Doppeltagebuch 1989/2009- 1. Dezember

Die DDR-Volkskammer, die so häufig tagt, wie in den vergangenen Jahrzehnten nicht, zeigt Initiative: die Abgeordneten streichen den Führungsanspruch der SED aus der Verfassung. Damit erledigen sich die kontroversen Diskussionen

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in der Opposition, ob man den Führungsanspruch in Frage stellen dürfe, oder nicht. Wie unentschlossen und wenig führungsfähig die Opposition ist, zeigt sich deutlich an einer anderen Diskussion.
Angespornt durch den Erfolg der Tschechoslowaken, die mit einem Generalstreik innerhalb von einem Tag alle ihre Forderungen durchgesetzt haben, rufen Teile des „Neuen Forums“ Karl-Marx-Stadt zu einem Generalstreik am 6. Dezember auf. Dieser Streik sollte die Forderung nach Auflösung der Kampfgruppen in den Betrieben, der Staatssicherheit, die sich bereits in „Amt für Nationale Sicherheit“ umbenannt hat und die Einführung der sozialen Marktwirtschaft unterstützen.  Die Forderungen sind ein willkürlicher Mix und das Entscheidende, die Ablösung der SED-Regierung ist ausgelassen. Trotzdem wird am Abend im DDR-Fernsehen von dem Aufruf berichtet. Sofort gibt es Widerspruch vom „Neuen Forum“ in Berlin, obwohl viele Betriebsbelegschaften durchaus streikbereit sind und es immer wieder wilde politische Streiks gegeben hatte. Diese Zögerlichkeit bringt der Opposition einen neuen Vertrauensverlust ein.
Die ungeduldigen Bürger beginnen von selbst, in ihren Betrieben die Betriebsparteiorganisationen der SED aufzulösen und ihre Betriebskampfgruppen zu entwaffnen. Sie treffen dabei auf keinerlei Widerstand.
Auch die politischen Gefangenen der DDR möchten nicht mehr darauf warten, dass sich die Opposition draußen für sie stark macht und ihre Entlassung fordert. Sie werden selbst aktiv. Gefangene mehrerer Haftanstalten verlangen die Überprüfung ihrer Urteile. Außerdem fordern sie eine menschenwürdige Behandlung in den Gefängnissen.

Die Bundesrepublik ist erschüttert über den Mord am Deutsche- Bank-Chef Alfred Herrhausen, zu dem sich die RAF bekannte, der aber bis heute nicht aufgeklärt ist.

Nun sollen neue Untersuchungsmethoden Licht ins Dunkel der damaligen Vorgänge bringen. Alfred Herrhausen war keineswegs ein kalter Kapitalist, sondern eher ein Gutmensch, der Schuldenerlaß für die Entwicklungsländer vorschlug, sich für die Umstrukturierung des Ruhrgebietes stark machte und Ungarn behilflich sein wollte, trotz seiner hohen Auslandsschulden Mitglied der Europäischen Gemeinschaft zu werden. Er gehörte zu den Beratern von Bundeskanzler Helmut Kohl, was ihm anscheinend seinen Platz auf der Todesliste der RAF sicherte. Mit dem Anschlag wollten die Terroristen wohl klar machen, dass es sie auch noch gab. In einer guten Verfassung dürften sie sich nicht befunden haben. Mit der DDR drohte ihr Geldgeber und ihr Rückzugsraum zu verschwinden.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich am 1. Dezember 2009 auf der "Achse des Guten"

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