Felix Schaller: Der bionische Flügel

Vorbemerkung: Es ist immer wieder spannend zu sehen, was unsere Leser so treiben. Vor allem, wenn sie sich wie der Designer und Medieninformatiker Felix Schaller mit der Luftfahrt beschäftigen und sich mit einer Idee auch noch bei unserem Lieblings-Umweltpreis –den Greentec Awards – bewerben.

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Herr Schaller gehört zu den drei Nominierten in der Kategorie Luftfahrt, sein Vorhaben wird daher auf der Gala am 30.08. präsentiert. Ich sehe insbesondere in der Allgemeinen Luftfahrt einen Zukunftsmarkt, in dem Effizienzsteigerungen erhebliche Rebound-Effekte auslösen können – was den ökologistischen Verzichts-Predigern nicht gefallen sollte. Herr Schaller arbeitet an einer solchen Effizienztechnologie. Dies alles hat mich bewogen, ihn zu bitten, sein Projekt doch einmal bei uns vorzustellen. Für den folgenden Text und die zugehörigen Bilder zeichnet daher Felix Schaller als Autor verantwortlich. Gestandene Aerodynamiker werden möglicherweise skeptisch auf seine Ausführungen reagieren. Aber genau für das kritische Hinterfragen ist Science Skeptical gemacht. Ich freue mich daher auf eine angeregte Diskussion, die zum Erkenntnisgewinn für alle Seiten beiträgt. (Peter Heller)

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Der bionische Flügel

von Felix Schaller

Die Bezeichnung „Bionischer Flügel” steht für eine Technologie, welche es Strömungskörpern erlaubt, sich individuell an vorherrschende Strömungsbedingungen anzupassen. Die Technik ist aus der Natur inspiriert und an das Flugprinzip der Vögel angelehnt, welchen es nach wie vor spielend gelingt, sich wesentlich effizienter durch die Luft zu bewegen als jedes moderne Flugzeug. Demzufolge ist die Ergründung des Geheimnisses der Vogelflugtechnik auch bei der Weiterentwicklung der Luftfahrt von großer Relevanz. Die Fortbewegung durch die Luft wird immer wichtiger, doch mit dem Bedarf steigen auch die Umstände. Spritkosten, Lärm, Infrastruktur. Eine effizientere und schonendere Fortbewegung für Mensch und Umwelt bekommt daher immer mehr Bedeutung. Hier setzt nun die adaptive Flügeltechnologie an. So erlaubt diese Technik, dass sich das Profil eines Flügels je nach Fluglage entsprechend ausformt, ob im Langsamflug für die Landung oder auch im schnellen Reiseflug. In jeder Fluglage bekommt der Flügel eine individuelle Profilform. Selbst im Falle einer Strömungsablösung ist der Flügel in der Lage, dieses Verhalten gegenzuregeln und die Ablösung hinauszuzögern. Dazu kommt die Technik komplett ohne aktive Steuereinheiten aus und kann als ein passives Regelsystem angesehen werden.

Wesentliches Merkmal der international patentierten Technologie ist, dass die Oberfläche eines Strömungskörpers (wie in diesem Fall der Flügel) nicht starr und aus einem Stück ausgelegt ist, sondern sich aus vielen einzelnen Flächenelementen zusammensetzt. Diese liegen gestaffelt übereinander und bilden so einen geschlossenen Flächenverbund. Ähnlich einem Federkleid sind die Elemente mit einem Ende am tragenden Basiskörper befestigt, während die restlichen Enden frei aufeinanderliegen. Dadurch kann sich die Oberfläche bei Verformung frei von Querspannungen ausdehnen. Im Falle eines Strömungsabrisses können sich die einzelnen Elemente zusätzlich voneinander abheben. Die dabei Aufgestellten Elemente bilden eine Rückstrombarriere gegen den Strömungsumschlag. Dieser kann so daran gehindert werden in die Auftriebsrelevanten Unterdruckbereiche vorzudringen.

