Ein lädierter Gerichtshof, mehrere lädierte Parteien und die Suche nach einem besseren Wahlrecht

Das Unbehagen über die Wiederholung der Bundespräsidentenwahl ist auch Wochen danach nicht kleiner geworden, sondern wächst weiter.

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Offen bleibt freilich, ob man auch in FPÖ und Verfassungsgerichtshof zur Einsicht gekommen ist, dass man sich da selbst beschädigt und höchstens einen Pyrrhus-Sieg errungen hat. Ebenso offen bleibt, ob wenigstens die versprochene Wahlrechtsänderung das Unbehagen reduzieren wird, also ob die Chance genutzt wird, die Demokratie über reine Kosmetik hinaus substanziell nach vorne zu entwickeln.

Zuerst zu den Regierungsparteien. Die haben nicht einmal einen Pyrrhus-Sieg, sondern nur eine krachende Demütigung errungen. Daran ändert auch die skurrile Anstrengung der rot-schwarzen Spin-Doctoren nichts, die das VfGH-Urteil als „Sieg der Demokratie“ verkaufen.

Was soll denn das bitte für ein Sieg sein, wenn die Regierung vom Verfassungsgericht vorgeworfen bekommt, nicht einmal Wahlen korrekt durchführen zu können? Das „Sieg“-Geheul der Regierung ist umso absurder, als die Regierungsvertreter im VfGH-Verfahren ja noch gegen eine Aufhebung der Wahl argumentiert haben. Wenn der Ausgang des Verfahrens ein Sieg der Demokratie gewesen sein soll, dann hieße das ja, dass die Regierung gegen die Demokratie argumentiert hat.

Aber offenbar versucht die Regierung, sich mit solchen Phrasen eine Gewissenserforschung zu ersparen. Dabei ist es ganz eindeutig, dass die Regierung schwer ihre Aufsichtspflicht vernachlässigt hat, im konkreten das für Wahlen zuständige Innenministerium.

Tragen Beamte keine Verantwortung?

Da dort der Minister gerade zum Zeitpunkt der Wahl gewechselt worden ist, ist der neue zu seinem Glück relativ schwer persönlich haftbar zu machen. Umso mehr Schuld fällt auf den seit Jahrzehnten unter vielen Ministern stets für die Durchführung von Wahlen verantwortlichen Abteilungsleiter Robert Stein.

Ganz eindeutig finden Wahlen in Österreich schon seit Jahrzehnten nicht so statt, wie es im Gesetz steht. Ganz eindeutig werden seit Jahrzehnten von den einzelnen Wahlbehörden Protokolle über den Ablauf des Wahlprocederes verfasst, die mit der Realität nichts zu tun haben. Aus Bequemlichkeit, weil das Gesetz Unmögliches vorschreibt, aus Schlamperei, weil man effizienter und zeitsparender genauso korrekt vorzugehen meint, als das Gesetz vorsieht.

Aber der zuständige Spitzenbeamte will da nie etwas davon erfahren haben! Er hat sich also nie darum gekümmert, was da flächendeckend in seinem Verantwortungsbereich abläuft. Er hat nie ausreichenden Kontakt mit den Wahlbehörden aufgenommen. Er hat nie Stichproben und Kontrollen gemacht, was denn da in Sprengeln, Bezirken und Ländern wirklich läuft. Er hat auch bei Gesetzesnovellen nie recherchiert, wie die Realität aussieht, damit er eventuell ein praktikableres Gesetz vorschlagen kann.

Nichts dergleichen hat der Mann gemacht. Und dennoch wird er nicht suspendiert. Er amtiert ungehindert weiter. Das ist ein wirklich abschreckendes Exempel der österreichischen Bürokratie. Nichts sehen, nichts hören, nichts tun – dann kann einem offenbar nichts geschehen.

Tragen Beamte wirklich keine Verantwortung, zu denkenden Wesen zu werden? Dann brauchen wir sie auch nicht so hoch zu bezahlen. Oder müssen sie nur hoch genug sitzen und die richtige Parteifarbe (in diesem Fall: rot) zu haben, damit ihnen nichts passiert?

