Die EURO 2012 und der Euro 2012

Die Deutschen machen sich zur Zeit mehr Gedanken über Fußball als über den ESM. Bevor das Endspiel im Sport ansteht, soll deswegen noch schnell das Gesetz zum ESM durchgepeitscht werden. Ein Zufall? Wohl kaum.

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Immer wieder ließen deutsche Kanzler durch den Fußball Wasser auf ihre Mühlen lenken. Helmut Kohl bot dem damaligen Bundestrainer Bertie Vogts öffentlichkeitswirksam das „Du“ an. Gerhard Schröder erhob kostenloses Bundesligafernsehen zu einem Menschenrecht. Auch Angela Merkel demonstriert gern beim Torjubel, wie nah sie bei den Leuten ist. Aber noch nie hat ein Fußballereignis so von den verheerenden Folgen der Politik abgelenkt, wie die EURO 2012 von der Europolitik 2012.

 

Allein die Nachrichten aus der vergangenen Woche hätten einen landesweiten Proteststurm gegen den Fiskalpakt und den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) auslösen müssen:

     

  1. Griechenlands neuer Premierminister forderte zwei Jahre mehr Zeit für seine Reformen. Das bedeutet, dass deutsche, finnische und holländische Steuerzahler bald das dritte Rettungspaket nach Athen versenden dürfen.
  2. Der spanische Regierungschef schlug eine Bankenunion vor. Diese würde deutsche Sparer mit ihren Einlagen für Pleitebanken im Süden in Mithaftung nehmen!
  3. Um die hohen Zinslasten nicht allein tragen zu müssen, forderte Italiens Ministerpräsident mehr Aufkäufe seiner Staatspapiere durch die Europäische Zentralbank. Wegen solcher Aufkäufe sind schon Bundesbankpräsident Axel Weber und EZB Chef-Ökonom Jürgen Stark zurückgetreten. Allerdings führten beide dafür „persönliche Gründe“ an!
  4. Während mit dem Fiskalpakt mehr Disziplin im Euroland eingeführt werden soll und die Deutschen sich auf die Rente mit 67 vorbereiten, präsentierte Präsident Hollande seinen Landsleuten die erste Rate einer Reduzierung des Renteneintrittsalters von 62 auf 60.
  5.  

Der Fiskalpakt dient hauptsächlich zur innenpolitischen Beruhigung der deutschen Bürgerinnen und Bürger für die Zustimmung zum ESM durch die Politik. Wie man sieht, die dort aufgeschriebenen Selbstverpflichtungen werden schon jetzt nicht mehr ernstgenommen. Die Franzosen haben sogar den einzigen echten Zahn im Kukident-Gebiss des Fiskalpakts gezogen: die Schuldenbremse. Diese steht zwar jetzt im deutschen Grundgesetz, aber nicht dort, wo sie viel nötiger wäre, im französischen. Im letzten Jahr war die Neuverschuldung Frankreichs fast viermal so hoch wie bei uns.

Ein beispielloses Hau-Ruck-Verfahren

Obwohl die Kanzlerin, jeweils nach lautem Zögern, jede der vorher energisch in den Sand gezogenen roten Linien leise überschritten hat, erstaunt es, wie unsere Medien immer wieder behaupten können, sie hätte sich durchgesetzt. Von ihrer ersten Positionierung im Frühjahr 2010 („Griechenland muss raus“) ist nichts übrig geblieben. Die „No-Bail-Out-Klausel“ - die Brandmauer zwischen deutschen Steuerzahlern und ausgabefreudigen Politikern in anderen Ländern - hat sie auf französischen Druck zum Einsturz gebracht.

 

Jetzt sagt sie auf Ewigkeit - genau so steht es im ESM-Vertrag! - handfeste finanzielle Verpflichtungen Deutschlands völkerrechtlich verbindlich zu und bekommt mit dem Fiskalpakt dafür im Austausch ein unverbindliches Stück Papier, von dessen Bedingungen sich schon bis heute die Politik der meisten Südländer distanziert haben.

Da sich in diesen Tagen die Deutschen mehr Gedanken über den Fußball als über den ESM machen, dürfte es kein Zufall sein, dass die Bundesregierung dieses finanzielle Ermächtigungsgesetz unbedingt vor dem Endspiel der EURO 2012 von der Tagesordnung haben will. Dazu hat sie ein beispielloses Hau-Ruck-Verfahren ersonnen. Obwohl gegen dieses Gesetz zahlreiche Verfassungsbeschwerden angekündigt wurden, unter anderem auch von einer ehemaligen Bundesjustizministerin, soll es am Freitag, 29. Juni, tagsüber durch den Bundestag und abends durch den Bundesrat gepeitscht werden. Am Samstag, 30. Juni, sollte es der Bundespräsident auf die Schnelle unterschreiben. Am Sonntag, dem 1. Juli, findet das Endspiel der EURO 2012 statt.

Dass damit das Endspiel um den ESM noch nicht verloren ist, haben wir Bundespräsident Joachim Gauck zu verdanken. Er hat sich geweigert, dieses Gesetz ohne gründliche Prüfung zu unterschreiben.

Im Mai 2010, als die „No-Bail-Out-Klausel“ gekippt wurde, befand sich Gaucks Vorvorgänger, Horst Köhler, in ähnlicher Situation. Auch damals stimmten Bundestag und Bundestag im Eilverfahren an einem Freitag zu. Dann aber nahm die Geschichte einen anderen Verlauf: Köhler unterschrieb am Samstag und trat dann am darauf folgenden Montag zurück; auch aus „persönlichen Gründen“.

 

Beitrag erschien zuerst auf handelsblatt.com

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Modert Jang

"Brot und Spiele". Die Methoden sind über 2000 Jahre alt und scheinen immer noch zu funktionieren. Und damit man auch wirklich sicher gehen kann, gibt es die Olympischen Spiele nach dem Fussball sozusagen als Verlängerung hinzu. Und wenn das auch noch nicht reichen sollte, gibt es im Herbst in Luxemburg noch eine Hochzeit bei Hofe die zur gegebenen Zeit wohl auch noch medial hochgezogen werden wird...

Gravatar: rudi weiss

Kann nur zustimmen. Gerade was Sie über den Fiskalpakt sagen. Er ist eigentlich nicht das Papier wert auf dem er aufgeschrieben ist. Alles viel zu schwammig und unpräzise. Soll als Beruhigungsmittel für den ESM dienen.
Bin nur gespannt was uns für ein "Ding" während des nächsten sportlichen Großereignisses diese Jahres (Olympia)untergejubelt wird.

Gravatar: Bazo

panem et circenses! Wie immer!

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