Die Erdogan-Türkei: ein Abgrund, auch an beklemmenden Fragen

Wie viele Verbrechen darf die Türkei noch begehen? Was hat dieses Land noch auf der Liste der Nato-Mitglieder und EU-Beitrittskandidaten verloren?

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Wie verlogen, charakterlos und korrupt kann die europäische Sozialdemokratie in ihrem Abstieg und dem dadurch ausgelösten Anbiedern an die Türkei noch werden? Wann erklärt die EU endlich alle teuren Abkommen mit der Türkei für erloschen? Und: Wie geheim ist ein Geheimdienstbericht?

Die Erdogan-Türkei wirft viele beklemmende Fragen auf. Die Antwort auf die erste war im Grund jedem im Westen seit längerem klar. Sie wurde nur von den Regierungen nie laut ausgesprochen. Sie lautet: Die heutige Türkei ist direkt wie indirekt in mehr Verbrechen involviert als jeder andere europäische Staat.

Für diese Erkenntnis hat es gar nicht erst der weitaus größten Verhaftungswelle in einem europäischen Land seit Stalin und Hitler bedurft, die der türkische Machthaber Erdogan nach dem (angeblichen oder wirklichen) Putsch unter Zehntausenden Richtern, Polizisten, Beamten, Professoren, Anwälten und Journalisten veranstaltet hat (derzeit hält die Zahl der Opfer bei 35.000! Und sie alle sollen in einen geheimen Putsch involviert gewesen sein…).

  • Dazu hat es auch nicht der besonders beklemmenden Tatsache bedurft, dass Erdogan Zehntausende normale Kriminelle freilässt, um für die politischen Gefangenen Platz zu schaffen.
  • Dazu hat auch nicht erst der an Hitlers „Kauft nicht bei Juden!“ erinnernden Aufrufe türkischer Auslandsvereine bedurft, Firmen des mit Erdogan verfeindeten Predigers Gülen zu boykottieren.
  • Dazu hat es nicht der Gewalttaten und anderer Rechtswidrigkeiten von Ankara aufgepeitschter Türkenverbände in Wien und anderen europäischen Städten bedurft.
  • Dazu hat es auch nicht der neu aufgeflammten Christenverfolgung in der Türkei bedurft.
  • Dazu hat es auch nicht des überraschenden Durchsickerns eines deutschen Geheimdienstberichts bedurft, der die Türkei als Förderer bewaffneter Islamisten, als Drehscheibe des Terrors, als "zentrale Aktionsplattform" für Islamisten im Nahen Osten entlarvt.

Nicht erst die letzten Wochen enthüllen Erdogans Charakter

Denn schon die jüngsten türkischen Wahlen mit dem massiven Kampf gegen die letzten freien Medien haben bewiesen, dass die Türkei keine Demokratie mehr ist. Aber auch bereits davor gab es zahllose Indizien für den Absturz der Türkei in eine islamistische Diktatur:

  • Schon die Tatsache, dass Tausende Terroristen des „Islamischen Staats“ völlig frei über die Türkei nach Syrien reisen konnten (und zurück), hat die Mitschuld der Türkei an den grässlichsten Verbrechen in Syrien eindeutig bewiesen.
  • Schon die Tatsache, dass in Deutschland ein Viertel der als Kämpfer zum IS gereisten Islamisten türkischstämmig sind, hat bewiesen, dass in türkischen Vereinen und Moscheen im Westen ganz offensichtlich verbrecherisches Gedankengut propagiert wird.
  • Schon die Tatsache, dass die Erdogan-Türkei seit Jahren offen die palästinensische Terror-Organisation Hamas unterstützt, hat ihre Orientierung bewiesen.
  • Schon die Tatsache, dass türkische „Gerichte“ neuerdings ganz im Sinne einer fundamentalistischen Koran-Auslegung Sex mit Kindern als zu streng bestraft ansehen, zeigt, wohin der Weg dieses Landes geht.
  • Schon Erdogans Umgang mit Kurden, Armeniern und dem einstigen Völkermord an diesen hat gezeigt, dass dort die Mentalität der einstigen Großwesire wiederaufgelebt ist.

