Die Gluten- und Laktose-Verdummung

Gluten und Laktose gelten als krankmachende Bösewichte. Wer an Zöliakie leidet, muss Gluten meiden. Dies trifft in Westeuropa auf zirka 1 Promille aller Menschen zu. Es gibt keinen rationalen Grund, auf Gluten oder Laktose zu verzichten, wenn man die Stoffe verträgt.

Veröffentlicht:
von

Gluten und Laktose gelten als krankmachende Bösewichte. Die Werbung hat das erkannt und startete eine unglaubliche Verdummungskampagne: Mit Erfolg.

Die Zahl der im Einzelhandel platzierten Glutenfrei-Produkte hat sich von 2010 bis 2014 weltweit nahezu verdoppelt. Vor allem in Bio-Supermärkten sind glutenfreie Produkte stark im Kommen. Dabei hat Gluten nichts mir Bio zu tun. Gluten ist kein künstlicher Zusatzstoff, sondern ein Protein. Und Proteine gelten eigentlich als “gut”. Ähnliche Zahlen gibt es auch für Laktose. Abgesehen von den Kalorien ist Milchzucker (Laktose) unschädlich, sofern man zu den Menschen gehört, die sie verträgt. Beides, Gluten und Laktose, sind natürliche Stoffe, die für viele Menschen in diesem Breitengrad unschädlich sind.

Wer an Zöliakie leidet, muss Gluten meiden. Dies trifft in Westeuropa auf zirka 1 Promille aller Menschen zu. Vielleicht gibt es sowas wie eine Dunkelziffer (Glutensensitivität), weshalb man von maximal 1 Prozent ausgeht. Glutenfreie Produkte enthalten in der Regel weniger Ballaststoffe und sind trockener. Deshalb ist oftmals der Anteil an Zucker und Fett höher. Dadurch werden  glutenfreie Lebensmittel zu krassen Kalorienbomben. Es gibt keinen rationalen Grund, auf Gluten oder Laktose zu verzichten, wenn man die Stoffe verträgt.

Die Werbung wird imme dreister und kurioser. Neulich habe ich laktosefreien Essig gesehen. Unter Besonderheiten heißt es: “Bio, Glutenfrei, fairtrade, Ohne Zusatz von Aromen, Lactosefrei.” Genauso gut könnten die auch “frei von Uran” drauf schreiben, denn Uran würde ich genauso wenig in Essig erwarten wie Laktose oder Gluten. Auch auf einer Schwarzteepackung stand neulich: “Frei von Gluten und Laktose”. Als ob dies ein Qualitätsmerkmal wäre. Es handelt sich um eine Selbstverständlichkeit! Gluten und Laktose sind völlig normale Stoffe und absolut harmlos – sofern man sie verträgt. In sehr vielen Produkten sind sie nicht enthalten; trotzdem steht diese Selbstverständlichkeit nochmal explizit auf der Packung. Was wir hier sehen ist Marketing auf unterstem Niveau.

Auf der anderen Seite ist der Trend auch verständlich. Wir leben in Zeiten mit Überfluss. Viele Menschen sind mit der Ernährung überfordert. Es gibt unzählige Dinge, die man essen könnte. Viele Verbraucher sind verunsichert, haben Angst und sehnen sich nach klaren Ansagen. Statt gesunde Lebensmittel zu selektieren ist es psychologisch viel einfacher, wenn man einfach etwas scheinbar schlechtes weglassen kann. Laktose ist nur ein Zucker und Gluten hört sich akustisch an wie das böse Glutamat. Wer auf die beiden Stoffe, trotz Verträglichkeit verzichtet, hat keinen Mehrwert – bezahlt aber für die (manchmal schlechteren) Produkte einen unangemessen höheren Preis.

Exkurs Eiweiße: Proteine, umgangssprachlich Eiweiße, sind biologische Makromoleküle, die aus Aminosäuren durch Peptidbindungen aufgebaut werden. Gluten ist ein Stoffgemisch aus solchen Proteinen. Eine große Rolle spielt in der Ernährung auch Kasein (Milcheiweiß) – daher kommt das Wort “Käse”.