Schematische Konstruktion (links), dreidimensionale Anordnung (rechts)

Schematische Konstruktion (links), dreidimensionale Anordnung (rechts)

Adaptiver Strömungskörper

Hinter der optimalen Form von aerodynamischen Strömungskörpern steckt keine Magie. Deren reibungsarme Form ergibt sich aus der Lösung, dass das umströmende Medium möglichst gleichförmig um das Objekt geführt werden will. Ist dem nicht so, muss die Strömung die ungeeignete Topologie durch Wirbel ausgleichen. Turbulente Strömung absorbiert Energie. Der dabei induzierte Widerstand kann um einen Faktor 10 höher sein als beispielsweise die laminare Grenzschichtreibung.

Dennoch ist es so, dass die optimale Form des Strömungskörpers nur für eine sehr spezifische Bedingung ausgelegt wurde. Ändert sich aber die Anströmung an den Körper muss sich auch dessen Topologie verändern, um wieder der Strömung gleichförmige Druckgradienten anbieten zu können. Eine Starre Form kann das nicht. Demzufolge bietet sie nur für den ausgelegten Fall die erwünschte Lösung. Bei allen anderen Bedingungen stellt sich nach und nach eine teils abgelöste Schicht ein, was mit Widerstandserhöhung einhergeht. Allerdings muss man natürlich differenzieren: Selbst bei einer ebenen Platte stellt sich irgendwann eine Ablösung ein. Dies hat aber Ursachen, die nicht in der Topologie liegen sondern in der Grenzschichtreibung an sich. Wie soll man nun für jede Anströmbedingungen aktiv die Form ermitteln und definieren? Die Antwort auf die Frage mag nach einer enormen Herausforderung erscheinen. Bedeutet das nicht ein hoher Aufwand an Sensoren, Recheneinheiten und Aktoren? Wäre sicher eine Möglichkeit. Aber es geht auch einfacher.

Meine Idee ist eine Konstruktion ähnlich dem Gefieder von Vögeln: eine geschlossene Oberfläche, welche aus einzelnen Elementen zusammengesetzt ist. Diese Elemente schmiegen sich einerseits individuell an die Idealform und können sich andererseits so mechanisch unabhängig voneinander bewegen um eine Oberflächenausdehnung ohne Spannkräfte erzeugen.

Erste Versuche im Windkanal und an Modellflugzeugen zeigen, dass dadurch Auftrieb bei stärkerem Anstellwinkel oder niedrigeren Geschwindigkeiten ermöglicht wird. Zusätzlich liegt der Flügel wesentlich ruhiger in der Luft und fängt nicht an zu flattern, wie das bei einem konventionellen Profil der Fall ist, welches beispielsweise instationärer (turbulenter) Strömung ausgesetzt ist.

Ablösekontrolle durch Rückstromklappenfunktion

Zusätzlich enthält die Konstruktion die Funktion einer Rückstromkontrolle. Die Funktion der passiven Rückstromklappen ist so gesehen nicht ganz neu und wurde bereits Mitte der 90er vom Bionik Institut in Berlin entwickelt [1] [12]. Allerdings wartet sie bisher auf den bahnbrechenden Durchbruch. Man findet seither auch kaum mehr neue Publikationen im Netz welche darauf aufbauen und sich die Idee über die Anwendung einzelner Klappen die man auf eine starre Tragfläche anbringt nicht hinaus entwickeln [2]. Nachteile hat die derzeitige Anwendung hauptsächlich dabei, dass eine einzelne Klappe auf einer konventionellen Tragfläche deren Kontur an dieser Stelle ungünstig ausformt. Dies lässt sich nur dadurch vermeiden, in dem man diese Klappen durchlässig gestaltet und sie sich erst dann bei Wiederherstellen einer laminaren Strömung wieder an die Oberfläche anlegen möchten. Grund sind die Druckunterschiede innerhalb Druckgradienten auf dem Flügel, welcher an der Flügelnase einen größeren Unterdruck hat und so für Auswölbung hin zum Unterdruck sorgt. Besteht die Tragfläche jedoch aus lauter einzelnen „Klappen”,  wie in dieser Anwendung, fügt sich die Auswölbung in die der anderen ein, so dass die Kontur geschlossen bleibt und dadurch gleichzeitig eine adaptive Eigenschaft entwickelt. Erst in kritischen Situationen eines drohenden Strömungsabrisses bricht die Oberflächenkontur auf. Die Elemente versperren so Rückströmungen den Weg in die wichtigen Unterdruckbereiche.

