Die mehr als vaterlose Gesellschaft

Kinder zeigen uns, was sie wirklich brauchen, aber man muss schon hinschauen – und dafür benötigt man Zeit. Das Patentrezept gegen eine vaterlose Gesellschaft ist also in erster Linie, sich Zeit für die Kinder zu nehmen und sich bewusst zu machen, wofür ich die Zeit verwende, die ich den Kindern stehle.

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Dass der Papst in seiner Mittwochskatechese von gestern auf die “Vaterlose Gesellschaft” eingegangen ist, zeigt sicher, wie deutlich dieses Problem in der Gesellschaft angekommen ist. Den Begriff gibt es als Schlagwort schon länger, aber es zeigen sich mittlerweile auch die Folgen der Entwicklung, die nur schwer aufzuhalten sind. Dabei geht es nicht nur darum, dass bei Trennungen die Kinder aus einer Ehe oder Beziehung oft in der Obhut der Mutter verbleiben – was unter sonst normalen Umständen sicher keine schlechte Idee ist – sondern dass auch Kinder aus ganz normalen Ehen quasi vaterlos aufwachsen.

Neben der Notwendigkeit des Vaters weist der Papst dabei auch auf frühere Fehlentwicklungen hin, die auch Auslöser der heutigen Probleme sein können. Das Vaterbild war schließlich bis mindestens in die Sechzigerjahre des letzten Jahrhunderts geprägt von der Rolle als Respektsperson. “Warte, bis Papa nach Hause kommt!” war für Generationen von Kindern lediglich eine Drohung und keine freudige Ankündigung. Da dieses Bild des Vaters nicht mehr gewünscht war und auch nicht sinnvoll ist, wurde aber in breiten Schichten der westlichen Welt das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Der Papst sagt dazu (nachzulesen wie die anderen Zitate auch bei Zenit Deutschland):

Heute scheint das Problem nicht mehr in der aufdringlichen, einschränkenden Gegenwart der Väter zu liegen, sondern im Gegenteil in ihrer Abwesenheit. Die Väter von heute sind oft so sehr auf sich selbst konzentriert, auf ihre Arbeit und manchmal auf ihre Selbstverwirklichung, dass sie ihre Familie vergessen. Und so lassen sie die Kinder und Jugendlichen allein. […] oft habe ich die Väter gefragt, ob sie mit ihren Kindern spielen, ob sie genügend Zeit und Liebe aufbringen, um mit den Kindern zu spielen. In den meisten Fällen lautete die Antwort: „Ich kann leider nicht, ich habe so viel Arbeit…“ Wieder ein Vater, der sein Kind alleine aufwachsen ließ, der nicht mit ihm spielte, keine Zeit mit ihm zu verlieren hatte.

Mitunter fühle ich mich durch solche Worte durchaus auch ertappt. Ich weiß – nicht nur im Kopf sondern auch im Herzen –, dass unsere Kinder Mutter und Vater brauchen, das wenn einer fehlt, er in der Entwicklung der Kinder fehlt, ein Fehlen das Lücken reißt, die irgendwie anders gefüllt werden. Und doch gibt es immer ausreichend und – scheinbar – gute Gründe, sich gerade jetzt nicht kümmern zu können. Wir hatten gerade kürzlich die Situation, dass ich lange dienstlich unterwegs war, die Kinder abends nicht mit ins Bett bringen konnte. Eigentlich kein besonderer Beinbruch, zumal das auch nicht oft vorkommt … aber die Kinder haben das genau registriert und waren ganz aufgelöst, dass sie von mir nicht einen abendlichen Segen bekommen haben.