Exkurs Zucker: Laktose besteht aus Galactose und Glucose. Glucose nennt man auch Traubenzucker. Der Kaloriengehalt von Zucker ist fast immer gleich, so auch bei Fructose (Fruchtzucker), Saccharose (Haushaltszucker), Glukosesirup (Maiszucker), Dextrose (anderes Wort für Glucose) oder auch sowas wie Maltodextrin (Weiterverarbeitete Glucose). Warum nun gerade nur die Laktose ungesund sein soll, erschließt sich mir nicht.

Zuerst erschienen auf pinksliberal.wordpress.com

Für die Inhalte der Blogs und Kolumnen sind die jeweiligen Blogger verantwortlich. Die Beiträge der Blogger und Gastautoren geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion oder des Herausgebers wieder.

Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte
unterstützen Sie mit einer Spende unsere
unabhängige Berichterstattung.

Abonnieren Sie jetzt hier unseren Newsletter: Newsletter

Kommentare zum Artikel

Bitte beachten Sie beim Verfassen eines Kommentars die Regeln höflicher Kommunikation.

Gravatar: Ellen

Sehr geeehrte Frau Ger, mich würde interessieren, woher Sie die Zahl 1 Promille nehmen. Die stimmt nämlich hinten und vorne nicht. Aktuelle Studien gehen von deutlich mehr Menschen aus - mit hoher Dunkelziffer. Sie stellen auch uns Betroffene so dar, als wären wir eingebildete Kranke. Die medizinischen Leitlinien gehen übrigens von 1-3 PROZENT (!) der Bevölkerung aus, mit hoher Dunkelziffer, da die Erkrankung auch mit unspezifischen Symptomen einhergehen kann. Bitte sorgfältig recherchieren und sachlich schreiben, statt Ihre eigene persönliche Meinung (oder der der Weizenlobby) zum Besten geben! Danke.

Gravatar: Bianca Maurer

Sehr geehrter Herr Kleber,

zuerst möchten wir auf den von Ihnen angesprochenen Nocebo-Effekt eingehen: Sicherlich gibt es Personen, die keine Zöliakie oder eine andere medizinisch begründete Unverträglichkeit gegen Gluten haben und sich trotzdem durch Verzicht auf Gluten besser fühlen, was dann durch den von Ihnen angebrachten Nocebo-Effekt bedingt sein kann. Dies ist bei Zöliakiebetroffenen jedoch definitv nicht der Fall! Neben vielfältigen Symtomen der Zöliakie, die nicht nur auf den Magen-Darm-Trakt beschränkt sind, sondern den gesamten Körper betreffen können (siehe: http://www.dzg-online.de/symptomatik.345.0.html und http://www.dzg-online.de/symptome.389.0.html), zeigen sich bei Betroffenen auch messbare, hochgradige Schädigungen der Dünndarmschleimhaut. Diese können sich unter glutenfreier Ernährung jedoch vollständig zurückbilden. (siehe: http://www.dzg-online.de/marsh-kriterien.387.0.html) Eine solche körperliche Schädigung ist nicht durch einen Nocebo-Effekt zu erklären.
Weiter möchten wir auf Ihren Zweifel an der Prävalenz von 1% eingehen. Hierfür gibt es zahlreiche aktuelle Studien, die diese Zahl belegen. Untenstehend haben wir Ihnen beispielhaft einige davon verlinkt. Für Betroffene ist der Fortschritt in Diagnostik und Forschung ein Segen, da sie nach Feststellung der Erkrankung durch die glutenfreie Ernährung ein beschwerdefreies Leben führen können. Auch wenn das Krankheitsbild der Zöliakie vor 100 Jahren noch nicht so gut erforscht war wie heute, gab es auch damals schon Betroffene - wahrscheinlich darunter eine große Dunkelziffer an Personen, die nichts von Ihrer Erkrankung wussten und Zeit ihres Lebens mit vielfältigen Beschwerden, nicht nur mit Blähungen, und Mangelerscheinungen bedingt durch den geschädigten Darm zu kämpfen hatten. Eine nicht behandelte Zöliakie kann zu zahlreichen Folgeerkrankungen führen - sogar zu Darmkrebs und ist deshalb eine ernst zu nehmende chronische Erkrankung.
Hier noch die Links zu einigen Studien:
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/21070098
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/25524073
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/25925915
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/?term=celiac+kiggs

Bianca Maurer
Pressesprecherin Deutsche Zöliakie-Gesellschaft e.V.
Für weitere Informationen: www.dzg-online.de

