Die Wärter von Hohenschönhausen

Eine neue Studie beschäftigt sich mit dem Stasi-Gefängnispersonal. Sie zeigt, dass es sich bei der DDR nicht um eine niedliche Alternative zum kapitalistischen Westen handelte, sondern um eine autoritäre Diktatur mit unmenschlichen Zügen.

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Was sind das für Menschen, die Aufseher in einer DDR-Haftanstalt für politische Gefangene werden? Diese Frage stellt sich die Berliner Politikwissenschaftlerin Elisabeth Martin in ihrer Studie über „Herkunft, Arbeitsweise und Mentalität der Wärter und Vernehmer der Stasi-Untersuchungsanstalt Berlin-Hohenschönhausen“. Wie die Autorin richtig ausführt, lagen zu diesem Thema bisher wenig fundierte Analysen vor. Gleichwohl sind die Ergebnisse ihrer Studie nicht überraschend. Die Schergen des Regimes waren ideologisch gefestigt, sie kamen meist aus „systemtragenden Familien“ und wurden an der MfS-eigenen Hochschule ausgebildet – damit ist die eigentliche Fragestellung im Grunde beantwortet.

Dass Martins Arbeit dennoch einen erheblichen Erkenntnisgewinn zu bieten hat, liegt vor allem an der detailreichen Beschreibung des Umgangs mit den Gefangenen – von der Festnahme unter Vorwand („Wir müssten mal mit ihnen reden“), über den Transport (in getarnten Fahrzeugen mit Aufschriften wie „Frischer Fisch“ oder „Bestattungen“) bis zum Haftalltag, in dem sogar die Schlafposition genau vorgeschrieben war (auf dem Rücken, Hände über der Decke). Dabei weist die Autorin darauf hin, dass körperliche Misshandlungen seit spätestens Mitte der fünfziger Jahre offiziell verboten waren und Zuwiderhandlungen geahndet wurden. Das entlastet das Personal allerdings nur bedingt, denn die Stasi setzte auf ein „akribisch geplantes System psychischen Drucks“: Desorientierung, Ermüdung, monatelange Isolation, stundenlange Verhöre und Deprivation führten in den meisten Fällen zu den gewünschten Ergebnissen. Die Vernehmer machten falsche Versprechungen und drohten mit der Zwangsadoption der Kinder der Inhaftierten. Wer nicht kooperierte, den straften die Wärter mit dem Entzug der wenigen verbliebenen Annehmlichkeiten: Kein Essen, keine Matratze, kein Ausgang, keine Ablenkungsmöglichkeiten. Es gibt Berichte über Folterzellen, jedoch keine wissenschaftlichen Belege. Martin geht davon aus, dass die Drohung mit der Folterzelle ein Druckmittel darstellte.

Die Autorin war von 2009 bis 2012 als wissenschaftliche Referentin bei der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen tätig und verfügte so über umfassenden Zugriff auf deren Archiv. Als Quellenbasis für ihre Arbeit dienen die Personalakten des MfS, Aussagen ehemaliger Häftlinge, dienstliche Anweisungen sowie unveröffentlichte MfS-eigene Analysen des Kaderbestandes. Die Wärter und Vernehmer kommen in Martins Studie nicht zu Wort, obwohl der Titel des Buches dies suggeriert. Das ist zu verkraften, denn es wäre ohnehin nicht zu erwarten gewesen, dass ehemalige „Hauptamtliche“ aktiv an der Aufarbeitung der DDR-Verbrechen mitarbeiten. Die Autorin nennt die Täter an mehreren Stellen des Buches mit bürgerlichem Namen und zitiert freimütig aus deren Personalakten. Das erscheint nicht in jedem Fall angebracht, etwa wenn es um private – nicht politisch motivierte – Verfehlungen der Mitarbeiter geht, die den Haftalltag nicht betrafen. Geht es jedoch um Anordnungen der Anstaltsleiter und Führungsoffiziere, gibt es keinen Grund, Ross und Reiter nicht zu benennen.

