Familie: “Der erzieherische Pakt ist entzweit”

Die “tragende Säule” der Entwicklung der Gesellschaft, der Menschlichkeit, liegt aber in der Familie und kann nicht durch Experten und Erzieherinnen übernommen werden.

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„Ihr Kinder, gehorcht euren Eltern in allem[…]. Ihr Väter, schüchtert eure Kinder nicht ein, damit sie nicht mutlos werden“ (Kol 3,16.20-21) Auf Basis dieser Worte des Apostels Paulus hat Papst Franziskus gestern seine Mittwochskatechese zur Familie aufgebaut; der Schwerpunkt lag dabei deutlich auf dem der Erziehung der Kinder und den Schwierigkeiten, denen Eltern dazu heute gegenüber stehen. Dies vor allem in Situationen, in denen Eltern getrennt leben. Der Papst macht dabei auf einen wesentlichen Punkt aufmerksam, der selbstverständlich sein sollte, es im Falle der Trennung nicht ist, den man sich aber auch in einer ganz normalen Ehe immer vor Augen führen muss (Zitate hier wie im folgenden aus der Eigenübersetzung von Zenit):

Mutter und Vater müssen im Rahmen ihres Heranwachsens gut vom jeweils anderen Elternteil sprechen, auch wenn sie nicht zusammen leben. Vater und Mutter sollen gut voneinander sprechen. Für getrennte Eltern handelt es sich hierbei um einen sehr wichtigen und sehr schwierigen Aspekt, doch sie können dies bewältigen.

Mir erscheint, dass das auch wichtig ist für nicht getrennt lebende Eltern, die eigentlich eine gute Ehe führen. Wer kennt nicht die Situation, in der er sich mal über den Partner aufregt und sich innerlich “die passenden Worte” zurecht legt, die man aber so nie aussprechen würde, einfach weil man weiß, dass sie ungerecht wären? Murmelt man diese Worte aber in Anwesenheit der Kinder vor sich hin … woher sollen die dann wissen, was ernst gemeint ist und was nicht? Vielleicht ist das, die Gegenwart von Kindern, auch eine gute Übung gar nicht mehr schlecht über den anderen zu denken, geschweige denn zu sprechen?

Darüber hinaus stehen Eltern aber auch vor dem Problem, in vielen Fällen nicht mehr so genau zu wissen, wie das eigentlich geht, ein Kind zu erziehen. Was früher von Generation zu Generation weiter gegeben wurde – durchaus nicht immer nur Gutes, aber vieles davon an Erfahrungen eben doch – reißt heute ab und scheint ersetzt zu werden durch “Expertenrat”. Das aber – so der Papst – verunsichert die Eltern, die oft meinen, den Herausforderungen nicht mehr gewachsen zu sein:

Tatsächlich ist ein Bruch zwischen der Familie und der Gesellschaft, zwischen der Familie und der Schule, entstanden. Der erzieherische Pakt hat sich heute entzweit; dies führt zu einer Krise des Erziehungsbündnisses zwischen Gesellschaft und Familie, da es zu einem gegenseitigen Vertrauensverlust gekommen ist. Das macht sich durch viele Symptome bemerkbar. Beispielsweise ist die Beziehung zwischen den Eltern und den Lehrern in der Schule nicht mehr spannungsfrei. Zuweilen entstehen gegenseitige Spannungen und Misstrauen; naturgemäß bekommen die Kinder die Folgen davon zu spüren. Andererseits haben sich die sogenannten „Experten“ vervielfacht und auch in den intimsten Belangen der Erziehung die Rolle der Eltern eingenommen. Diese „Experten“ wissen alles über das Gefühlsleben, die Persönlichkeit, die Entwicklung, die Rechte und die Pflichten: Ziele, Motivationen, Techniken: Und die Eltern können nur zuhören und lernen, sich anzupassen. Ihrer Rolle beraubt, werden sie oft übermäßig besorgt und besitzergreifend ihren Kindern gegenüber, bis sie sie nicht mehr zurechtweisen: „Du kannst dein Kind nicht zurechtweisen“. Sie neigen dazu, ihre Kinder immer mehr den „Experten“ anzuvertrauen – selbst in den heikelsten und persönlichsten Belangen ihres Lebens – während sie sich selbst alleine in einen Winkel stellen. So laufen die Eltern heute Gefahr, sich aus dem Leben ihrer Kinder auszuschließen.

Der Papst spricht hier von der Gesellschaft und der Schule, es ist aber deutlich, dass dieser Effekt der “Experteneinbindung” in die Erziehung bereits im Kindergartenalter, bisweilen schon kurz nach der Geburt einsetzt. Viele Eltern haben heute kaum den Mut, die Erziehung ihrer Kinder in die eigene Hand zu nehmen: Verbaut man den Kindern damit nicht den Weg, ausreichende “Sozialkompetenzen” aufzubauen, enthält man ihnen möglicherweise “frühkindliche Bildung” vor? Meine Frau berichtete kürzlich von einer Veranstaltung zur Vorbereitung des Schuleintritts unseres Sohnes (4), in der die anwesende Schulleiterin darauf hinwies, dass “Sprachentwicklung in der Verantwortung der Kindergärten” läge. Was sie damit meinte war, dass Kinder, die in die Schule kommen, fließend sprechen können sollten (offenbar heute nicht mehr selbstverständlich). Deutlich wird damit aber auch, dass gesellschaftlich weithin anerkannt zu sein scheint, dass die Kinder die Sprache nicht mehr von den Eltern lernen. Für mich eine schockierende Erkenntnis (die vielleicht auch viel aussagt über die Ursachen, dass Betriebe heute vielfach keine Auszubildenden mehr finden, die sich sprachlich korrekt ausdrücken können).