Der Westen sieht nichts, hört nichts, riecht nichts

Viel erstaunlicher ist, dass die meisten Regierungen des Westens dazu bis heute alle Ohren, Augen und Nasen zumachen (mit der lobenswerten Ausnahme Österreichs, die Außenminister Kurz zu danken ist, dem sich – unter dem Druck der Kronenzeitung? – erstaunlicherweise auch Bundeskanzler Kern angeschlossen hat). Sie akzeptieren die Türkei weiter in der Nato und behandeln sie als EU-Beitrittskandidat.

  • Gewiss: Die Türkei stellt in der Nato nach den USA die zweitgrößte Armee (eher fraglich ist allerdings, ob diese auch die zweitstärkste ist, wird sie doch seit Jahren nicht einmal der kurdischen Partisanen im Osten Herr).
  • Gewiss: Die Türkei liegt strategisch ungemein zentral und wichtig.
  • Gewiss: In der Türkei gibt es einen großen westlich orientierten, meist laizistisch, links oder liberal denkenden Mittelstand, der die eindrucksvolle wirtschaftliche Stärke des Landes aufgebaut hat.

Jedoch sind dieser Mittelstand und der auf Kemal Atatürk zurückgehende Laizismus und Modernisierungswille durch den immer radikaler werdenden Primitiv-Islamismus eines Erdogan – zumindest bis auf weiteres – total besiegt worden.

Ebenso enorm ist aber auch der Schaden, den diese türkische Nato/EU-Bindung im Westen selbst anrichtet: Wo bleiben da noch die gemeinsamen Werte, die doch die entscheidende Basis der gegenseitigen Beistandsgarantie in der Nato sind (und deretwegen auch ich lange einen Nato-Beitritt unterstützt habe)? Wo sind die gemeinsamen Werte der EU, von der in weltfremden Sonntagsreden – zwischen Brüssel und Alpbach – bisweilen noch immer die Rede ist?

Der Schaden für Nato und EU ist mit absoluter Sicherheit weit größer als jeder erhoffte Vorteil durch die türkische Mitgliedschaft.

Richter und Sozialdemokraten als Helfer der Türkei

„Aber das Flüchtlingsabkommen!“ stottern manche blind-taub-geruchslos gewordene Europäer. Abgesehen davon, dass das Abkommen von Anfang an eher an den Faust-Mephisto-Pakt erinnert hat: Der rein finanzielle Teil könnte sogar weiterlaufen. Das heißt, die Türkei könnte so wie etwa Marokko (ebenfalls ein dubioses Land) Geld bekommen, um den Migrationsstrom schon vor der Grenze der EU abzufangen. Ein unguter Deal gewiss, aber wenigstens einer zu gegenseitigem Nutzen. Allerdings hält Marokko sein Abkommen korrekter ein als die Türkei.

Sich jedoch durch ein solches Abkommen überdies auch eine Mitgliedschaft und eine Visa-Freiheit für die Türkei abpressen zu lassen, wäre absoluter Wahnsinn, der nur einer Angela Merkel in ihrer finalen Krise einfallen kann. Und vor allem: Die griechischen Richter – offenbar denen in Europa und Österreich sehr ähnlich – boykottieren ohnedies den Kern des Abkommens, nämlich die Rückschiebung von Asylwerbern Richtung Türkei (obwohl dort ja nur liberale und kurdische Menschen verfolgt werden, nicht aber afghanische oder syrische Moslems, die den Hauptstrom der Asylwerber bilden).

Die Völkerwanderung insgesamt kann - wenn überhaupt - nur noch durch das seit einiger Zeit auch von Außenminister Kurz propagierte australische Modell gestoppt werden, also durch Verbringung aller illegal Einreisenden in Lager an der EU-Außengrenze.