Dass Kinder wissen, was sie brauchen, ist eine Binsenweisheit – aber wie oft hören wir auch weg und wollen nicht wahrhaben, dass das tatsächlich so ist und nicht respektieren, was unseren Kindern wichtig ist. Ein kurzes gemeinsames Spiel, der Gute-Nacht-Segen, ein aufmunterndes Raufen – nur Kleinigkeiten, die die Kinder einfordern, und die auch ich nicht selten mit der Entschuldigung vermeintlich wichtigerer anderer Dinge, nicht gebe. Nun glaube ich nicht, dass es bei uns zu Hause in dieser Hinsicht allzu kritisch zugeht, aber dennoch sollten mir und uns allen die Worte des Papstes in den Ohren klingeln:

Die Abwesenheit der Vaterfigur im Leben der Kinder und Jugendlichen schafft Leerräume und Wunden, die mitunter auch sehr schwer sein können. Gewisse Auffälligkeiten bei unseren Kindern und Jugendlichen scheinen in der Tat auf diese Abwesenheit zurückzuführen sein, auf das Fehlen von Vorbildern und einer väterlichen Bezugsperson im Alltag, auf den Mangel an Nähe und Liebe seitens der Väter. Das Gefühl, Waisen zu sein, ist in vielen Jugendlichen stärker, als wir glauben.

Die Folgen der vaterlosen Gesellschaft beobachten wir doch alle Tag für Tag: Gewalt unter Jugendlichen, ein Mangel an Respekt und Toleranz dem anderen gegenüber – ich möchte kein zu schwarzes Bild malen, aber wer heute die Nachrichten hört oder wer bestimmte Stadtteile nach Einbruch der Dunkelheit besucht, der weiß, dass hier eine Veränderung bereits stattgefunden hat. Und die gerissenen Lücken werden gefüllt – nur eben nicht durch uns als Väter sondern durch allerlei Ersatz, nennen wir sie ruhig weltliche Götzen. Wenn der Gangsta-Rapper oder der eiskalte Manager erst mal zum Vorbild, zu einer Art Vaterrolle geworden ist, wird es schwierig hier noch gegenzusteuern. Wenn ein Sohn sich erst bei anderen Jungs beweisen muss, dass er ein Mann wird anstatt das ihm sein Vater bestätigt, dass er ein ganzer Kerl ist, wenn eine Tochter sich die Bestätigung, dass sie liebenswert ist, erst mal im Sex mit anderen Jungs abholt, anstatt dass der Vater ihr ihren Wert als liebenswerter Mensch verdeutlicht, dann ist diese Kind schon faktisch ein Halbwaise.

Dabei ist die Notwendigkeit der Art der Vaterfigur vermutlich von Kind zu Kind und von Lebensphase zu Lebensphase ganz unterschiedliche. Während man sich als Vater von Kleinkindern eher auf das “in den Arm nehmen” beschränkt, wächst man immer mehr in die Rolle des Vertrauten, auch des Freundes, durchaus auch in die Rolle des Erziehers – wohlgemerkt ergänzend zur Rolle der Mutter – hinein. Männer agieren und reagieren nun mal anders und so ist es für Kinder auch selbstverständlich, sich mit unterschiedlichen Anliegen mal eher an die Mutter, mal eher an den Vater zu wenden (und nicht nur um die Chancen auf ein Eis oder Schokolade zu optimieren).

Darum ist es auch schwierig Patentrezepte zu liefern, aber meine These ist in jedem Fall: Die Kinder zeigen uns, was sie wirklich brauchen (und nicht nur wollen), sie zeigen es deutlicher als es Erwachsene tun, aber man muss schon hinschauen. Und für dieses Hinschauen benötigt man Zeit – Das Patentrezept gegen eine vaterlose Gesellschaft ist also in erster Linie mal, sich Zeit für die Kinder zu nehmen, und sich bewusst zu machen, wofür ich die Zeit verwende, die ich den Kindern stehle.