Visuell werden die Effekte in dem folgenden Video verdeutlicht.

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Weitere Technische Möglichkeiten

Die Funktion würde sich dabei nicht auf die Flügel eines Flugzeuges beschränken. Wenngleich hier diese Effekte am stärksten zu tragen kommen ist die adaptive Eigenschaft für viele Anwendungen denkbar.

Der Einsatz an Rotorblättern würde Windanlagen robuster gegen Turbulenzen machen. So wären diese auch in Gebieten einsetzbar, wo die bisherige Umgebung einen effektiven Betrieb nicht zuließ.

Der Einsatz an Rotorblättern würde Windanlagen robuster gegen Turbulenzen machen. So wären diese auch in Gebieten einsetzbar, wo die bisherige Umgebung einen effektiven Betrieb nicht zuließ.

Auch ein Segel ist letztendlich ein Flügel, welcher den Vortrieb des Bootes erzeugt. Experimente mit starren, flügelähnlichen Segeln haben gezeigt, daß diese zwar einen höheren Wirkungsgrad haben, jedoch in ihrem Verhalten gegenüber Böen und Turbulenzen zu sensibel sind. Windkanaltest haben gezeigt: Die adaptive Eigenschaft macht derartige Segeltypen wieder kontrollierbar.

Auch ein Segel ist letztendlich ein Flügel, welcher den Vortrieb des Bootes erzeugt. Experimente mit starren, flügelähnlichen Segeln haben gezeigt, daß diese zwar einen höheren Wirkungsgrad haben, jedoch in ihrem Verhalten gegenüber Böen und Turbulenzen zu sensibel sind. Windkanaltest haben gezeigt: Die adaptive Eigenschaft macht derartige Segeltypen wieder kontrollierbar.

Bodenfahrzeuge können durch eine adaptive Karosserie-Verkleidung den cw-Wert weiter herabsetzen sowie Windgeräusche verringern

Bodenfahrzeuge können durch eine adaptive Karosserie-Verkleidung den cw-Wert weiter herabsetzen sowie Windgeräusche verringern

Letztendlich betrifft die Technologie jede Anwendung welche mit Strömung zu tun hat. Ob Wasser oder Luft, die Naturgesetze sind dieselben. Weitere Einsatzmöglichkeiten wären Schiffsrümpfe, Flugzeugrümpfe, Schiffschrauben, Turbinenschaufeln und vieles andere.

Hintergrund: Ursache der adaptiven Eigenschaft

Die folgenden Ausführungen sind für die Leser gedacht, die sich auch für die theoretischen Hintergründe meiner Entwicklung interessieren.

Um die Zusammenhänge besser zu verstehen, muss man sich Gedanken darüber machen, wie Auftrieb an einer Tragfläche zustande kommt. In der Tat ist dessen Ursache bis heute nicht vollständig geklärt [4]. Lange Zeit favorisierte man dieLauflängentheorie (engl. Equal Transit Theory) in der Aerodynamischen Lehre. Mittlerweile längst widerlegt, hält sie sich heute in vielen Literaturquellen noch sehr hartnäckig. Auch wenn sich klassische Tragflächenkonturen näherungsweise entweder mit Hilfe des Strömungsgesetzes von Bernoulli und der Prandtlschen Auftriebstheorie berechnen lassen (oder aber mit dem Kutta-Schukowski-Modell), gelten diese Berechnungen nur für sehr ideale Fälle und müssen mit anderen empirischen Formeln ergänzt werden je mehr sich die Tragfläche in die Strömung stellt und sich damit in den kritischen Bereich eines Strömungsabrisses bewegt. Zusätzlich gilt als Voraussetzung, dass die Strömung dabei stationär, sprich wirbelfrei, sein muss. Wird die Strömung jedoch instationär, also turbulent, gelten diese Modelle nicht mehr. Mann kommt dann um eine numerische Berechnung mit CFD nicht herum. Problem allerdings: Es gibt nach derzeitigem Stand keine analytische Lösungstheorie für die dabei eingesetzten nichtlinearen Differentialgleichungen wie die Navier-Stokes-Gleichung.

