Die Europäische Einlagensicherung EDIS. Ein regulatorischer Raubüberfall

Eine Politische Union scheint heute aus naheliegenden Gründen alles andere als konsensfähig zu sein. EDIS ist in diesem Kontext als ein regulatorischer Raubüberfall einzuschätzen, der durch die Hintertür zur Verfestigung einer EU-Transfer- und Haftungsunion beiträgt.

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Von einem regulatorischen Raubüberfall spricht man in der Regulierungstheorie dann, wenn sich Organisationen und Menschen, die im Vertrauen auf die Gültigkeit eines Regulierungssystems ihr Verhalten daran ausgerichtet und langfristig investiert haben, durch einen regulatorischen Systemwechsel dann aber um die Erträge ihrer Investitionen gebracht oder in höhere Risiken gezwungen werden. Nicht überraschend werden die nun von der EU-Kommission präsentierten Grundzüge eines Vorschlags zur gemeinsamen Europäischen Einlagensicherung, kurz EDIS (European Deposit Insurance System), vor allem in Deutschland von Banken und Sparern und ihren Verbänden abgelehnt, weil sie als ein solcher Raubüberfall eingeschätzt werden, der gleichzeitig mit einer weiteren Vertiefung der EU-Integration verbunden ist.

Bankenunion als Vertiefung der EU-Integration durch eine „Flucht nach vorne“

Die Vereinbarung der Europäischen Bankenunion war unter dem Eindruck der globalen Finanzmarktkrise 2007 ff konsensfähig, eine fundamentale Festigung oder Reform der institutionellen Grundlagen der Euro-Währungsunion waren es nicht. Die Bankenunion ist also als eine integrationspolitische Flucht nach vorne einzuschätzen. Von vorneherein war eine einheitliche Lösung der Einlagensicherung als Element der Europäischen Bankenunion neben den einheitlichen Eigenkapitalanforderungen, der einheitlichen Bankenaufsicht und dem Einheitlichen Bankenabwicklungsmechanismus vorgesehen, jedoch in den Details nicht kompromissfähig, weichen doch die nationalen Systeme in Ausgestaltung, Schutzwirkung und Finanzierung grundlegend voneinander ab.

Gemeinsames System oder einheitliche Standards

Ungelöst blieb, ob überhaupt ein gemeinsames System erforderlich sei oder ob einheitlich Standards für die nationalen Einlagensicherungssysteme gelten sollen, wie sie die Einlagensicherungsrichtlinie, vorsieht. In dieser ist die Garantie von 100 000 Euro pro Einleger und Institut durch nationale Einlagensicherungssysteme festgeschrieben. 14 von 19 Euro-Staaten haben die Richtlinie bisher in nationales Recht umgesetzt, in Deutschland gilt sie seit Juli 2015. Auf der Grundlage der Richtlinie haben die Banken Beiträge in nationale Sicherungssysteme einzubezahlen, damit bis 2024 eine Garantiesumme in Höhe von 0,8% der geschützten Einlagen der Banken erreicht wird. Die entsprechenden Summen sollen unabhängig von Schadensfällen und ex ante zur Verwendung stehen und nicht erst bei Problemen organisiert werden müssen, wie dies in manchen EU-Staaten heute der Fall ist. Bislang ungeklärt blieb, ob es einen gemeinsamen europäischen Fonds für die Einlagensicherung geben würde.