VfGH drückt sich um die heiklen Fragen

Der Verfassungsgerichtshof wiederum muss sich auch nach Vorlage des schriftlichen Urteils vorwerfen lassen, keine überzeugenden Gründe für die Notwendigkeit einer Wahlwiederholung dargelegt zu haben. Das im Gegensatz zum Gesetzeswortlaut zu frühe Auszählen von Wahlkarten oder das zu frühe Öffnen der Wahlkuverts oder das (nirgendwo geregelt gewesene!) frühe Bekanntwerden von regionalen Teilergebnissen können nur in jenen Ohren Verfehlungen sein, die das Wiehern des Amtsschimmels für das wichtigste Geräusch der Republik halten.

Wenn dem Gerichtshof – wie sein Präsident offen verkündet hat! – seine eigene (langjährige) Judikatur wichtiger ist als der Wortlaut von Verfassungsbestimmungen, dann haben wir aber auch grundsätzlich ein gewaltiges Rechtsstaatsproblem. Denn dann setzt sich ja Richterrecht über Gesetzes- und Verfassungsrecht.

Der Gesetzeswortlaut verlangt nämlich eindeutig als Voraussetzung einer Wahlanfechtung, dass Unkorrektheiten auch Auswirkung auf das Wahlergebnis gehabt haben müssen. Und nicht, dass sie rein theoretisch, wenn auch ohne irgendeinen Beweis und wider jede statistische oder sonstige Vernunft von Auswirkung gewesen sein könnten.

Der Gerichtshof hat damit der Beamtenschaft – fast müsste man heute sagen: nach Erdogan-Art – überdies noch kollektiv etwas ganz Übles unterstellt, freilich ohne es so auszusprechen. Aber der Logik des VfGH zufolge hätten zahlreiche österreichische Beamte quer durchs Land in verschwörerischem Gleichschritt zehntausendfach Schindluder mit Stimmzetteln getrieben.

In diesem Gerichtshof dominiert derzeit eine üble kasuistische i-Tüpferl-Reiterei. Das kann man inzwischen etwa auch an dem 13 Jahre(!) nach Gründung erfolgten Schließungsbefehl des VfGH für ein steirisches Einkaufszentrum sehen. Fiat iustitia et pereat mundus.

Der Verfassungsgerichtshof hat sich mit diesem rein formaljuristisch begründeten Aufhebungsbeschluss freilich insgeheim noch etwas ganz anderes ersparen wollen: nämlich den wirklichen Sauereien nachzugehen. Die sind jedoch viel wichtiger, von viel grundsätzlicherer Bedeutung, aber auch für die Mehrheit der SPÖ-Richter viel unangenehmer als Uhrzeiten-Formalismen.

  • Bei den wirklichen Sauereien geht es erstens um die vielen Einseitigkeiten und Unwahrheiten, um die ständige Stimmungsmache im eigentlich zur Objektivität verpflichteten öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Diese waren durchwegs gegen den freiheitlichen Kandidaten gerichtet (bei Parlamentswahlen auch gegen die ÖVP und das Team Stronach). Dieses Verhalten hat zumindest nach den zunehmend strenger werdenden internationalen Maßstäben, mit denen die Außenwelt auch schon Drittwelt-Wahlen bewertet, längst den Charakter einer korrekten Wahl unterminiert.
  • Das sind zweitens die vielen Unkorrektheiten im Umgang mit Wahlkarten lange VOR der Auszählung. Diese passieren regelmäßig in vielen öffentlichen Pflege- und Altersheimen und in Moscheenvereinen. Dort werden Wahlkarten massenweise von der Obrigkeit kollektiv bestellt, ausgefüllt oder kontrolliert. Und auch das hat zweifellos in den meisten Fällen dem freiheitlichen Kandidaten geschadet, das hat früher vor allem der ÖVP geschadet.

Aber das Höchstgericht hat wieder einmal das leider für Richter sehr typische Verhalten gezeigt: Bevor man die wirklich heiklen und grundsätzlichen Probleme angreift, verbeißt man sich lieber in irgendeinen Formalismus, etwa die falsche Uhrzeit der Wahlkuvert-Öffnung.

FPÖ bringt eigene Mitarbeiter vor Gericht

Daran hat freilich auch die Wahlanfechtung durch die FPÖ gehörig mitschuld. Sie hat sich ganz auf die Formalismen konzentriert, statt auf das wirklich Demokratiegefährdende.

Damit aber sind die zwei skizzierten Sauereien jetzt wohl auf Jahre abgesichert. Denn eine nochmalige Wahlanfechtung und -wiederholung ist sehr unwahrscheinlich (auch wenn es eine ungeheuerliche Zumutung ist, dass die Grünen jetzt von der FPÖ verlangen, generell auf eine neuerliche Anfechtung zu verzichten).

