Die letzte Regierung der DDR

Am 9. April 1990 einigte sich die Allianz für Deutschland mit der SPD und den Liberalen über die Bildung einer Großen Koalition. Damit wurde der Weg frei für die Bildung der letzten Regierung der DDR unter Ministerpräsident Lothar de Maiziere. Darüber gibt es ein spannendes buch von Ed Stuhler, das ich für die Leser rezensiert habe:

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Die letzten Monate der DDR

Die DDR ist doch der Staat, den laut Umfragen jeder Vierte wieder zurück haben will, weil er im Gegensatz zur kalten kapitalistischen Republik ,zwar bescheiden, aber angenehm kuschelig gewesen sei. Wenn dann ein Autor zu Beginn bekennt, dass er das Ergebnis der ersten und letzten freien Volkskammerwahl als ein „von Kanzler Kohls Gnaden“ empfand, erwartet man eines der DDR-Nostalgie-Bücher, die den Markt überschwemmen. Weit gefehlt. Ed Stuhler hat sich nicht von Vorurteilen, sondern von Fakten leiten lassen. Herausgekommen ist eine spannende Collage aus den Erinnerungen der Akteure der letzten DDR-Regierung, der Regierung de Maiziere. Wer an die deutsche Vereinigung denkt, dem kommen Bundeskanzler Kohl, Michael Gorbatschow und George Bush sen. In den Sinn. Dass der letzte Ministerpräsident der DDR , Lothar de Maiziere, eine Schlüsselrolle spielte, ist weniger im Bewusstsein, gar nicht mehr, dass es ohne den vom Volk erzwungenen Fall der Mauer und die herbeidemonstrierten freien Wahlen keine Architekten der deutschen Einheit hätte geben können. Im Nachhinein könnte man den Eindruck gewinnen, Deutschland hätte sich, wie Stuhler es ausdrückt, mit sich selbst vereinigt. Es gab in einer hochexplosiven Zeit unangenehme Zwischenfälle, aber keine gefährlichen Situationen. Dabei stand den abgewählten Machthabern der DDR nicht nur eine bis an die Zähne bewaffnete Armee und ein ebensolcher Sicherheitsapparat zur Verfügung, es gab Waffen bei den Kampfgruppen, der Gesellschaft für Sport und Technik, bei den führenden Genossen. Niemand hatte einen Überblick, wie viel Schießgerät wirklich vorhanden war, denn die Genossen hatten oft keinen Waffenschein. Allein die Waffen einzusammeln, an einem sicheren Ort zu deponieren und zu bewachen, bis sie der Vernichtung zugeführt werden konnten, ist eine Leistung, die nicht hoch genug zu würdigen ist. Der größte Geheimdienst der Welt musste abgebaut und neutralisiert werden. Das Un-Rechtssystem der DDR musste vereinigungskompatibel gemacht werden. Vor allem aber machten die gravierenden wirtschaftlichen -, und Umweltprobleme der DDR ihrer letzten Regierung zu schaffen.
Die volkseigene Industrie brach nach der Währungsunion flächendeckend zusammen, die Bauern fuhren ausgerechnet in diesem Jahr eine Rekordernte ein, die ihnen niemand mehr abnehmen konnte. Was unter den Bedingungen der Planwirtschaft gesät wurde, fand unter Marktbedingungen keinen Absatz. Die Produktionsmethoden in der Tierproduktion stanken sprichwörtlich zum Himmel. Zum Beispiel in der Schweinemastanlage in Orla/ Thüringen, wo in 300m langen Hallen 180 000 Tiere auf Zinkrosten standen, durch die die Fäkalien abgeleitet und über ein paar Klärstufen in die Talsperre bei Zeulenroda geleitet wurden, wo der Zinkgehalt des Wassers astronomische Höhen erreichte. Die Anlage hatte bereits 3000 ha des umgebenden Waldes irreversibel geschädigt. Die Beschäftigten, mehrheitlich Frauen, atmeten eine Ammoniakkonzentration in den Hallen ein, als wären sie in einer Ammoniakfabrik ohne Abzugsanlagen beschäftigt. Diese Anlage wurde noch zu DDR-Zeiten geschlossen. Ähnliche Großanlagen suchten für ihre schlachtreifen Schweine verzweifelt Abnehmer. Schließlich wurden die Tiere in die Sowjetunion geliefert, aber nie bezahlt. Auf diese und andere Schulden hat seinerzeit Bundeskanzler Schröder großzügig verzichtet, was seinen einstieg bei Gasprom erleichtert haben dürfte. Was den allgemeinen Zustand der Umwelt betrifft, nur ein Beispiel: die DDR hatte sich seit Jahren geweigert, ihren Schwefelausstoß an die UNO zu melden. Also legte die Uno eine Ausstoß von 3 Millionen Tonnen fest. Die DDR protestierte. Tatsächlich lag der jährliche Ausstoß, wie Lothar de Maiziere bekannt gab, bei jährlich 7,5 Millionen Tonnen.
Der letzte Ministerpräsident der DDR erkannte sehr schnell, dass es keinerlei Chance gab, die immensen Probleme, die von der SED hinterlassen wurden, als eigenständiger Staat zu lösen. Das veranlasste ihn, Bundeskanzler Kohl am Wolfgangsee in seiner Ferienwohnung aufzusuchen und um eine beschleunigte Vereinigung zu bitten. So kam es dann auch, nach einigem Hin-, und Her und heftigen Streitereien über den Beitrittstermin.
Die kurze Geschichte einer Regierung, die angetreten ist, um sich selbst abzuschaffen, was bisher einmalig in der Geschichte sein dürfte, liest sich kurzweilig wie ein Krimi.
Es spricht nicht für die politische Kultur im vereinten Deutschland, dass die Leistung dieser Regierung und der letzten Volkskammer, die diese Regierung stützte, egal ob die Abgeordneten der Koalition oder der Opposition angehörten, so gründlich aus dem öffentlichen Gedächtnis verschwunden ist. Für alle Beteiligten war es jedenfalls die spannendste Zeit in ihrem Leben. Menschen, die über Nacht in die Politik geworfen wurden, haben eine Leistung hingelegt, die man den Berufspolitikern von heute nicht mehr zutraut.
Bleibt nur zu wünschen, dass Ed Stuhlers Buch möglichst viele Leser findet.

Beitrag erschien zuerst auf achgut.com

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