Ein Land ohne Kinderlärm hat keine Zukunft

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Deutsche Gerichte müssen sich immer wieder mit Klagen gegen Kitas und Spielplatzbetreiber befassen. So lange sich aber die Akzeptanz für Kinder nicht wieder verbessert, können sich Politiker ihre Geldanreize für mehr Nachwuchs an den Hut stecken.

In Deutschland wird die sogenannte Familienpolitik mit dem erklärten Ziel gemacht, die Zahl der Neugeborenen spürbar zu erhöhen. Der weltweit fast einzigartig klägliche Wert von 1,2 Kindern durchschnittlich bei Frauen im gebärfähigen Alter schwebt wie ein Menetekel über jedem neuen finanzpolitischen Instrument, das Mann und Frau als Anreiz für eine fruchtbare Begegnung dienen soll. Ist ein Kind dann erst einmal geboren, sind seine Bedürfnisse nicht mehr so wichtig, denn dann setzen unmittelbar wirtschaftspolitische Erwägungen verbunden mit einem pervertierten Feminismusbegriff ein. Kurz: Sind Kleinkinder da, organisieren wir sie häufig gleich wieder weg.

Doch trotz all der Milliarden, die unser Staat bereits zum Zwecke der zunehmenden Vermehrung aufgewendet hat, muss man nüchtern feststellen: Gebracht hat es nichts, die Zahl der Neugeborenen in Deutschland ist unverändert jämmerlich. Dabei könnte man diesem Mysterium mit einem Blick ins Bundesimmissionsschutzgesetz auf die Spur kommen. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg wies am Mittwoch die Klage zweier Antragsteller gegen den Umbau einer kirchlichen Kindertagesstätte (Kita) in Stuttgart-Bad Cannstatt zurück. 80 Kinder bis zu sechs Jahren und acht Jugendliche sollen dort zukünftig tagsüber betreut werden, was Anwohner für eine unzumutbare Lärmbelästigung halten und klagten. Das Gericht urteilte nun, die Antragsteller hätten nicht ausreichend dargestellt, warum die Kita voraussichtlich gegen das Bundesimmissionsschutzgesetz verstoßen werde.

Das Kind quasi als Störfaktor für seine Umwelt. Wundert sich wirklich noch jemand, dass immer weniger Paare Kinder in die Welt setzen wollen, in diese real existierende deutsche Welt? Spielende Kinder werden von manchen Zeitgenossen als Belästigung wahrgenommen, sie laufen rum, sie kreischen sogar manchmal. Deutschland ist vermutlich das einzige Land weltweit mit Schildern auf Spielplätzen, auf denen Zeiten zum Spielen amtlich vorgeschrieben werden. Jedenfalls habe ich so etwas bisher nirgendwo anders gesehen. Man klagt gegen Kitas, gegen Klettergerüste und Sandkästen in privaten Vorgärten, gegen Sportplätze, auf denen Kinder toben. Bundesimmissionschutzgesetz! Frauen mit Kinderwagen an der Supermarktkasse oder im Bus stören. Familien mit Kindern werden von Vermietern reglementiert. Lasst uns in Ruhe mit euren Bälgern!

Ja, Kinder sind manchmal laut. Manchmal sind sie sogar frech. Wer wollte das bestreiten? Aber unsere Gesellschaft sollte sich klarmachen, dass Kinderlärm der Sound der Zukunft ist. Oder sie sollte auf eine Zukunft verzichten.

Beitrag erschien zuerst auf: rp-online.de

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Freigeist

Mich amüsiert eher, wenn Kinder toben und laut sind.

Gravatar: Crono

Ein sehr guter Kommentar. Danke.