Die für die FPÖ arbeitenden Juristen haben aber der eigenen Partei auch noch einen weiteren Schaden angetan. Jetzt werden freiheitliche Wahlbeisitzer reihenweise vor Gericht erscheinen müssen und wohl verurteilt werden, weil sie ja völlig Widersprüchliches unterschrieben beziehungsweise ausgesagt haben. Einmal bestätigten sie, dass in ihrer Wahlbehörde alles in Ordnung und wie vorgeschrieben abgelaufen sei; ein paar Tage später bezeugten sie jedoch, dass das keineswegs so gewesen sei.

Auch einfache Funktionäre sollten eigentlich begreifen, dass da zumindest eine Erklärung grob rechtswidrig gewesen sein musste. Wenn man (etwa im Vertrauen auf die Korrektheit von Beamten) etwas nicht ganz Richtiges unterschreibt, dann sollte man schon aus Klugheit nachher wenigstens nicht das Gegenteil sagen. Das ist grenzenlos dumm – egal, mit welchen Schmähs oder Druckmitteln die freiheitlichen Rechtsanwälte die einzelnen Wahlbeisitzer und Zeugen bearbeitet haben.

Die FPÖ wird daher mitschuld sein, wenn im Herbst eigene Mitarbeiter vor Gericht kommen. Was noch keiner Partei genützt hat.

Sie wird darüber hinaus auch massive Probleme haben, künftig überhaupt Menschen zu bewegen, als Wahlbeisitzer zur Verfügung zu stehen. Das ist ja jetzt schon für die FPÖ nicht einfach gewesen. Denn ihre deklarierten Mitarbeiter sind keineswegs parallel zur Zahl der Wähler gestiegen...

Die Lehren für eine Wahlrechtsreform

Was aber sollte nun auf Grund all dieser Lehren und aller Erfahrungen mit der Entwicklung der Demokratie in einem neuen Wahlrecht stehen (das ja nach der Wiederholung kommen soll)? Wie könnte, wie sollte Demokratie in Österreich besser funktionieren?

