Electric Music: Befreiung der Töne

Ein allgemeiner Blick auf die tanzenden Elektronen in Erinnerung an den grossen Gitarristen Jimi Hendrix: Abseits persönlicher Vorlieben auch ein Stück Freiheit

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Vor 40 Jahren starb Jimi Hendrix. Gestern jährte sich sein Tod, was zumehr als einer knappen Notiz im schnell wechselnden Reigen der Gedenktage Anlass geben sollte. Denn der Kern, der zentrale Aspekt seiner Musik weist auf eine wesentliche Erweiterung unserer Hörgewohnheiten,die wir oft gar nicht mehr bemerken.

In seiner kurzen Karriere hat er einige der bedeutendsten Aufnahmen der Rockmusik eingespielt (Are You Experienced, Axis: Bold As Love, Electric Ladyland, Band of Gypsys). Seine Erben haben mittlerweile seine musikalische Hinterlassenschaft, die posthum chaotisch herausgebracht wurde, geordnet und, ebenso wie die Originalalben, anhand der Originaltapes neu gemastered veröffentlicht (First Rays of the New Rising Sun, South Saturn Delta), sodass nun das Gesamtwerk in einer quasihistorisch‐kritischen Edition bei Experience Hendrix vorliegt.

Dennoch sind es meines Erachtens die Liveaufnahmen einiger Auftritte von Hendrix mit wechselnder Begleitung, die die einmalige Besonderheit dieses Gitarristen am besten aufzeigen, der wohl der erste war, der"bewusst elektroakustische Abläufe zu Elementen seiner Musik machte" (Tibor Kneif). Diese "ständigen Versuche mit den physikalischen Eigenschaften des Tones" machen klar, dass Hendrix, der so gut wie ohne formale musikalische Bildung war, die elektronische Revolution der populären Musik praktisch aus sich selbst heraus vollbrachte. Der Albumtitel "Electric Ladyland" war Programm.

In gewisser Hinsicht ist er dabei Verwandter und Antipode eines anderen musikalischen Revolutionärs, nämlich des deutschen Komponisten Karlheinz Stockhausen. Verwandter darum, weil sicher kaum ein anderer Komponist die elektronische Musik so in den Mittelpunkt seines Werkes gestellt hat wie Stockhausen. Er hat in den Fünfzigern an der Erfindung und Entwicklung dieser Musik entscheidend mitgewirkt und auch in seine akustischen Werke Entdeckungen aus der Elektronik einfließen lassen.Antipode darum, weil Stockhausen von einer strengen musikalisch‐theoretischen Basis aus zu seiner elektronischen Revolution gelangte, die natürlich weit über Effekte hinausging, sondern die Substanz dessen, was Musik überhaupt ausmacht, veränderte.

Während also Hendrix von der Existenz elektronischer Musik keine Ahnung gehabt haben dürfte, von einem ganz anderen Ausgangspunkt aber zu teilweise ähnlichen klanglichen Ergebnissen kam, zeigt dies, dass er verkörperte, was gleichsam in der Luft lag. Selten konnte von einem Musiker mit mehr Recht behauptet werden, dass er Medium einer notwendigen Entwicklung war. Sicherlich war er auch in seinem Musikbereich nicht gänzlich voraussetzungslos, aber die schiere Wucht seiner abgespaceten elektrischen Klangabenteuer ließen bei ihm die Herkunft aus anderen Welten zumindest ebenso möglich erscheinen wie bei Stockhausen, der vielleicht doch nicht aus dem Rheinland, sondern vom Sirius herkam. Dass Instrumente ganz anders klingen wie gewohnt,dass man überhaupt keine braucht, um Musik zu machen, ist uns heute selbstverständlich. Das entscheidend Neue an dieser immer noch unabsehbaren Entwicklung, die zur Digitalisierung der Musik, zu Techno,MIDI und 5.1‐Soundsystemen führte, war die Befreiung des Klangs von den begrenzten physischen Möglichkeiten des Menschen. Durch diese grenzenlose klangliche Weite der Elektronik kamen Assoziationen mit dem Weltraum erst begründet in die Vorstellung der Musiker und Hörer.

Sicher gelangen Hendrix bei einem durch Raubbau gekennzeichneten Lebensstil und einem verantwortungslosen Management nicht durchgehend gute Auftritte, aber in jeder seiner Live‐Improvisationen gibt es mal kürzere, mal längere Episoden, in denen er sich von allen Konventionen losreißt und folgender Geschichte aus den "Rock Dreams"von Guy Peellaert recht gibt: "Hinter der Bühne, zwischen zwei Auftritten,stand Hendrix an einen Feuerlöscher gelehnt und schien einer unendlich fernen Stimme zu lauschen, als sich ein Reporter im Plastikregenmantel und mit Toupee heranpirschte. >Ich bin von der New York Times<, sprach er. Hendrix öffnete seine Augen nur halb, verzog das Gesicht zu einem äußerst schwachen und äußerst müden Lächeln und murmelte: >Nett, Sie kennen zulernen. Ich bin vom Mars.<"

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Gravatar: Klimax

Hendrix' Todestag ist der 18. September. Warum das für den Autor gestern gewesen ist, erschließt sich nicht unmittelbar. Möglicherweise ist das ein alter Artikel.
Hendrix' Musik hat die Entwicklung des Blues zur Voraussetzzung, ohne die sie nicht sein könnte. Er steht darin wohl Robert Johnson näher als Stockhausen. Seine Beziehungen zur Sogenannten E-Musik laufen wohl eher über eine gewisse Hochachtung für Händel in dessen ehemaliger Londoner Nachbarschaft Hendrix in den späten 60ern länger logierte. Die Idee zur Nutzung eines Chembalos in Burning Of The Mindnight Lamb hat wohl hier ihren Ursprung.

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