sich mit seinem Vorgänger einig, dass der Zweck der Kirche in der Evangelisierung liegt. Wir haben als Gläubige von Christus den Auftrag zur Evangelisierung bekommen, es gibt ab dem Zeitpunkt, an dem wir diesen Auftrag ernst nehmen, kein bequemes christliches Leben mehr. Evangelisierung, so könnte man faustformelhaft sagen, beginnt dort, wo nicht (an Gott) geglaubt wird! Damit ist der Dialog mit Atheisten für einen Christen in der Tat essentiell – auch wenn er einem manchmal schwerfällt (da nehme ich mich gar nicht aus und weiß um meine Schwächen in diesem Bereich).

Das wird auch in den nachfolgenden Ausführungen des Papstes deutlich, in denen er darauf hinweist, dass der Glaube zwar „aus der Begegnung mit Christus“ erwächst, diese aber nicht ohne die Gläubigen, die Kirche, entsteht:

Für mich entsteht der Glaube aus der Begegnung mit Jesus. Einer persönlichen Begegnung, die mein Herz angerührt hat und meinem Leben eine Richtung und einen neuen Sinn gegeben hat. Aber gleichzeitig eine Begegnung, die möglich wurde durch die Gemeinschaft des Glaubens, in der ich lebe und die mir erlaubt hat, die Heilige Schrift zu verstehen; zum neuen Leben aus den Sakramenten Zugang zu haben; Zugang zu finden zur Brüderlichkeit mit allen und zum Dienst an den Armen, die das wahre Bild des Herrn sind. Glauben Sie mir: Ohne die Kirche hätte ich Jesus nicht begegnen können.

Das bezeichnet gleichzeitig auch die Schwierigkeit bei der Glaubensvermittlung. Es mag einige wenige Menschen geben, denn Gott in mystischer Weise direkt begegnet, in einer Art „Damaskuserlebnis“ (siehe Apostelgeschichte 9, 1-19) wie sie der Apostel Paulus hatte, aber der „normale“ Weg, mit Gott in Kontakt zu kommen, erfolgt über die Gläubigen. Das ist – eigentlich wenig überraschend, aber doch in seiner Direktheit erfrischend – auch bei einem Papst nicht anders. Damit er zum Glauben kommen konnte, damit er Jesus begegnen konnte, waren die Kirche, waren andere Gläubige notwendig. Ein Beispiel, dass uns Gläubigen eine Art „natürlich Demut“ eingeben sollte, falls wir uns unseres eigenen Glaubenslebens rühmen wollten.

„Was ist nun aber der Glauben?“ – Papst Franziskus versucht in seinem Schreiben, zunächst diese Frage definitorisch zu beantworten, natürlich aus christlicher Sicht, aber als Diskussionsgrundlage: Was glaubt ein Christ, was glaubt ein Katholik?

Der Christ glaubt, dass Jesus Sohn Gottes ist, gekommen, um sein Leben hinzugeben, damit allen der Weg der Liebe offenstehe. Sie haben darum Recht, verehrter Dr. Scalfari, wenn Sie in der Menschwerdung des Gottessohnes den Angelpunkt des christlichen Glaubens ausmachen. Diese Menschwerdung, also die Tatsache, dass der Sohn Gottes unsere Freuden und Schmerzen, Siege und Niederlagen bis zum letzten Schrei am Kreuz geteilt hat, belegt die unglaubliche Liebe, die Gott zu jedem Menschen hat, und den unermesslichen Wert, den er ihm beimisst. Darum ist jeder von uns aufgerufen, sich Jesu Blick und seine Wahl der Liebe zu eigen zu machen, seine Art zu sein, zu denken und zu handeln. Das ist der Glaube.

Deutlich wird dadurch, dass der Glaube nicht nur in den Gedanken besteht, die sich ein Gläubiger macht, sondern auch in seinem Handeln. Jesu Art zu sein, zu denken und zu handeln, das ist das, was wir als Gläubige erreichen wollen sollten. Bei einem einfachen „für wahr halten“ kann (!) der Glaube gar nicht stehen bleiben, wenn dies beinhaltet zu glauben, „dass der Sohn Gottes unsere Freuden und Schmerzen, Siege und Niederlagen bis zum letzten Schrei am Kreuz geteilt hat“. Wer das glaubt, der kann nicht einfach weiter machen, wie bisher, wer das glaubt, wird sein Leben ändern. Oder anders ausgedrückt: wer sein Leben nicht daran ausrichtet, hat diese Tatsache offenbar nicht verinnerlicht, glaubt nicht wirklich.