anliegende Strömung mit Impulsänderung

anliegende Strömung mit Impulsänderung

Dennoch wäre ein anderer Lösungsansatz möglich der hier Abhilfe schaffen könnte. Seit einigen Jahren wird nun auch die Idee verfolgt,  Auftrieb ausschließlich nach den mechanischen Gesetzen von Newton zu erklären [10] [11]. Prominente Vertreter dieser Auftriebstheorie sind Prof. Weltner von der Uni Fankfurt [7] [9] und die Autoren David Anderson und Scott Eberhard [3]. Alle Autoren kommen zu dem Schluss, daß der Auftrieb das Resultat einer Impulsänderung der Luft nach unten sein muss. Das Flugzeug schaufelt also permanent Luft nach unten wodurch sich als Gegenkraft der Auftrieb ergibt. Die Autoren begründen diese Fähigkeit anhand des Coanda-Effektes, welcher die Bezeichnung für ein spezielles Verhaltens von Fluiden ist. Nämlich, dass diese die Eigenschaft besitzen, einer konvex gekrümmten Oberfläche zu folgen.

Allerdings nur bis zu einem gewissen Grad. Ab einem bestimmten Punkt löst sie sich dann turbulent ab. Durch die turbulente Ablösung wird die Strömung wieder weg von der Oberfläche gedrückt anstatt der Krümmung zu folgen. Wodurch die Ablenkung der Luft wieder zunichte gemacht wird. Im vollständig abgelösten Fall der Strömung lösen sich die Impulsänderungen der Strömung von Ober und Unterseite einer Tragfläche auf.

abgelöste Strömung ohne Impulsänderung

abgelöste Strömung ohne Impulsänderung

Übrig bleibt lediglich Luftwiderstand. Das Flugzeug kann somit keinen Auftrieb mehr erzeugen und stürzt ab. Wann eine Strömung umschlägt stellt man heute meistens mit der Reynolds-Zahl fest. Eine empirische Kennzahl welche anhand von Dichte des Mediums, Größe des Objektes und der Geschwindigkeit einen Wert ergibt an dem festgestellt werden kann, wann das eintritt. Aber warum, das sagt uns die Gleichung mit der man diese Zahl errechnet leider nicht. Doch auch hierfür hat Newton eine Antwort parat.

Man möge sich folgendes Gedankenexperiment vorstellen Fluide existieren nur unter Druckbedingungen. Gäbe es keinen Druck würde sich jedes nicht feste Material im Raum maximal verflüchtigen. Das macht die Betrachtung sicherlich etwas schwieriger. Daher stelle man sich ein Fluid einmal als eine Art Partikelstrom vor ähnlich wie Sand – nur reibungsfrei. Würde dieser Sand nun auf die leicht angestellte Tragfläche treffen, würde er beim Aufprall von der Unterseite abgelenkt. Auf der Oberseite würde dieser aber weiterhin geradeaus fliegen ohne Impulsänderung. Als Gegenkraft zur Impulsänderung der Partikel von der Unterseite des Flügels entsteht ebenfalls ein Auftrieb. So in etwa versucht die Skipping-Stone Theorie Auftrieb zu erklären. Leider ist es nur so, dass die Oberseite etwa 2/3 der am Auftrieb beteiligten Kraft liefert. Wie entsteht also auf der oberen Tragflächenseite die Anhaftung und damit die Ablenkung der Partikel entlang der Krümmung nach unten? Wie bereits erwähnt: Fluide existieren nur unter Druckbedingungen. Entsteht wie bei unserem Sandmodell eine Lücke im Windschatten des Körpers würde dort ein Vakuum vorliegen. Bei Luft würde atmosphärischer Druck mangels Gegenkraft aus dem Vakuum deshalb diese wieder zurück an die Oberfläche beschleunigen wollen.