Ein „nicht faires“ Versicherungssystem

Darüber wurde mit dem Kommissionsvorschlag nun Klarheit geschaffen. Die nationalen Einlagensicherungssysteme sind sukzessive in einen europäischen Einlagensicherungsfonds zu transformieren. Aus den nationalen „Deposit Guarantee Schemes“ wird nun ein „European Deposit Insurance Scheme“, also ein Versicherungssystem. Aus einer von den nationalen Fonds dominierten „Rückversicherung“ soll eine „Mitversicherung“ nationaler und europäischer Mittel entstehen und ab 2024 soll dann ausschließlich das gemeinsame europäische Sicherungssystem für die Entschädigung von Einlegern zuständig sein. Von der EU wird der finale Zustand als „Vollversicherung“ bezeichnet. Wird der aktuelle Status der zu sichernden Einlagen in den einzelnen Mitgliedsstaaten berücksichtigt, sind tatsächlich Zweifel angebracht, ob der Begriff der Versicherung angebracht ist, zumal wenn von risikoadäquaten – also fairen – Prämien ausgegangen wird. Der aktuelle Vorschlag sieht keine Sonderregeln für einzelne Bankengruppen oder Mitgliedsstaaten vor. Die vollständige Fundierung des nationalen Fonds ist Voraussetzung für den Zugang zum EDIS. Dieser soll vom „Single Resolution Board“ (SRB), der Europäischen Abwicklungsbehörde verwaltet werden. Dass dabei Interessenkonflikte geschaffen werden, wird bislang kaum thematisiert. Formell sind die nächsten Schritte die Zustimmung des Ministerrats und des EU-Parlaments. Eine Fortsetzung der intensiven und kontroversen Diskussionen ist zu erwarten.

Entkoppelung von Entscheidung und Verantwortung

Ein System der Einlagensicherung soll ein vertrauensförderndes Instrument sein, mit dem die Finanzmarktstabilität positiv beeinflusst wird. Allerdings werden mit der Existenz eines solchen Systems auch die Anreize der Einleger sowie der Banken beeinflusst. Ein häufig vorgebrachtes kritisches Argument besteht darin, dass es Einleger – im Schadensfall gut abgesichert – versäumen, die Aktivitäten der Bank und ihr Risikogebaren ausreichend zu überwachen. Ein Moral Hazard-Verhalten der Bank in Form des Eingehens höherer Risiken kann dann nicht ausgeschlossen werden. Dies gilt umso mehr im EU-Kontext der derzeitigen heterogener Sicherungssysteme sowie großer Unterschiede in der Qualität der Bankbilanzen im Hinblick auf den Anteil notleidender Forderungen der Banken. Solange die nationalen Altlasten der Banken nicht bereinigt sind, trägt ein gemeinsames Einlagensicherungssystem zu einer weiteren Verschlechterung der Anreizstruktur für Banken und Einleger bei, die zu einem Risikotransfer zulasten von Akteuren in einem Umfeld gesunder Bankbilanzen führen. Verschärft wird diese Konstellation noch dadurch, dass die Verbindungslinien zwischen Staaten und Banken noch lange nicht gekappt sind, auch dies unterschiedlich über die Union verteilt. Zusammengefasst bedeutet dieser Hintergrund, dass das Umfeld für EDIS dessen Glaubwürdigkeit deutlich beeinträchtigt. Dass nun eine gemeinsame Garantie für Einlagen und damit eine gemeinschaftliche Haftung für sie entsteht, passt nicht zu einer ungeklärten Vorgeschichte, die in ein neues Regime übertragen wird. Auf den Vorwurf, dass es zu einer Entkoppelung zwischen Entscheidung und Verantwortung kommt, ist nun näher einzugehen.