  1. Das von fast allen gewollte zentrale Wählerregister ist sinnvoll und hätte längst kommen sollen. Es wird hoffentlich nicht wieder wie schon viele sinnvolle und kostensparende Maßnahmen durch die professionellen Bedenkenträger vulgo Datenschützer sabotiert werden. Es wird hoffentlich auch nicht wieder aus reiner Parteitaktik verhindert werden.
  2. Mit diesem Register sollten aber auch gleich alle Tricks unterbunden werden, mit denen sich Menschen mehrfach als wahlberechtigt registrieren lassen, wie es etwa zuletzt in Niederösterreich aufgeflogen ist.
  3. Ganz streng sollte verhindert werden, dass eine andere Person als die Wahlberechtigten die Wahlkarten beantragen, entgegennehmen, zu Gesicht bekommen oder gar ausfüllen kann.
  4. In jenen Fällen, wo ein Wahlberechtigter durch ein körperliches Gebrechen dazu nicht imstande ist, darf nur ein Ehepartner, Nachfahre oder Sachwalter diese Schritte für ihn vornehmen, keinesfalls Bedienstete eines Pflegeheims oder Mitarbeiter irgendeiner Organisation.
  5. Aber auch die nahen Angehörigen dürfen das nur dann tun, wenn der Wahlberechtigte eindeutig imstande ist, ihnen klar (und vertraulich) zu kommunizieren, wen er denn wählen will. Im Zweifel ist auch durch Zeugen festzuhalten, dass ein Schwerkranker dazu noch imstande ist. Sonst kann er halt leider nicht mehr wählen. Und insbesondere ist jeder Missbrauch strafrechtlich zu ahnden.
  6. Wünschenswert – wenngleich leider angesichts des Machtanspruchs der Parteien unrealistisch – wäre es auch, wenn bei gleicher Gelegenheit österreichweit das Wahlsystem deutlich personalisiert wird. Das sollte vor allem dadurch geschehen, dass die Mandate automatisch und unabdingbar genau in der Reihenfolge der vergebenen Vorzugsstimmen vergeben werden.
  7. Empfehlenswert wäre es auch, wenn man künftig dem australischen Beispiel folgt und Österreich damit einen zweiten Wahldurchgang der Präsidentenwahl erspart. Das geschieht dadurch, dass der Wähler auf dem Stimmzettel sowohl eine erste wie auch eine zweite Wahl ankreuzen kann. Dadurch kann unmittelbar nach einer Feststellung, dass nach Auszählung der „ersten Wahl“ kein Kandidat 50 Prozent hat, gleich der zweite Wahlgang ausgezählt werden. Dabei wird die „zweite Wahl“ auf einem Stimmzettel in all jenen Fällen relevant, wenn nicht der erstgewählte Kandidat in die Stichwahl kommen sollte. Jene Stimmzettel, wo weder die erste noch die zweite Wahl in der Stichwahl sind, scheiden dann aus. Das würde dem Land viele politische und finanzielle Belastungen ersparen und einen eigenen Stichwahlkampf vermeiden.
  8. Dieses Modell könnte man auch verwenden, um zu einem Mehrheitswahlrecht bei Parlamentswahlen zu kommen (von dem sich manche – wahrscheinlich etwas übertriebene – Wunderdinge erwarten). Dann wäre in jedem Einer-Wahlkreis jener Kandidat gewählt, der 50 Prozent der Erststimmen hat. Erreicht das keine Partei, dann kommen jene zwei in die Auszählung für den zweiten Wahlgang, die am meisten „Erststimmen“ haben. In der zweiten Auszählung wird immer dann die „Zweitstimme“ gewertet, falls die „Erststimme“ auf eine eliminierte Partei entfallen ist; sonst gilt eben nochmals die „Erststimme“.
  9. Überaus positiv wäre es auch, ein (indirektes) Wahlrecht auch für noch nicht wahlberechtigten Kinder einzuführen. Jeder Elternteil bekommt für jedes Kind eine halbe Stimme, oder jener Elternteil, der die Familienbeihilfe bezieht, bekommt eine zusätzliche Stimme. Das wäre gerechter und sinnvoller als die jetzige Pensionistendominanz, das würde bei allen politischen Entscheidungen dem Zukunftsaspekt wieder viel mehr Gewicht verschaffen.
  10. Wünschenswert – wenn auch vorerst angesichts des feigen Opportunismus der Parteien unrealistisch – wäre es, auch den fast nur in Österreich existierenden Unsinn aus Gusenbauer/Molterer-Tagen wieder abzuschaffen, dass schon 16-Jährige wählen dürfen. Das ist schlicht ein Alter, in dem die allermeisten Jugendlichen noch Null politische Ahnung haben.
  11. Positiv, aber nicht sonderlich wesentlich wäre es, für Volksbegehren künftig auch Online-Unterschriften zu ermöglichen, wie es die Regierungsparteien als einen von ganz wenigen Reformpunkten planen.
  12. Hundert Mal wichtiger für die Belebung der Demokratie wäre es, nach Volksbegehren, die eine bestimmte Unterstützerzahl erreichen (beispielsweise 400.000), verpflichtend ein bindendes Referendum durchzuführen – sofern das Parlament das Begehren nicht selbst umsetzt.
  13. Auf Grund des VfGH-Erkenntnisses notwendig (wenn auch an sich völlig unnötig) wird es auch sein, dass alle Wahllokale bis zum gleichen Zeitpunkt offen haben müssen. Dieser muss freilich nicht erst 17 Uhr sein. Anders wird sich die von Gericht verlangte Geheimhaltung nicht organisieren lassen. Denn wenn die Stimmzettel zwischen Sperre des Wahllokals und österreichweitem Wahlschluss nur weggesperrt würden, fänden schon wieder alle möglichen Verschwörungsgerüchte breiten Raum. Und Ergebnisse auszählen, aber diese dann geheimzuhalten, das kann schon gar nicht funktionieren – sitzen doch in allen Wahllokalen Parteienvertreter und keine Geheimdienstler.

Aber bleiben wir realistisch: In Österreich wird es wohl wieder nur minimale Schritte geben und schon gar nichts, was die Macht der Parteien einschränken würde. Höchstens dann ist mehr Bewegung möglich, wenn die Wahlbeobachter der OSZE dies vorschlagen. Aber die sind leider viel zu kurz im Land, um wirklich einen Durchblick zu bekommen. Die beobachten meistens nur, ob an den Wahlurnen nicht geschwindelt wird…

Zuerst erschienen auf www.andreas-unterberger.at/2016/08/ein-ldierter-gerichtshof-mehrere-ldierte-parteien-und-die-suche-nach-einem-besseren-wahlrecht/

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