Allerdings verlangt die träge Luftmasse gemäß dem 2. newtonschen Axiom eine Gegenkraft zur Richtungsänderung. Diese benötigte Kraft zur Beschleunigung fehlt der Luft nun an dieser Stelle, was die Ursache für den Unterdruck ist. Der relative  Überdruck der Unterseite und der resultierende relative Unterdruck der Oberseite ergeben zusammen die resultierende Kraft für den Auftrieb. Manch einer mag nun einwenden, dass dies dem Strömungsgesetz von Bernoulli widersprechen würde. Das Strömungsgesetz, quasi der Energieerhaltungssatz der Strömungsdynamik, fordert hier ein Gleichgewicht von Druck zu Geschwindigkeit. Für die Modellierung von Auftrieb an konventionellen Tragflächen bei überwiegend stationärer Strömung mag diese Methode auch ausreichend sein. Für die modellierung an dynamischen Oberflächen sowie instationärer Strömung eignet sich die newtonsche Metode meiner Ansicht nach besser.

Strömungsabriss

Aus der Bernoulli Gleichung wurde die Potentialtheorie geboren. Ein Kraftfeld aus dem statischen Druckpotential sorgt hier für die Balance zwischen potentieller und kinetischer Energie. Allerdings kennt dieses Modell keinerlei Trägheit. Strömungswiderstand gibt es nach idealisierter Auffassung hier nicht, und auch keine Wirbel. Wird die Strömung  am realen Objekt instationär, ist das Potentialmodell nicht mehr anwendbar. Nicht so mit einem Newton-basiertem Modell. Hier können auch instationäre Zustände problemlos beschrieben werden, da es die Trägheit berücksichtigt. Das Ziel muss am Ende ein universelles Modell sein auf Basis mechanischer Gesetze.

Jedes mechanische System – so auch Fluide – strebt nach einem Kräftegleichgewicht. So möchte auch die Luft, welche auf der Oberseite entlang strömt, gerne in die Bereiche zurückströmen wo der Druck geringer ist, um diesen auszugleichen. Das kann sie aufgrund ihrer Trägheit jedoch nicht auf direktem Weg.

Denn bei der Umströmung eines Flügels wird die Luft aufgrund der hohen Geschwindigkeit und ihres trägen Verhaltens während des Fluges daran gehindert, die Druckunterschiede auszugleichen und stattdessen dazu gezwungen, der Oberfläche zu folgen. Dieses Unvermögen garantiert den Auftrieb. Es verhält sich ungefähr wie ein Motorrad-Fahrer in einer Kurve. Ist die Kurve lang und gestreckt, kann er sich in sie hinein legen. Wird die Kurve bei entsprechender Fahrtgeschwindigkeit jedoch zu steil, kann er ihr nicht mehr folgen und fliegt aus der Bahn. Der Unterschied zum Motorrad-Fahrer ist der, dass die Luft von der Oberfläche abgehoben wird und sich dazwischen eine Blase bildet, in der sich kleine Wirbel ansiedeln. Wenn analog zur Steilheit der Kurve sich die Krümmung der Oberfläche zu stark ändert, vergrößert sich auch die Blase. Irgendwann erreicht sie dabei einen Radius, so dass es der Luft gelingt auf diesem Umweg eine Wende in die Gegenrichtung anzustreben. Dorthin wo der Unterdruck anliegt – und kann diesen damit in einem Wirbel ablösen. Analog zum Motorradfahrer, der von der Straße in den Acker abkommt. Nun gelingt ihm auf dem Acker in entsprechendem Radius die Kehrtwende in die andere Richtung. Dass der Luft die Kehrtwende in diese Bereiche mit Kräfteungleichgewicht gelingt, ist also beim Flug zu vermeiden. Ein so gesehen sensibler Zustand der sich nur bei entsprechend hohen Geschwindigkeiten sowie geringer Ablenkung einstellt. Man kann zusammenfassend sagen: Ein Flugzeug reitet auf einem unvollständigen Wirbel. Der Flügel hindert ihn an seiner vollständigen Ausbildung. Kann er sich aber ausbilden, reißt die Strömung ab.