Im Ergebnis zeigt Martins Arbeit einmal mehr, dass es sich bei der DDR nicht um eine niedliche Alternative zum kapitalistischen Westen handelte, sondern um eine autoritäre Diktatur mit unmenschlichen Zügen. Die wissenschaftliche Aufarbeitung des DDR-Unrechts wird in Zeiten, in denen kommunistische Ideologien wieder mehr Anklang bei Jugendlichen finden, umso wichtiger.

Elisabeth Martin: "Ich habe mich nur an das geltende Recht gehalten". Herkunft, Arbeitsweise und Mentalität der Wärter und Vernehmer der Stasi-Untersuchungshaftanstalt Berlin-Hohenschönhausen. Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2014 (Andrássy Studien zur Europaforschung 14); 465 S.; 84,- €; ISBN 978-3-8487-1684-5

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Reiner Schöne

Nicht umsonst will die Linke die Stasiakten schließen. Da sind noch einige Leichen im Keller. Ob es keine Folterzellen gab, wage ich zu bezweifeln. Ich weiß das es statt Frühstück es erst einmal einen Sack über Kopf kam und dann Schläge mit dem Gummiknüppel, damit man auch einen Grund hatte, am Essen nicht teil zunehmen.

Gravatar: Thomas Rießler

Hilfeleistung an Stasi-Opfer durch die organisierte Christenheit? Fehlanzeige. Erbärmlich.

Es ein Zeichen geistiger Armut, dass in der öffentlichen Wahrnehung keine Verbindung zwischen Stasi-versiffter Politik und aktuellen politischen Fehlentwicklungen gesehen wird, z. B. Gender-Mainstreaming, Erzwingungshaft wegen Verletzung von Schulpflicht, Antidiskriminierungspropaganda, Antiamerikanismus etc. Dies alles sind klassisch linke Themen, lauthals verkündet in einem Land, das nichts von seiner Stasi-Vergangenheit wissen will und stattdessen die Fehler bei den normal veranlagten und freiheitsliebenden Menschen sucht.

Gravatar: D.Wengel

Leider ist es so, dass diese Bestien nach der Wende nicht strafrechtlich verfolgt wurden. Jetzt kommen sie weider aus ihren Löchern gekrochen, da ihre Taten verjährt sind und schwingen grosse Reden. Die Betroffenen, die teilweise noch heute unter den Haftbedingungen leiden, werden von der Politik allein gelassen!

Gravatar: Bartholomay

Warum wurde die Arbeit der ZERV eingestellt ?? Um Täter zu schützen und ins Sytem zu
integrieren !! Siehe z.B. Thüringen.

Gravatar: Bartholomay

Lieber Thomas ,
stimme Deinem Kommentar als ehemaliger "Haftkrankenhauspatient" 100%ig zu.Wo der
Wille zur Wahrheitsfindung kleiner ist,als der Wille zur Geheimhaltung ist Geschichtsfälschung
vorprogrammiert.Und das passiert bis heute !! Die Halbwahrheiten,"es war nicht alles schlecht"
haben die Grausamkeiten unter den Teppich gekehrt. Und darum geht es immer weiter so,
nur noch raffinierter und frecher.Die Täter sind Opfer ,usw. usf.

Gravatar: Thomas Rießler

Endlich mal jemand, der das Problem überhaupt anspricht.

Mich persönlich interessiert in diesem Zusammenhang, weshalb immer noch keine Ergebnisse der Stasi-Schnipselmaschine veröffentlicht wurden. Diese soll ja dazu in der Lage sein, die Stasi-Akten, die in der Wendezeit im Reißwolf geschreddert wurden, wiederherzustellen.

Das größte Problem stellt aber nicht die mangelnde wissenschaftliche, sondern die mangelnde rechtliche Aufarbeitung dar. Kaum einer dieser „systemtragenden Leute“ ist für seine Verbrechen zur Verantwortung gezogen worden. Jetzt sitzen sie alle in unserem Land herum, ohne sich gebessert zu haben. Dies scheint mir die Hauptursache dafür zu sein, dass in Deutschland speziell nach der Wende so viele Dinge schief gelaufen sind.

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