Im Folgenden antwortet der Papst auf einige Fragen Scalfaris, die ich gerne zur Lektüre empfehle, von denen ich aber nur zwei herausgreifen möchte, die ich für besonders wesentlich halte:

Haltung der Kirche gegenüber Nichtglaubenden

Sie fragen, welche Haltung die Kirche gegenüber den nicht an Jesus Glaubenden hat, und ob der Gott der Christen denen, die nicht glauben und sich auch nicht um den Glauben bemühen, verzeiht. Ich sage dazu, dass die Barmherzigkeit Gottes keine Grenzen hat, wenn sich jemand ehrlichen, zerknirschten Herzens an ihn wendet. Das ist fundamental. Bei der Frage der Nichtglaubenden geht es um das Hören auf das eigene Gewissen. Sünde ist auch beim Nichtglaubenden, wenn er gegen sein Gewissen handelt. Auf es zu hören und ihm zu gehorchen bedeutet, sich angesichts des für gut oder für böse Erkannten zu entscheiden. Und an dieser Entscheidung hängt Güte oder Schlechtigkeit unseres Handelns.

Das ist fast Sprengstoff, denn verkürzt dargestellt sagt der Papst hier, dass Gott denjenigen Nichtglaubenden verzeiht, die auf ihr Gewissen hören: „Güte oder Schlechtigkeit unseres Handelns hängt an der Entscheidung angesichts des für gut oder böse Erkannten“. Macht das dann nicht den Glauben überflüssig? Warum tue ich mir das eigentlich an, mich (ich sage direkt: vermeintlich!) einzuschränken in meinem Leben, die Gebote Gottes befolgen auch wenn sie mir nicht zusagen? Die Antwort ist aber leicht: Der Glaubende tut sich das an, weil er es als gut erkannt hat! Etwas hintersinnig könnte man formulieren: der Glaubende handelt nach dem Glauben weil er glaubt! Wer nun nicht glaubt, der erkennt die Güte der Gebote Gottes möglicherweise nicht, und bildet sein Gewissen an anderer Stelle aus. Als Gläubige glauben wir nun zweierlei: Erstens ist das Gewissen die Stimme Gottes in unserem Herzen, unabhängig davon, ob ich weiß, woher sie kommt. Und zweitens sucht jeder Mensch, bewusst oder unbewusst, nach Gott, weil ihm dies von Gott eingegeben ist. Der Nichtglaubende wird diese Prämissen ablehnen müssen, aber der Papst kann, weil er glaubt, so antworten. Es ist egal, ob ein Atheist meint, dass er Gott nicht suchen würde – solange wie er sein Gewissen zu erforschen versucht, ist er auf dieser Suche und folgt er dem als gut erkannten, dann kann er auf die grenzenlose Barmherzigkeit Gottes vertrauen. Für einen Atheisten mag das alles sehr theoretisch klingen, für einen Christen ist das aber fundamental, kann er doch so auf einen barmherzigen Gott auch für diejenigen Menschen vertrauen, die nicht an Gott glauben.

Die Frage der „absoluten Wahrheit“

Sie fragen mich auch, ob es ein Irrtum oder eine Sünde sei zu glauben, dass es keine absolute Wahrheit gebe. Ich würde zunächst auch für einen Glaubenden nicht von ,absoluter‘ Wahrheit sprechen – für den Christen ist die Wahrheit die Liebe Gottes zu uns in Jesus Christus, also eine Beziehung! Und jeder von uns geht von sich selbst aus, wenn er die Wahrheit aufnimmt und ausdrückt: von seiner Geschichte, Kultur, seiner Lage usw. Das heißt nicht, dass Wahrheit subjektiv oder veränderlich wäre, im Gegenteil. Aber sie gibt sich uns immer nur als Weg und als Leben. Hat nicht Jesus selbst gesagt: Ich bin der Weg, die Wahrheit, das Leben?