Passives Regelsystem

Es ergibt sich aus der Strömungsablenkung um den Körper unter Einhaltung der Massenkontinuität ein idealer  Strömungskörper. Dieser liegt virtuell im Raum und ergibt sich aus der Angriffsfläche des Objektes. Auf diesem Weg des idealen Strömungskörpers weist die Strömung gleichmäßige Druckgradienten auf. Sieht man von Grenzschichteffekten ab, wäre hierbei die Strömung wirbelfrei.

So ergibt sich aus der Nachbildung der Form am Ende ein Laminarprofil. Man versucht analog bei einem Laminarprofil die Grenzschicht so lang wie möglich laminar zu halten. Allerdings gilt das nur für spezielle Anstellungswinkel und Geschwindigkeiten. Denn die Form ergibt sich anhand der Massenträgheit aus diesen beiden Größen, sowie dem Ausgangszustand der Strömung vor dem Flügel. Die Konstruktion heutiger Flügel ist nach wie vor ein starres Profil. So gesehen erfüllt ein jegliches starres Profil die idealen Bedingungen auch nur statistisch gemittelt. Jedoch nicht für jede Strömungssituation individuell und nicht innerhalb Millisekunden. Auch ist die starre Form zusätzlich sehr sensibel für Strömungsabrisse.

Idealer (gestrichelt) und realer Strömungskörper - dazwischen bilden sich Wirbel zur Einhaltung des Kräftegleichgewichtes

Idealer (gestrichelt) und realer Strömungskörper – dazwischen bilden sich Wirbel zur Einhaltung des Kräftegleichgewichtes

Weil sich wie oben beschrieben die Strömung an gekrümmten Oberflächen anlegt und nicht nach Belieben umschlagen kann entsteht eine Gegenkraft zur Strömungsablenkung, die sich als Unterdruck äußert (Coanda-Effekt). Allerdings kann die Strömung nur Oberflächenänderungen mit gleichmäßigen Gradienten folgen. Ist diese nicht der Fall, gleichen Wirbel die ungeeignete Topologie aus. Gibt man nun aber der Oberfläche die Möglichkeit, dass sie dem Wunsch der Strömung passiv nachgibt, erhält man ein Regelsystem, das ohne aktive Steuerungslogik und Mikrocontroller auskommt. Je nachdem, welcher Weg um den Körper der Beste für die Strömung ist, um der Oberfläche folgen zu können, definiert sich dann auch die Form. Man erreicht eine gleichmäßige Ablenkung, die verhindert, dass die Luft versucht ist, allzu große Druckänderungen durch eine Ablösung ausgleichen zu wollen.

Zusätzlich ermöglicht diese Bauweise, dass man die Strömung  zur kontrollierten und lokal begrenzten Ablösung führen kann. Stärkere Strömungsablenkungen reißen die Elemente mit, so dass sie sich voneinander abspreizen. Hinter jedem Element bildet sich nun ein Wirbel. Dieser erzeugt eine Zone, über welcher die Strömung weiter abgelenkt werden kann, wie Untersuchungen im Windkanal zeigen. Gleichzeitig wird ihm aber der Rückweg versperrt, so dass er nicht in die Bereiche strömen kann, wo der auftriebsrelevante Unterdruck anliegt.