Gravatar: Andreas Kleber

Sehr geehrte Frau Maurer,
Es kann eigentlich gar nicht sein, dass 1% der Deutschen kein Gluten vertragen, da noch vor sagen wir 100 Jahren JEDER davon gelebt bzw. gegessen hat, also von Weizen, dem Hauptverantwortlichen für das böse Gluten. Diese 1% hatten entweder schon damals praktisch keine Probleme damit, außer vielleicht etwas Blähungen, oder diese Leute gab es damals nicht, müssten also eingewandert sein.
Was viel wahrscheinlicher ist, wie es auch Wikipedia schreibt, der Nocebo-Effekt. D.h. die Erwartung negativer Folgen irgendeines Nahrungsmittels und prompter Bestätigung dessen durch den Körper. Genauso wie der Placebo- wirkt der Nocebo-Effekt genauso bei Fleisch, Schokolade, Zucker oder gar nur bei Marken wie bspw. McDonald's, was die Abstrusität des ganzen vor Augen führt. Jeder kennt solche Leute, die irgendwas angeblich nicht vertragen. Ärztlich bestätigt, versteht sich, klar, genauso wie Homöopathie wirkt, was sie de facto beim Gläubigen auch macht.
Jedenfalls ist die 1% eine reine Phantasiezahl (anders als die 0.1%, die Diabetiker einschließt).
Daran ändert auch Ihre angebliche Zölikalie-Gesellschaft nichts, die zudem wahrscheinlich von der Bio-Lobby gesponsert wird.
Antworten Sie mir bitte gerne hier!
Mit freundlichen Grüßen
Andreas Kleber

Gravatar: Celine H.

Man sollte nie komplett auf auf Laktosehaltige Lebensmittel verzichten, obwohl meine eine LI hat. Als ich die Diagnose bekam gab mir mein Arzt gleich das Rezept für Lactosolv mit und riet mir weiterhin (zwar weniger) laktosehaltige Lebensmittel zu verzehren. Im schlimmsten Fall kann die Unverträglichkeit durch kompletten Verzicht schimmer werden.

Gravatar: Bianca Maurer

Liebe Redaktion,

in Ihrem Artikel stellen Sie die glutenfreie Ernährung in ein sehr negatives Licht. Zwar verweisen Sie auch auf die Zöliakiebetroffenen, welche auf Gluten verzichten müssen, jedoch wird die dringliche Notwendigkeit für die Betroffenen hier nicht klar. Außerdem sind die von Ihnen angegebenen Zahlen leider nicht korrekt. Neueste Studien haben ergeben, dass ca. 1 % der Deutschen von Zöliakie betroffen ist. Dies ergibt für Deutschland über 800.000 Betroffene - eine ganze Menge! Bitte korrigieren Sie hier Ihre Angabe. Hinzu kommt noch die Anzahl an Personen, welche von einer Weizensensitivität betroffen sind und ebenfalls von einer glutenfreien Ernährung profitieren.
Natürlich haben Sie recht, dass es mittlerweile auch viele Personen gibt, die freiwillig auf Gluten verzichten, ohne an Zöliakie oder Weizensensitivität erkrankt zu sein. Glutenfrei zu leben, wird seit Längerem von zahlreichen Prominenten, vor allem in den USA propagiert. Einige Medien haben auch in Deutschland darüber berichtet, was auch hierzulande zu der irrigen Annahme geführt hat, ohne Gluten würde man grundsätzlich gesünder leben.
Die Deutsche Zöliakie-Gesellschaft e.V. (DZG) ist Expertin für glutenfreie Ernährung und warnt davor, diesem Irrglauben zu unterliegen. Für einige mag die glutenfreie Ernährung eine bloße Modeerscheinung sein, die in der Tat zu keiner wirklichen Verbesserung der Gesundheit führt. Für die rund 800.000 Zöliakiebetroffenen in Deutschland ist eine strikte glutenfreie Ernährung jedoch die einzige Therapie ihrer chronischen Dünndarmerkrankung für ein beschwerdefreies Leben. Sie sind zwingend auf sie angewiesen.

Bianca Maurer
Pressesprecherin Deutsche Zöliakie-Gesellschaft e.V.
Für weitere Informationen: www.dzg-online.de

Schreiben Sie einen Kommentar


(erforderlich)

Zum Anfang