Transfer von Risiken und Budgets durch Altlasten von Banken und Staaten

In einer jahrelangen Übergangszeit existieren nämlich nach wie vor Systeme nebeneinander, die sehr unterschiedliche Standards aufweisen, was damit verbunden ist, dass sich das Risiko von Einlegern erhöht, die ihre Einlagen in einem vollausgebauten Einlagensicherungssystem aufgebaut haben, während sich durch die Vergemeinschaftung bzw. deren Perspektive das Risiko von Einlegern reduziert, deren nationales Umfeld ein rudimentäres Sicherungssystem bildet, das erst im Schadensfall die erforderlichen Summen beschafft. Es ist ein offenes Geheimnis, dass in den Bilanzen von Banken in Griechenland, Portugal, Spanien, Italien, Zypern und Irland nach wie vor viele Milliarden notleidender Kredit verborgen liegen. Die faktische Vergemeinschaftung verborgener Altlasten von Banken führt zu eigentlich nicht intendierten Tansfers zu Banken und Staaten, die auf diese Weise ermuntert werden, die vereinbarten Reformen zu unterlassen, zumindest zu verzögern. Die Verzögerung der Bereinigung der Bankbilanzen wird noch dadurch verstärkt, dass einzelne Einflussfaktoren auf die Bankperformance und deren Konsequenzen nicht harmonisiert sind. Ein eindrucksvolles Beispiel ist das Insolvenzrecht, das in der EU unterschiedlich streng ausgestaltet ist. So ist es in manchen Staaten nicht einfach möglich, hinterlegte Sicherheiten für notleidende Kredite zu verwerten. Auf diese Weise werden zusätzliche Risiken für die Gemeinschaft generiert. Der damit verbundene Vertrauensverlust der Einleger ist nicht stabilitätsfördernd ist und läuft der Intention der Bankenunion entgegen.

Missachtung von Risikoprofilen und bewährten Geschäftsmodellen

Die Beiträge der Banken zu EDIS sollen risikoabhängig ausgestaltet sein, wobei die Details der Risikomessung und Beitragsgestaltung bisher offen geblieben sind. Es ist naheliegend, dass diesbezüglich zahlreiche Ansatzpunkte für Umverteilungen bestehen. Daher ist auch zu befürchten, dass Banken-Geschäftsmodelle und Risikoprofilen vernachlässigt werden, die bereits Jahrhunderte vor der Bankenunion erfolgreich waren und die eigene Sicherungssysteme aufgebaut und mit Erfolg umgesetzt haben. Zu nennen sind die genossenschaftlichen Finanzverbünde sowie die Sparkassengruppen. Ihre Risikoprofile sowie ihr realwirtschaftlich und nachhaltig ausgerichtetes Geschäftsmodell wird von europäischen Bankenregulatoren zwar in Sonntagsreden gerne gelobt, in konkreten Regulierungsvorgaben jedoch auch nicht in Ansätzen berücksichtigt. Besonders drastisch zeigt sich dies nun bei EDIS. Zusätzlich sollte sehenden Auges zur Kenntnis genommen werden, dass insgesamt sowohl die nationalen als auch der zu bildende europäische Fonds nicht ausreichen, um strukturelle Probleme abzufangen. Diese werden aber umso größer, je weniger im Vorfeld die noch bestehenden Probleme in Bankbilanzen und Staatshaushalten bereinigt werden. Vor diesem Hintergrund wird EDIS zu einem weiteren Transferinstrument im Rahmen der Bankenunion, denn die resultierenden Probleme sind dann von vorneherein gemeinsame.

Vernachlässigte Wurzel des Unbehagens mit EDIS: Defizitäre Integrationslogik

Die institutionelle Integration in der Europäischen Union ist weit fortgeschritten. Es ist davon auszugehen, dass jeder weitere Integrationsschritt Widerstand von Gesellschaftsgruppen und Mitgliedsstaaten mit funktionierenden Systemen, die zur Vergemeinschaftung anstehen, hervorrufen wird. Hingegen wird von Staaten mit defizitären Institutionen Unterstützung von der Gemeinschaft erwartet und gefordert, die bisher nicht nur mit diskretionär vereinbarten Transferzahlungen, sondern auch mit Schritten einer weitere Vertiefung der Integration beantwortet wurden. Beide Positionen resultieren aus Anreizstrukturen, die seinerzeit mit der Währungsunion geschaffen wurden und deren Konsequenzen immer wieder deutlich zutage getreten sind. Im Konfliktfall dominieren die Interessen einzelner Wirtschaftssubjekte und einzelner Mitgliedsstaaten die gemeinsamen Interessen. Regeln, die eine Orientierung an gemeinsam vereinbarten Zielen und Standards institutionalisieren sollen, werden konsequent verletzt. Dies gilt selbst dann, wenn Sanktionen angedroht waren.