Mikroturbulenzen zur Minimierung der Grenzschichtreibung

Die Regel unter konventionellen Flugzeugbauern gilt auch noch heute: je glatter desto besser. Bei Konstruktionsvergleichen hat man festgestellt, dass Turbulent umströmte Profile teilweise doppelt so hohem Grenzschichtwiderstand ausgesetzt sind wie Laminarprofile [15]. Dennoch verwundert es vorerst aus dieser Erkenntnis heraus, dass kein Tier in der Natur ein Laminarprofil oder eine glatte Oberfläche hat. Paradoxerweise entwickelt jedes Tier eine andere Strategie, um genau den Zustand einer laminaren Grenzschicht zu umgehen. Mittlerweile wurden jedoch bereits in vielen Versuchen widerlegt, dass glatte Oberflächen den geringsten Grenzschichtwiderstand haben. Bei Haifischen fand man diese Tatsache als erstes heraus [16]. Seither wurden noch weitere Oberflächen von Tieren Untersucht, wie z.B. Delfinhaut [17]. Man kommt zu der Annahme, dass die Rillen (Riblets) die Querströmungen in Turbulenzen unterdrücken [16]. Ganz überzeugend ist die Theorie aber noch nicht.

Grund zum Zweifel gibt beispielsweise der Unterschied bei der Zunahme der Strömungsgeschwindigkeit innerhalb der Grenzschichten. Denn die mittlere Geschwindigkeit in Wandnähe innerhalb turbulenter Grenzschichten ist höher als bei laminarer. Ergo kann die Ursache von Reibung innerhalb turbulenter Grenzschicht nicht viskoser Natur sein. Entgegen der bisherigen Handhabung muss die turbulente Grenzschicht anders beurteilt werden. Momentan wird hier konkret bei den physikalischen Eigenschaften kein Unterschied gemacht. Dennoch findet in Turbulenz eine andere Physik statt. Während in laminarer Grenzschicht die Strömungsschichten aufeinander rutschen, rollen in der turbulenten Grenzschicht die Wirbel aufeinander ab [18], [19]. Man könnte dem physikalischen Unterschied ähnlich den Unterschied zwischen Gleitlager zu einem Kugellager vergleichen. Wenn also Turbulenz sich wie ein Kugellager verhält: Warum ist deren Widerstand dennoch höher?

Zusätzlich zum Richtungsimpuls wird bei der Entstehung von Turbulenz dieser in Rotationsimpuls umgewandelt. Dadurch entsteht ein induzierter Widerstand ähnlich dem Blindwiderstand in einer Elektromagnetischen Spule. So gesehen zerstreut sich der ursprüngliche Linearimpuls durch Diffusion in immer kleinere Wirbelpakete und schließlich in Wärme. Die in Rotation aufgenommene kinetische Energie fehlt nun in der gemittelten Strömungsgeschwindigkeit. Darum der höhere induzierte Widerstand.

Daraus lässt sich ableiten, dass Turbulenz per se nicht schlecht ist. In ihr herrschen nur andere physikalische Zusammenhänge, die für den Widerstand verantwortlich sind.

Auf glatten Oberflächen können sich Turbulenzen ungehindert verstärken. Da so gesehen der viskose Widerstand höher ist, ist es auch wiederum logisch, warum sich die Grenzschicht immer stärker in Tollmien-Schlichting-Wellen aufschaukelt, um schließlich in einem ersten Turbulenzumschlag zu brechen und daraufhin sehr schnell in kleinere Wirbel-Skalen zu zerfallen.

Wie kann man diesen Weg in eine unkontrollierte Verstärkung vermeiden? Indem man der Strömung weder die Möglichkeit gibt, große Wirbelpakete aus kleinen Wirbelkeimen zu bilden, noch in den laminaren Zustand zu geraten, um Spannungen aufzubauen. Technisch ließe sich das ähnlich dem Haifisch mit einer regelmäßig strukturierter Oberfläche erzeugen wie z.B. die Struktur eines Golfballs mit Dimples. So kann man der Strömung eine gleichmäßige Struktur vorgeben an die sie sich orientieren kann ohne sich unkontrolliert zu verstärken. Zusätzlich hat diese Lösung den Effekt, dass die Strömung länger an der Oberfläche haftet bevor sie sich ablöst.