Leider wird dieser Abschnitt seitens einiger Medien (sogar auf „Radio Vatikan“) mit den Worten „Wahrheit ist nicht absolut“ überschrieben. Man meint, sie hätten einen anderen Text gelesen! Der Papst weiß natürlich darum, dass der Begriff der absoluten Wahrheit (in Glaubensfragen) für den Atheisten eine Provokation darstellen muss. Man sieht an Gott glaubende Menschen, die doch zu vielen Themen unterschiedliche Ansichten haben. Die Christen glauben anders als die Juden, anders als die Muslime – und Christen mit ihren unterschiedlichen Konfessionen und selbst unterschiedlichen Sichtweisen innerhalb der katholischen Kirche – wo kann es da eine absolute Wahrheit geben? Und genau das erläutert der Papst: es gibt eine absolute Wahrheit, Wahrheit ist nicht subjektiv und an der Einstellung oder dem Umfeld einer Person gebunden. Die Frage ist, ob man sie erkennt oder zu erkennen in der Lage ist. Aber die unterschiedlichen Persönlichkeiten und Umfelder lassen diese objektive Wahrheit in einem jeweils anderen Licht erscheinen. Die Vorder- und die Rückseite eines Hauses sehen ganz unterschiedlich aus, ein Haus bei Tag unterscheidet sich in der Ansicht von einem Haus bei Nacht, es bleibt aber objektiv das gleiche Haus. So löst sich der scheinbare Widerspruch auf, wenn der Papst „nicht von ‚absoluter’ Wahrheit“ sprechen möchte, aber gleichzeitig darauf hinweist, dass „Wahrheit nicht subjektiv oder veränderlich“ wäre. Aus christlicher Sicht ergibt sich die Wahrheit für den Gläubigen dann aus seiner Beziehung zu Christus in seinem persönlichen Lebensweg: Jesus als objektive Wahrheit – die Beziehung zu ihm als subjektive Wahrnehmung dieser Wahrheit.

Möglicherweise kann das, was der Papst schreibt, in der Tat eine „Einladung“ an Nichtglaubende sein, die sich um einen offenen Dialog ohne Vorurteile bemühen, wie es der Papst selbst auch tut. Ich gebe zu, mir selbst stünde auch ab und zu eine ein bisschen objektivere und weniger emotionale Sicht auf Positionen des Atheismus, vor allem in der Form eines gefühlt aggressiven Neoatheismus, gut zu Gesicht. So verstehe ich denn den Abschluss des Papstbriefes durchaus nicht nur als Aufruf an Herrn Scalfari oder an Atheisten sondern besonders als Aufruf an Christen und mich selbst:

Verehrter Dr. Scalfari, ich hoffe, Sie sehen in meiner provisorischen, aber ehrlichen Antwort eine Antwort auf Ihre Einladung, einen Teil des Weges gemeinsam zu gehen. Glauben Sie mir: So langsam, untreu und voller Irrtümern und Sünden die Menschen, die die Kirche bilden, auch waren und noch sind – die Kirche hat doch keinen anderen Sinn und kein anderes Ziel als das, Jesus zu leben und zu bezeugen.

In brüderlicher Nähe,

Franziskus

Beitrag erschien zuerst auf: papsttreuer.blog.de

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Christian

Was man noch hinzufügen könnte: Die Aussage "Es gibt keine absolute Wahrheit" ist selbst eine absolute Aussage und somit widersinnig.

Gravatar: Ice66

"Jesus als objektive Wahrheit – die Beziehung zu ihm als subjektive Wahrnehmung dieser Wahrheit."
"Angela Merkel ist die personifizierte objektive Wahrheit" ist ebenso wie "Jesus ist die personifizierte objektive Wahrheit" eine ideologische Aussage.

Hier geht es noch gar nicht darum, ob solche Aussagen wahr oder unwahr sind, sondern, ob sie nicht auf einem Kategorienfehler basieren. Das Gravitationsgesetz dagegen, scheint absolute Gültigkeit in unserem Universum zu haben, zumindest seit dem Urknall. Es ist objektiv gültig, weil wir es nicht außer Kraft setzen können.

Der Dialog mit Atheisten sollte nicht bei der Frage Gott oder kein Gott ansetzen, sondern bei der Pilatusfrage. Und bei der Frage, was "Absolut" bedeutet.

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