Die "Euro-Schizophrenie"

Beim Begriff Dogma erinnere ich mich an meine Zeit als Messdiener in Hamburg. An der St. Elisabeth-Kirche in Harvestehude lernte ich alles über Jesus’ unbefleckte Empfängnis, und wie er von den Toten auferstanden und gen Himmel gefahren sei.

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Ich staunte. Nicht dass es mir freigestellt gewesen wäre, diese Vorstellungen anzunehmen oder abzulehnen. Sie waren ein unantastbares Muss. Der Rotwein, den die Priester tranken, war echtes Blut Christi, die Hostie, die ich essen musste, sein wirkliches Fleisch. Allerdings wunderte ich mich, dass es nicht wie Fleisch, sondern wie Oblate schmeckte.

Heute wundere ich mich, dass unsere Politiker und führende Vertreter unsere Medien ihre Liebe zum Euro wie eine Hostie vor sich hertragen. Und wehe, einer sagt, es handle sich um ein Stück Selbstgebackenes, von dessen Genuss abgeraten werden muss. In fundamentalistischen Staaten wird umgebracht, wer einem Dogma den Glauben verweigert. Bei uns wird man nur mundtot gemacht.

Man büßt es, anderer Meinung über den Euro zu sein als die Kanzlerin und die Presse. Trotzdem höre ich auch von Kollegen aus der Industrie und lese in der Presse immer öfter kritische Worte über diese verzweifelten Rettungsmaßnahmen, die zugunsten der künstlichen Währung und zu Lasten der realen Steuerzahler gehen. Immer offener werden die Rettungsmaßnahmen kritisiert, durch die ganze Nationen in Geiselhaft genommen werden. Lautstark empören sich sogar Chefredakteure und „Edelfedern“ über die Kanzlerin und ihren Finanzminister - und „unter Vier Augen“ auch DAX-Vorstände - die diese fatalen Entscheidungen als „alternativlos“ verkaufen: „Schluss mit dem Milliarden-Wahnsinn der Bürgschaften!“ rufen viele in der Presse. „Schluss mit den immer gewagteren Versprechen, für andere Schulden abzutragen, für die man selbst Schulden aufnehmen muss!“ sagen andere in kleinen Kreisen. Das Entsetzen, welches der für den Süden zu starke Euro dort angerichtet hat, verbreitet sich auch bei uns immer mehr.

Längst habe ich die Übersicht darüber verloren, wie oft der „Spiegel“ den Euro schon auf der Titelseite beerdigt hat. Aber seltsam – das, wofür gebürgt wird, genießt weiterhin den Schutz der Medien und der Öffentlichkeit: der Euro. Die Währung, die uns das Desaster gebracht hat, bleibt unantastbar. Alle, die in Sachen Rettungsschirme meiner Meinung sind, fügen am Ende des Gesprächs regelmäßig hinzu: „Aber der Euro soll bleiben.“

Der Euro soll also bleiben. Doch die Maßnahmen, die sein Überleben garantieren sollen, nicht. Offenbar ist keinem die Unlogik dieser Sichtweise aufgefallen. Die „Augen zu und durch – Logik“ unserer Euroretter ist zwar falsch, aber wenigstens in sich stimmig. Will man den Euro retten, muss man mehr oder weniger so handeln, wie sie es jetzt seit drei Jahren getan haben. Ohne unsere Bürgschaft von hunderten Milliarden Euro gäbe es längst keinen Euro mehr.

Die Kritiker aber, die den Euro zwar behalten, ihn aber nicht retten wollen, stellen die Logik auf den Kopf. Ich nenne das Euro-Schizophrenie.

Beitrag erschien zuvor auf: Handelsblatt.com

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Griechenland und Portugal sollten wieder in den Stand versetzt werden, selbst Geld zu drucken. Nur mit dieser Methode konnten sie bis zum Eintritt in den Euroraum überleben. Sie scheinen nicht reformfähig und sollten auch aus der EU austreten. Danach Zollgrenzen hoch. Gegen China kann sich ein Griechenland oder Portugal nicht behaupten. Ende mit dem Freihandel, wenn er nur zu Not und Elend führt.

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