Kleinskalige Strukturen ordnen die Turbulenz

Kleinskalige Strukturen ordnen die Turbulenz

Damit ließe sich nicht nur die Grenzschichtreibung minimieren, es würde auch die Grenzschicht beruhigen und strukturieren. So kann auch vermieden werden dass die einzelnen Oberflächenelemente unkontrolliert zu flattern anfangen. Zusammen mit der adaptiven Eigenschaft ergibt sich ein fraktal gestaffeltes System, dass sowohl auf mikroskopischer wie makroskopischer Ebene in der Frage effektiver Strömungskontrolle zusammenarbeitet.

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Quellen und weiterführende Literatur:

[1] „Aeroflexible Oberflächenklappen als “Rückstrombremsen” nach dem Vorbild der Deckfedern des Vogelflügels” Giannino Patone, Werner Müller, Technical Report TR-96-05, May 1996

[2] Publikationen der letzten Jahre bei “Google Scholar

[3] „Understanding Flight, Second Edition”, David W. Anderson, Scott Eberhardt McGraw Hill Professional, 2009 ISBN 0071626964, 9780071626965

[4] „Hier irrt die Schulweisheit” Die Zeit, 21/2001

[5] „Numerische Simulation der Beeinflussung instationärer Strömungsablösung durch frei bewegliche Rückstromklappen auf Tragflügeln“, Markus Schatz, 2003, TU Berlin. (

[6] „Misinterpretations of Bernoulli’s Law” by Klaus Weltner 2011, University of Frankfurt

[7] Mechanics of  flight, N. H. Fletcher (1975), Department of Physics, University of New England, Armidale, Australia (

[8] „Physics of Flight – reviewed” Klaus Weltner 2011, University of Frankfurt

[9] „Bernoulli and Newton and Fluid Mechanics” N.F. Smith (1972), The Physics Teacher, New York

[10] „Newton’s Laws, Pitched Wings, and ‘Lift’ ” 4Physics (2003),

[11] „Bionische Optimierung von Rückstromklappen

[12] Bernoulli vs. Newton Lift Theories

[13] „Flight without Bernoulli“, Chris Waltham 1998, Physics Department, University of British Columbia, ISSN 0031-921X

[14] „Laminar fliegen in Turbulenter Luft“, Gerhard Waibel 1999

[15] „Widerstandsverminderung in Natur und Technik” Wolfram Hage,  2006

[16] “Numerical simulation of laminar-turbulent transition on a dolphin using the γ-Re_θ model“, D. Riedeberger, U. Rist, in: W.E. Nagel, D. Kröner and M. Resch (Eds.): High Performance Computing in Science and Engineering ’11, Springer, Berlin, Heidelberg, 2012

[17] „Universal equations and constants of turbulent motion“, Helmut Z. Baumert, 2012, IAMARIS e.V.

[18] „Generalization of space-filling bearings to arbitrary loop size“, G Oron and H J Herrmann 2000 J. Phys. A: Math. Gen. 33 1417 doi:10.1088/0305-4470/33/7/310

[19] Cyberspace and The Quest for a Materialistic Epistemology of Liberation, Heinz Dietrich, Christian Kleinhuis, Felix Schaller, et al., Center of Transition Science, University of Mexico 2013, ISBN 3-932-210-12-9

[20] „Optimale Strukturen”, Felix Schaller, S.96, Modell-Aviator 6/2013 Printausgabe

[21] „von Bernoulli zur Fraktalen Wirbeltheorie“, Felix Schaller, 2012, Shaker Verlag, ISDN OND-00000-0000104

Beitrag erschien zuerst auf: science-skeptical.de

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