Die schöne heile Welt des Sozialismus

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Meines Wissens ist niemals der Anteil von Beat und Rock an der Unterminierung des sozialistischen Systems untersucht worden. Er dürfte erheblich gewesen sein. Die Kommunisten hatten jedenfalls die subversive Kraft westlicher Rhythmen immer instinktiv erahnt und – beim Tango angefangen – verbissen bekämpft. Allerdings auf die Dauer erfolglos. Bei den »Beatles« erlag unsere »Partei- und Staatsführung« anfangs dem Irrtum, dass die Musik von Jungs aus den Liverpooler Slums, also englischen Abkömmlingen der revolutionären Kraft des Proletariats, für den Sozialismus vorteilhaft, jedenfalls ungefährlich sei. Deshalb wurden die ersten Songs der »Beatles« noch von »Amiga«, der staatlichen Schallplattenfabrik der DDR, herausgebracht. Damit ließ man einen Geist aus der Flasche, den man nie wieder loswurde. Es half wenig, dass bald keine Platten mit westlicher Beatmusik mehr produziert und sie im DDR-Rundfunk nicht mehr gespielt wurde. Die Jugend, einschließlich staatsbraver SED-Elternkinder wie ich, wich auf das Westradio aus. In der Klasse hörten alle RIAS und wir tauschten uns offen darüber aus. Bald war unser »Kollektiv« wieder gespalten, diesmal in Anhänger der Beatles und in Stones-Fans. Ich war die erste »Stones-Käthe« der Schule und trug mein blondes glattes Haar als schulterlangen Pilzkopf, um den mich alle Jungs beneideten. Die hatten es schwer, denn sie mussten sich jeden Zentimeter Haarlänge erkämpfen. Immer wieder wurden Jungs nach Hause geschickt, weil ihre Haare für den Besuch einer sozialistischen Schule zu lang waren. Die Lehrlinge hatten es besser. In den Betrieben wurden lange Haare in der Regel toleriert und so liefen die Jungarbeiter stolz und von den Schülern beneidet mit langen Zottelmähnen herum. Nur vor gelegentlichen Razzien der Volkspolizei mussten sie auf der Hut sein, denn es kam immer wieder vor, dass Langhaarige von der Straße weggefangen und auf dem Volkspolizeirevier zwangsgeschoren wurden. Probleme machten auch die in Mode gekommenen Schlaghosen – selbstverständlich waren weite Hosenbeine in der Schule verboten. Andererseits waren sie das, was jeder Junge für unverzichtbar hielt, um »fetzig« zu sein. Also wurden Knöpfe und Kettchen am Hosenbein befestigt, um die vorgeschriebene Enge zu erzeugen, wenn es unabdingbar war, und um die geliebte Weite zu haben, wenn man sich frei bewegen konnte. Natürlich wollten die Jungs mit ihren Bands die heiß geliebten Westtitel spielen. Da es für Funktionärskinder ohne Westverwandtschaft schwierig war, an die Texte zu kommen, verlegte ich mich bald darauf, Texte nach Gehör mitzuschreiben. Wo ich das Gesungene nicht genau verstand, musste ich raten oder erfinden, und bald entwickelte ich ein beträchtliches Geschick in der Ergänzung von Texten, die immerhin wirkten, als könnten sie im Original so geschrieben worden sein. Gesungen wurde nach Gehör, und fertig war der Titel.
Mehr in meinem Buch: “Ich wollte frei sein”

Beitrag erschien zuerst auf achgut.com

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: x-Factor

immer diese sozialistschen Unterwürfigen, die zu tun als wären sie gegen Sozialismus, peinlich bis widerwertig!

Gravatar: xRatio

Volle Zustimmung zu Ihrem bemerkenswerten Artikel, werte Vera Lengsfeld.

Gravatar: das ist alles

@ vera lengsfeld.

danke für ihre herablassende art und ihre unerhörte unterstellung.

Gravatar: Vera Lengsfeld

Ja, es gab jede Menge coole Rockbands in der DDR. aber wenn sie zu cool waren, wurden sie , wie z. b. Renft eben verboten, auch in den 80er Jahren noch. Das ist der entscheidende Unterschied zur BRD, wo es sicher Leute gab, die Rockmusik ablehnten, auch in der Regierung. Aber das führte nicht zu staatlichen Verboten oder zur Verfolgung durch eine politische Polizei.Ja, die DDR-Leute haben sich ihre Spielräume erkämpft und ertrotzt- gegen das System. Wenn Sie Berufs-, Auftrittsverbote, Gefängnis und Ausbürgerung als nicht "weltbewegend"ansehen, ist das einfach nur zynisch.

Gravatar: Peter Müller

Und ich dachte, Rockmusik sei eine kulturmarxistische Strategie zur Unterminierung des dekadenten Westens gewesen...

Gravatar: Freigeist

Lesen Sie mal nach, wie hartnäckig die alten Nazis gegen die Langhaare opponierten, im Westen, in Westdeutschland.

Gravatar: das ist alles

halb und halb. sicher untergraben westliche lebensformen und die damit verbundene Kultur kommunistische Vorstellungen bzgl. einer Einheitsmeinung.

aber ganz so einafch ist es bei der DDR nicht. ulbricht, der mauerschütze, bewertete beat und roch als schädlich. aber das waren die 50er und 60er Jahre. ebenso hat auch die BRD in diesem Zeitraum beat und rock als schädlich und rebellisch eingeschätzt.

In der DDR gab es ab den 70er Jahren aber echt coole Combos, wo der bär rockte. Jeder ossi-Deutsche wird dies bestätigen. Diese ideologie-sozialismus Schiene greift einfach zu kurz. Ähnlich wie die Grünen mit ihrer multikulturellen, sozialistischen Weltverbesseransicht ist dieser blog für mich eine herablassende Sichtweise, die mit der Realität nichts zu tun hat.

Dass die DDR ein Unrechtsstaat war, weiß fast jeder. Aber selbst da bestand in gewissem Maße irgendwie Handlungssielraum, so war mein Vater in einer Rockband, welche Texte übers Radio erfuhren und nach Gehör die Stones nachspielten. Und alle hatten lange Haare und Schlaghosen. Und sicher gab es kleinere Probleme mit der Partei, aber auch nicht wirklich weltbewegend.

aber sich werden einige sagen, ich bin ein Kommunist, der relativieren und die DDR huldigen will. ich lach drüber...

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