Gravatar: Florian Just

Als Vater und in der Großstadt Berlin lebend ist meine Toleranz für Lärm relativ hoch. Noch dazu kommend, liegt mein Arbeitszimmer ca. 100m entfernt, genau in Hörrichtung zu einem Spielplatz in Größe eines Tennisplatzes. Und ja, der Lärm im Sommer erreicht auch mal Bereiche wo es dann schon grenzwertig ist, doch es sind halt Kinder und mir ist es allemal lieber draußen die Geräuschkullise von spielenden Kindern zu haben als die Stille von TV und Computer Kinder Zombies.

Aber stellen Sie sich auch vor, sie bauen sich in einer ruhigen Ecke ein Haus, weil Sie dem ständigen (und krankmachenden) Lärm entkommen wollen und alles geht gut, bis dann irgendjemand in der Stadtplanung der Meinung ist, das Nachbargrundstück sei doch ideal für eine neue Kita oder Schule.

Es gibt, wie bei vielen Dingen, eben nicht nur schwarz und weiß. Es gibt auch viel dazwischen. Auch von einem angemessenen Lärmpegel hängt Lebensqualität ab und wenn ich vielleicht auch noch den Bring- und Hol Lärm früh und spät mit einbeziehe, zeichnet sich da vielleicht auch nicht immer das Bild des kinderlosen Belästigungsopfers ab.

Ich habe jahrelang in der Innenstadt gelebt und wer einmal die Freuden von Touristenscharen und hupenden Nachtbussen über Jahre hinweg erlebt hat, den schockiert ein wenig Kinderlärm nicht mehr. Aber schön ist auch anders, wenn ab 6:00 Uhr die ersten Autos quitschend bremsen und Türen klappen, weil die lieben Kleinen ja irgendwie in die Kita kommen müssen. Auch das Argument vom Nutzen für Viele gegen die Interessen Weniger ist dabei eine hohle Phrase. Dann müssten aber viele, viele Dinge in diesem Land ganz anders laufen. Aber das ist ja nicht das Thema.

Es ist einfach jemanden zu verurteilen, wenn man selbst den akuten Bedarf hat. Früher stellten wir beispielsweise unseren Kinderwagen, trotz Verbotes, im Hausflur ab. Warum? Dritter Stock Altbau und die Kellertreppe war ca. 80cm breit. Und mit dem Argument, man könnte ja mal die zig verrosteten Fahrräder vom überdachten Abstellplatz entfernen, war die Vermietung nicht einverstanden, weil kostet ja Geld. Selbst mein Angebot, dass selbst zu machen, blieb ungehört. Ich liebe deutsche Amtsstubenmentalität und Engstirnigkeit.

Wenn ich heute einen Kinderwagen im Hausflur stehen sehe, dann regt mich das selbst nicht auf, aber man erlebt bei anderen negative Reaktionen, die das eben nicht nachvollziehen können oder wollen. Oder vielleich auch einfach nur der notorische, deutsche Nörgler sind.

Es mag nun auch für viele dramatisch sein, dass solche Dinge von Gerichten entschieden werden müssen. Halte ich oftmals auch nicht für notwendig, wenn man bspw. bei der Stadtplanung etwas mehr mit den Bürgern zusammen kommen würde. Das ersparte vielleicht auch einiges an Ärger und Gerichtskosten. Aber solche Gartenzwerg Geschichten sind ja beliebt und belasten die Ordnungsämter und Gerichte seit jeher. In unseren öffentlichen Ämtern, Behörden und Politikern spiegelt sich doch im Grunde auch nur unser innerstes Wesen wieder. Und es kommt auch keiner alleine auf die Idee Schilder mit Spielzeiten anzubringen. Solcherlei Obskuritäten im Schilderwalt entspringen in der Regel dem Zwang des Amtes den Schildbürger des entsprechenden Falles eine Lösung anzubieten.