Noch viel mehr als im deutschen Kanzleramt und in der EU-Kommission sitzen die an der völlig falschen Reaktion auf Erdogan Schuldigen in der deutschen Sozialdemokratie. Diese hat sich zum Paten der türkisch-nationalistisch-fundamentalistischen Türken in Deutschland entwickelt, weil sie unter ihnen viele Wähler erhofft. Sie verhindert daher noch mehr als Merkel jede ernsthafte Maßnahme gegen die Erdogan-Türkei. Aus dieser Motivation heraus hat die SPD auch die Doppelstaatsbürgerschaft ermöglicht, was Hunderttausenden Türken ermöglicht, alle Vorteile eines deutschen Passes zu konsumieren, zugleich aber auch ihre volle Loyalität mit der Türkei in ihrem heutigen Zustand zu demonstrieren.

Es sind auch in Österreich die Sozialdemokraten (ein Herr Ostermayer) gewesen, die Hauptschuld am neuen Islamgesetz tragen, das zum Ergebnis geführt hat, dass die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich heute de facto ein Befehlsempfänger Ankaras ist.

Das zeigt einen unglaublichen moralischen Verfall der Sozialdemokratie. Diesem Verfall ist ausdrückliches Lob für viele Grüne und (in Deutschland) Exponenten der Linkspartei entgegenzuhalten, die immer mutiger mit ihrer Kritik an der Türkei werden. Wobei bei den österreichischen Grünen allerdings die Pro-Erdogan-Türken noch immer starke Unterstützung durch die Parteichefin haben. Dass die zwei Linksaußen-Parteien das wohl nicht nur aus ethischen Gründen getan haben, sondern auch in der Hoffnung auf kurdische und türkisch-laizistische Stimmen, sei freilich nicht verschwiegen.

Sozialabkommen mit der Türkei kündigen

Eine weitere mögliche Konsequenz der zahlreichen Rechtsverletzungen durch die Türkei ist bisher öffentlich noch gar nicht angesprochen worden: Das betrifft die Sozialabkommen, die zwischen der EU und der Türkei seit 50 Jahren bestehen. Die die österreichischen, deutschen und europäischen Steuerzahler sehr teuer kommen.

Wann, wenn nicht jetzt, wäre der legitime Zeitpunkt gekommen, diese Abkommen zu kündigen? Diese ermöglichen etwa hier lebenden Türken nicht nur unbegrenzten Familiennachzug und Bezug von Familienbeihilfen, sondern auch die Anrechnung von Pensions-Wartezeiten, die sie in der Türkei erworben haben. Es wäre höchst an der Zeit, diese Privilegien zu kündigen.

Jeder Vertrag ist ja sowieso laut Völkerrecht kündbar, selbst wenn die Gegenseite nicht rechtsbrüchig wäre. Aber die Türkei ist vielfach ein rechtsbrechender Staat. Die in diesen Abkommen stehenden Privilegien sollten künftig nur noch jenen türkischstämmigen Menschen zugutekommen, die sich komplett, ausschließlich und nachweisbar für die österreichische (oder deutsche usw.) Identität entschieden haben. Und auch hier zu arbeiten gewillt sind. Was ja viel weniger tun als bei der autochthonen Bevölkerung.

Die deutschen Geheimdienste

Das einzige Rätsel, das noch offen bleibt: Wie kann eine geheime Analyse der deutschen Nachrichtendienste über den wahren Zustand der Türkei gegen den Willen der Berliner Regierung durch eine angeblich „vertrauliche“ Anfragebeantwortung im deutschen Bundestag an die Öffentlichkeit kommen? So wertvoll dieses Bekanntwerden auch ist, so führt das doch die Dimension „Geheim-“ bei „Geheimdiensten“ völlig ad absurdum. Das ist ja keineswegs der erste solche Fall. Man denke etwa nur an Wikileaks.

Aber es stellt sich nicht nur die Frage, wie das öffentlich geworden ist: Durch die Linken, die die Anfragebeantwortungen erhalten haben? Durch Beamte, welche die verlogene deutsche Regierungspolitik bloßstellen wollten? Durch den Innenminister, der so über die Bande die Türkeifreundlichkeit Merkels und der SPD attackieren wollte?