EDIS als weiteres Instrument einer Transfer- und Haftungsunion

Dieses Interessengeflecht ist bis heute wirksam. Eine glaubwürdige EU-Integrationsstrategie hätte also noch vor der Bankenunion die institutionellen Voraussetzungen der Währungsunion zu reparieren (Fiskalregeln etc.) gehabt. Weitere Vertiefungsschritte werden zudem nicht ohne Fortschritte in Richtung einer politischen Union auskommen, sollen sie nachhaltig sein. Denn solange die politischen Systeme nicht konsequent europäisiert sind, werden die letztlich nicht vermeidbaren Interessenkonflikte im nationalen Interesse entschieden werden. Anschauliche Beispiele liegen vor, dies nicht nur im wirtschaftlichen Bereich der Banken und Staatshaushalte. Werden die folgenden Fehlentwicklungen dann immer wieder mit weiteren Vertiefungsschritten „saniert“ ohne dass die politische Finalität je geklärt worden wäre, kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein stabiler Integrationsstand in der Europäischen Union erreicht werden kann. Auch eine Politische Union scheint heute aus naheliegenden Gründen alles andere als konsensfähig zu sein. EDIS ist in diesem Kontext dann tatsächlich als ein regulatorischer Raubüberfall einzuschätzen, der durch die Hintertür zur Verfestigung einer EU-Transfer- und Haftungsunion beiträgt.

Literatur:

European Commission (2015): Fact Sheet A European Deposit Insurance Scheme (EDIS) – Frequent-ly Asked Questions, Strasbourg, 24 November 2015, hier

European Commission (2015): Proposal for a REGULATION OF THE EUROPEAN PARLIAMENT AND OF THE COUNCIL amending Regulation (EU) 806/2014 in order to establish a European Deposit Insur-ance Scheme, 24. November 2015, hier

Sinn, H.-W.: Katastrophalen Unsinn sollte man nicht wiederholen!, WirtschaftsWoche, 04.12.2015, S. 39, hier

Siehe auch:
Vollmer, U. (2015): Die gemeinsame Europäische Einlagensicherung EDIS. Was ist davon zu halten? Wirtschaftliche Freiheit, 1. Dezember 2015, hier

Zuerst erschienen auf wirtschaftlichefreiheit.de

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Klaus Kolbe

Wie hatte doch der deutsche Papst Benedikt XVI. am 22. September 2011 im Bundestag den heiligen Augustinus zitiert:

„Nimm das Recht weg – was ist dann ein Staat noch anderes als eine große Räuberbande.“

Daß Frau Merkel und ihre Entourage in Berlin sich, wenn es ihren Zielen dient, kein bißchen um Recht und Gesetz scheren, ist bekannt – und von Staatsrechtlern schon festgestellt.

Und diese EU, die noch nicht einmal ein Staat ist (und hoffentlich auch nie wird), bricht ebenfalls reihenweise Recht und Gesetz.

Gravatar: Hans Meier

Das System-Immanente innerhalb der Beschlussfähigkeiten in der EU ist es, diesen „Raubüberfall“ per politischer Verordnungen, als legal darzustellen.
Auch wenn nirgendwo die betroffene Bevölkerung, den Hauch einer Chance gehabt hat, demokratisch auf solche Entwicklungen Einfluss zu nehmen.
Es geht offensichtlich darum, nicht nur die Bonität Deutscher Sparkassen und Vereinsbanken zu missbrauchen, sondern auch deren Einlagensicherung an „Hinz und Kunz“ zu übertragen.
Die „Bankräuber“ werden immer gewiefter, sie kommen nicht mehr vermummt an den Schalter, um sich bewaffnet Bargeld aushändigen zu lassen, sie organisieren sich als EU-Beauftragte, um ganz große, zig Milliarden schwere Raubzüge, per selbstgefertigten Vorschriften durchzuziehen.

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