Und natürlich, die Blaupause hierfür liefert unser aller Vater, Gott selbst, den wir als Väter als Vorbild nutzen können. Auch er ist für uns da, schilt uns manchmal, versucht uns aber vor allem vom Besseren zu überzeugen, erzieht insofern, ist barmherzig und handelt immer zu unserem Wohl, auch wenn wir es – selbst als Erwachsene noch wie Kinder – nicht einsehen mögen. Vor allem aber hat er immer Zeit für uns. Nun könnte man sagen “Kunststück, er ist ja auch Gott!”, aber es geht ja auch nicht darum, genau wie er zu sein, sondern uns an ihm zu orientieren. Daher noch mal der Papst mit dem Schlusswort:

Daher wird es uns allen gut tun, den Vätern wie den Kindern, das Versprechen Jesu wieder zu hören: „Ich werde euch nicht als Waisen zurücklassen“ (Joh 14,18). Er ist der Weg den es zu gehen gilt, der Meister dem wir zuhören müssen, die Hoffnung auf eine bessere Welt, in der die Liebe den Hass besiegt und die Menschen brüderlich und in Frieden zusammenleben.

Ich bin gespannt auf die Fortsetzung der Katechese, die der Papst für den kommenden Mittwoch unter dem Thema “Schönheit des Vaterseins” angekündigt hat. Falls der eine oder andere noch neben der Notwendigkeit der Vaterrolle auch eine Motivation benötigt, bin ich sicher, der Papst wird sie liefern. Insofern: Fortsetzung folgt!

Zuerst erschienen auf papsttreuerblog.de

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Papsttreuer

Sehr geehrter Herr Schulte-Hagemann,

bitte entschuldigen Sie, dass ich erst jetzt antworte, ich hatte Ihren Kommentar leider nicht eher gesehen.

Ich hatte beim Schreiben bereits befürchtet, dass dieser kleine Nebensatz zu Irritationen führen könnte. Gemeint ist damit nur, dass ich es insbesondere bei Kleinkindern, bei ansonsten gleichen Umständen, für eine gute Wahl halte, dass die Kinder eher der Mutter als dem Vater zugesprochen werden.

Das geht aber bereits von einer Mangelsituation aus, dass nämlich die Betreuung durch Mutter UND Vater nicht in Frage kommt. Und es geht davon aus, dass z.B. bei der Mutter keine Hindernisse im Weg stehen. Von da aus ist es - wenn ich so sagen darf - biologistisch gedacht, dass, wenn nicht Vater und Mutter vorhanden sind, im Zweifel besser die Mutter die Betreuung übernimmt.

Oder anders gesagt: Wenn Sie aus dem Beitrag oder meiner Erläuterung herauslesen sollten, Mütter seien die besseren Eltern und Kinder bei den Vätern grundsätzlich schlechter aufgehoben, dann habe ich mich immer noch nicht richtig ausgedrückt.

Gravatar: Thilo Schulte-Hagemann

Könnte mir der Autor Herr Honekamp bitte einmal diesen Satz erklären?

"Dabei geht es nicht nur darum, dass bei Trennungen die Kinder aus einer Ehe oder Beziehung oft in der Obhut der Mutter verbleiben – was unter sonst normalen Umständen sicher keine schlechte Idee ist – .."

Vor allem diesen Teil hier: " – was unter sonst normalen Umständen sicher keine schlechte Idee ist – "

Ich bin einer der entsorgten Väter und verstehe dies als Eingriff in meine Rechte und Pflichten als Vater, aber auch als massiven Eingriff in die Rechte der Kinder. Kinder haben ein Recht auf ihren Vater ... auf beide Elternteile. Ich halte es daher für eine schlechte Idee, wenn Kinder zur Mutter zugeordnet und dem Vater die Zahlpflicht übertragen wird. Aus meiner Sicht und vieler meiner Mitstreiter mittelalterlich anmutende Ansichten.

Ich will hier aber nicht weiter kritiseren, bevor ich nicht sicher weiß, was Sie damit genau meinen. Wäre ja möglich, dass der Satz nur blöd ausgedrückt war.

Viele Grüße von www.vaeter.fall.vn !

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