Noch spannender und vor allem beklemmender sind einige weitere – durchaus widersprüchliche – Fragen, die dieser Vorgang auslöst:

  1. Was haben Geheimdienste eigentlich noch für einen Sinn, wer wird ihnen überhaupt jemals noch Informationen zutragen, wenn dabei ständig damit zu rechnen ist, dass das an die Öffentlichkeit getragen wird?
  2. Wie zynisch muss eine Regierung sein, die trotz dieser – ihr ja schon lange bekannten – Informationen über das wahre Wesen der Erdogan-Türkei einen so türkeifreundlichen Kurs gefahren ist?
  3. Ist das nicht der endgültige Beweis der Hilfslosigkeit Europas gegenüber dem islamischen Fundamentalismus?
  4. Wie kann man es als – theoretisch – demokratisch letztverantwortliche Öffentlichkeit ertragen, dass bei der von den Bürgern gewählten Regierung geheimes Wissen und öffentliches Handeln so diametral, so verlogen auseinanderklaffen?
  5. Wie kann ein Deutscher jemals seiner eigenen Regierung in anderen Fragen noch irgendwie vertrauen?
  6. Und: Gibt es für einen Österreicher irgendeinen Grund anzunehmen, dass seine Regierung mehr Charakter hätte? (Sie hat nur sicher keine so guten Nachrichtendienste wie die deutsche…)

PS: Angesichts von 35.000 politischen Gefangenen in der Türkei ist die angebliche Gefangenenhilfsorganisation Amnesty international skandalös leise. Für ein paar Dutzend politische Gefangene in Guantanamo war dieser Verein – den auch ich einst für ethisch positiv angesehen habe – hingegen tausend Mal lauter aktiv. Obwohl sich in Guantanamo wahrscheinlich weit mehr Gewalttäter befinden als unter allen Opfern Erdogans.

PPS: Und jedenfalls sollten wir uns erinnern, dass Erdogans Weg in den terrorverstrickten Islamismus mit der in den Augen naiver Westeuropäer scheinbar so harmlosen Aufhebung des Kopftuchverbots begonnen hat.

Zuerst erschienen auf www.andreas-unterberger.at/2016/08/die-erdogan-trkei-ein-abgrund-auch-an-beklemmenden-fragen/

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Miguel David

Sehr geehrter Dr. Unterberger,

ich fürchte die Sicht auf die Dinge bestimmt deren Beurteilung.
Aus der Sicht des Bürgers haben Sie natürlich vollkommen recht da bin ich ganz sicher, glaube ich.
Aber die Sicht von Regierungen auf Regierungen ist nunmal eine völlig andere. Da Regierungen grundsätzlich unmoralisch handeln indem sie ihre Bürger als Nutzvieh für Waren und Dienstleistungen halten (Geld können sie selber zaubern, konkurrenzfähige Autos z.B. nicht) ist ihnen an Recht oder Moral nicht gelegen, dies lässt sich nunmal prinzipiell nicht mit Herrschaft vereinbaren. Von daher tun sich Regierungen in der gegenseitigen Kritik sehr schwer soweit nicht die eigenen Interessen betroffen sind.Was stört da schon ein Abschlachten von Volksgruppen oder der eine oder andere Krieg auf fremden Kontinent solange die eigene Macht und Herrlichkeit nicht betroffen ist.......

Gravatar: Tengo Pregunta

Was mich am meisten wundert ist, wie blind und blöd müssen Teile der Regierung sein, wenn sie allen Ernstes auf neue Wähler hoffen? Diese Neudeutschen sagen nicht einmal dankeschön; sie machen ihren eigenen Verein auf, kommen damit mühelos in den Bundestag (demographischer Faktor) und befördern ihre ehemaligen Gönner mit einem Fußtritt vor die Tür, wetten daß?

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