Alles muss eben seine Ordnung haben und wenn der Amtsschimmel reitet, dann reitet er ohne weiter nachzufragen. Das ist eben das Recht des Einzelnen, seine persönlichen Interessen durchzusetzen. Im öffentlichen Leben ist das ja eine Selbstverständlichkeit, bspw. den Kassierer zur Sau zu machen, weil der Joghurt ja 29 Cent gekostet hat und nicht 27 Cent wie am Regal dran steht. Da könnt ich Geschichten erzählen... Aber so isser der tumbe Konsument. Gepaart mit deutscher Zucht und Ordnung brauchen wir uns über so manches in unserer Vergangenheit nicht wundern.

Was das monetäre angeht. Ehrlich gesagt, ich sehe und merke von all den Reformen und Investitionen relativ wenig. Solange der Bildungsetat nur einen Bruchteil vom Militäretat beträgt, brauchen wir uns auch über nichts wundern. Als einer von immer mehr werdenen Elternteilen bezahle ich für eine Schule in freier Trägerschaft, da die nächste Schule in der Umgebung leider eher für die Produktion vom "abgehängten Prekariat" steht. Ein trauriges Bild für eine westliche Nation. Aber egal wie man es benennt, die bildungsfernen Schichten nehmen immer weiter zu. Da kann auch ein "besserer" Pisa Test nichts dran drehen.

Kitaplätze halte ich im Übrigen für Grundversorgung, über die nicht erst jahrelang debattiert und abgestimmt werden muss. Und ansonsten gibt es noch Kindergeld. Eine schöne Sache, gleicht es doch die immer geringer werdenen Reallöhne derzeit noch halbwegs aus. Schön wäre aber auch würde es nicht bei ALGII Beziehern angerechnet, wenn Kinder schon mit einem geringeren Satz abgespeist werden. Weil Kinder ja auch so viel billiger in der Haltung sind...

Und was gibt es noch? Herdprämie und ja... offengestanden fällt mir nichts weiter ein. Und im Grunde brauchen wir doch auch keine weiteren Investitionen in Vermehrung. Wir sollten vielleicht lieber den kinderlosen Menschen, die über dem Existenzminimum leben klar machen, dass auch Sie Kinder in die Welt setzen sollten. Oder den ganzen Herrscharen unserer Eliteakademikern und Karrieristen, die alle andere Prioritäten habe als Kindern.

Ich weiß, es ist sicherlich nicht ganz politisch korrekt, aber solange sich einzig das "abgehängte Prekariat" in verhütungsfreier Kopulation übt, wird es auf Dauer auch nicht besser. Einzig dem Konsum kommt es zugute, immer mehr tumbe Massen zu haben, die nicht nachdenken sondern nur noch kaufen, kaufen, kaufen... Ein schöner Film, der die Problematik auch recht humorvoll verdeutlicht ist Idiocracy von Mike Judge.

Gravatar: Anne

Das wird in Zukunft eher noch schlimmer werden, da immer weniger Kinder und immer mehr Alte, die nie Kinder hatten. Und die ertragen Kinderlärm bekanntlich am allerwenigsten.
Der Staat kann so viele Milliarden bereitstellen wie er will, solange die Einstellung der Menschen in diesem Land sich nicht ändert wird sich die jämmerliche Geburtenrate nicht ändern.
Mit Politik hat das erst mal gar nichts zu tun, wie man sieht...

Gravatar: Karin Weber

Das Problem ist vielleicht genau deshalb so, weil wir eine sogenannte Familienpolitik haben. Wenn man alles was damit vermeintlich in Verbindung steht sofort kappt, der Staat seine Pfoten aus den Familien herausnimmt und überhaupt erst einmal wieder Familien entstehen lässt!!! , dann wird sich hier vielleicht wieder was ändern.

Viele Frauen beklagen sie u. a.. dass sie die Kinderbetreuung alleine zu realisieren haben. Ja warum ist das so? Weil deutsche Familiengericht Frauen zu über 90% die Alltagssorge für die ehemals gemeinsamen Kinder auf´s Auge drücken. Ja, man muss das knallhart so sagen: Die Familienrechtsjustiz spielt eine ganz üble Rolle!

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