Nun kann nicht jedes Elterpaar die Erziehung der Kinder so in die eigene Hand nehmen, wie das früher möglich war, manche wollen das vielleicht auch gar nicht. Dann stellt sich aber auch die Frage, wie man denn mit der Zeit umgeht, die nach einem langen Arbeitstag noch für die Kinder bleibt? Hierzu hat der Papst auch einige, wie ich finde sehr treffende Anmerkungen gemacht:

Vielmehr führt ein oberflächlicher „Dialogismus“ zu keiner wahren Begegnung von Geist und Herz. Fragen wir uns vielmehr: Versuchen wir zu verstehen, „wo“ die Kinder sich auf ihrem Weg wirklich befinden? Wo ist ihre Seele tatsächlich – wissen wir das? Und vor allem: Wollen wir es wissen? Sind wir überzeugt davon, dass sie in Wahrheit nichts anderes erwarten? […]

Die Grundlage von allem ist die Liebe, die Gott uns schenkt, und der es nicht an Respekt mangelt, die nicht ihre eigenen Interessen verfolgt, nicht zürnt, nicht das erlebte Übel berücksichtigt, … alles vergibt, alles glaubt, alles erhofft, alles erträgt (vgl. 1 Kor 13,5-6). Auch in den besten Familien muss man einander ertragen, bedarf es großer Geduld dazu! Doch so ist das Leben. Das Leben spielt sich nicht im Labor ab, sondern in der Wirklichkeit. Jesus selbst erlebte die Erfahrung der familiären Erziehung.

“Wo ist die Seele meines Kindes?” – eine Frage, die ich mir jedenfalls in dieser Form noch nicht gestellt habe. Natürlich richtet man sich an den Kapazitäten des Kindes aus, versucht zu berücksichtigen, was das Kind kann und was nicht. Aber wirklich auf seine Seele zu achten? Das ist mal ein guter Erziehungsvorsatz, der vermutlich viele – kleine und große – Fehler verhindern helfen wird.

Am Ende macht der Papst noch mal deutlich, wie wesentlich die Funktion guter Familien auch für die Gesellschaft sind:

Auf wie viele wunderbare Beispiele christlicher Eltern voller menschlicher Weisheit können wir blicken! Sie führen uns vor Augen, dass eine gute familiäre Erziehung die tragende Säule der Menschlichkeit ist. Deren Ausstrahlung auf die Gesellschaft ist eine Ressource, die den Ausgleich von Mängeln, Verletzungen, den Lücken der Vaterschaft und Mutterschaft ermöglicht, von denen benachteiligte Kinder betroffen sind. Diese Ausstrahlung kann wahre Wunder bewirken. In der Kirche kommt es jeden Tag zu Wundern!

Das bedeutet eben nicht, dass man sich nicht auch an gute “Experten” für Familie und Erziehung wenden kann (in diesem Zusammenhang haben meine Frau und ich bereits gute Erfahrungen mit Priestern gesammelt, die wiederum von ihren vielen Kontakten und Unterstützungen anderer Familien profitieren). Die “tragende Säule” der Entwicklung der Gesellschaft, der Menschlichkeit, liegt aber in der Familie und kann nicht durch Experten und Erzieherinnen übernommen werden.

Dieses Bewusstsein sollte Familien beflügeln, die Erziehung der Kinder tatsächlich wieder in die eigene Hand zu nehmen, nicht an Kita, Kindergarten, Spielgruppen, Schulen und Vereine auszulagern, sondernd diese höchstens als Ergänzung zu betrachten. Die Verantwortung für den oben bereits zitierten “entzweiten erzieherische Pakt” liegt schließlich nicht nur bei der Gesellschaft sondern auch bei den Eltern, die die Erziehung ihrer Kinder teilweise bereitwillig – getrieben aus der Sorge, nicht ausreichend “qualifiziert” zu sein – aus der Hand geben. Das Verhältnis zwischen Erziehern, Lehrern und Experten einerseits und Eltern andererseits kann so im Sinne der Kinder wieder normalisiert werden.

Die Familie ist heute in weiten Teilen ihrer natürlich Rolle im Leben der Kinder und auch der Eltern beraubt. Es wird Zeit, dies wieder zu korrigieren, und die Katechese des Papstes kann man durchaus als Weckruf in diese Richtung lesen.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst auf www.papsttreuerblog.de

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Kim

Das ist etwas anderes. Das Alltägliche zählt, und da sind die Abende relativ wertlos, weil die Kinder schon müde sind, die Erwachsenen ebenfalls - außerdem müssen noch die Haushaltsaufgaben erledigt werden. Füreinander bleibt da kaum mehr Kraft und Zeit.

Gravatar: Freigeist

Rechnen Sie mal, wie lange Kinder in Laufe eines Jahres bei den Eltern sind, trotz der Bildungseinrichtungen. Zählen Sie dazu: Abende, Wochenenden, Feiertage, Ferien etc..

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