Die Brüssler Bedrohung

An seinem immer schlechteren Ruf hat Europa selber Schuld: Immer öfter muss der Kontinent für gesellschaftspolitische Experimente herhalten.

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Im US-Präsidentschaftswahlkampf spielte Europa nur eine Nebenrolle; und zwar nicht als Vorbild, sondern als Schreckgespenst. Selbst der Demokrat Barack Obama berief sich bei der Verteidigung seiner Sozial- und Steuerpolitik nicht auf das europäische Beispiel. Der alte Kontinent, den viele europäische Politiker gern als „soziales Europa“ modellhaft anpreisen und der nach Ansicht von Sozialisten, Sozialdemokraten und Teilen der grünen Bewegung noch weiter ausgebaut werden soll, gilt in Amerika nicht als sozial- und wohlfahrtsstaatliche Oase. Am Wesen Europas wird in puncto soziale und Steuergerechtigkeit, Gesundheitsversorgung und Altersvorsorge oder gar Existenzsicherung die Welt nicht genesen. Sie nimmt auch kaum Notiz davon. Denn Europa ist out.

Europa wird als eine Problemzone wahrgenommen, die als Synonym für Staatsschuldenalkoholismus und Währungschaos, Bürokratismus, ineffiziente Verwaltung, fehlende wirtschaftliche Dynamik, mangelnden Leistungswillen, zu wenig Kreativität, Überregulierung, militärische Schwäche, Überalterung und sogar demokratische Defizite steht. Ein scheinbar rundum sterbender Kontinent.

Sterben in Raten

Dieses Image haben sich die Europäer und ihre Institutionen aber auch selbst zuzuschreiben. Die Staatsschulden- und Euro-Krise wabert ungebremst vor sich hin und allein Deutschland scheint noch ein Fels in der Brandung von drohender Rezession und Inflation zu sein. Doch scheibchenweise sinkt auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble gegenüber den Anforderungen und Begehrlichkeiten der romanischen und südeuropäischen Partner in die Knie. Offenbar sieht Berlin sich gezwungen, ein ums andere Mal nachzugeben. Ein Konzept gibt es nicht. Von außen wirkt dies wie ein quälendes Siechtum mit einem Sterben in Raten. Die Briten koppeln sich schon wieder vom europäischen Mutterschiff ab und fühlen sich mehr angloamerikanisch denn kontinental verwurzelt und verpflichtet.

Derweil wuchert der Brüsseler Wasserkopf unverdrossen weiter. Unaufhörlich gebären die 27 Kommissare aus den EU-Mitgliedsländern neue Richtlinien. Für die Vorlage zu einer solchen Richtlinie hat sich vor wenigen Tagen die ambitionierte Justizkommissarin Viviane Reding das Plazet der Kommission eingeholt, die sich der etwas nervenden Kollegin auch nicht weiter in den Weg stellen wollte. Kommissionspräsident José Manuel Barroso und seine Kollegen konnten sicher sein, dass die Einführung der von Reding gewünschten sogenannten starren Quote von 40 Prozent Frauen in den Aufsichtsräten großer Unternehmen im zustimmungspflichtigen Ministerrat zumindest an der Haltung der deutschen Bundesregierung scheitern wird. Prompt haben Bundeskanzlerin Angela Merkel und Familienministerin Kristina Schröder schon signalisiert, dass auch wegen rechtlicher Probleme nur die von Ministerin Schröder entwickelte Lösung einer von den Unternehmen sich freiwillig selbst auferlegte Flexi-Quote für Aufsichtsräte und Vorstände eine Chance habe. Sogar der Europäische Gerichtshof besteht auf geschlechtsneutralen Stellenausschreibungen, deren Umgehung er als rechtswidrige Diskriminierung qualifiziert.

Doch wo es national mit dem Kopf nicht durch die Wand geht, da wird versucht, gesellschaftliche Veränderungen auf dem Umweg über Europa herbeizuführen. Neuestes Beispiel ist die versuchte peinliche Befragung von Maltas Außenminister Tonio Borg bei sogenannten Anhörungen; Borg werden als dem maltesischen Kandidaten für die EU-Gesundheitskommission homophobe Äußerungen vorgeworfen. Wieder einmal geht es dabei um die Einführung der „gleichgeschlechtlichen Ehe“ als Pendant zur Original-Ehe mit der entsprechenden rechtlichen Privilegierung. Doch aus dem Fall des 2004 wegen seiner christlichen Gesinnung abgelehnten italienischen Politikers Rocco Buttiglione scheint man gelernt zu haben und wird Borg „durchwinken“.

Mehr Rücksicht auf die vielfältige Kultur

Im Kern geht es um Subsidiarität, Vielfalt, Meinungs-, Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die Essentials, die die europäische Staatengemeinschaft als kulturelle Vielfalt attraktiv machen sollen. Doch die europäischen Institutionen trudeln immer mehr in eine Legitimationskrise. Schon werden die Begriffe Eurokratie als Synonym für Bürokratismus und Eurosklerose als Sinnbild für Handlungsunfähigkeit und militärische Schwäche durch Eurokratur als Mixtum von zentralistischem Demokratismus, beispielsweise betreffend die Euro-Rettung, sowie einem diktatorischen Mainstream im Sinne einer unnachsichtigen Dogmatik einer zunehmend eindimensionalen Political Correctness populär. Dies offenbart sich auch in der vielfach einseitig definierten Gender-Mainstreaming-Politik, die durch die Brüsseler Kanäle in die europäischen Provinzen durchgedrückt wird.

Dagegen formt sich vermehrt Widerstand; nicht nur im Bayernland, das sich fast schon naturgegeben als eine einzigartige Region mit vorbildlichen Leistungen auch für andere empfindet. Wer viel leistet und damit auch sozialfähig ist, also signifikant solidarische Beiträge erbringt, der fühlt sich ausgenutzt, wenn man glaubt, ihn wie einen gutmütigen Trottel behandeln zu können. Auf seine vielfältige Kultur wird Europa mehr Rücksicht nehmen müssen.

Gleichwohl ist für viele, die noch draußen sind, dieses schwächelnde Europa immer noch attraktiv. Schon im kommenden Sommer will und wird Kroatien EU-Mitglied werden, auch wenn manche Politiker wie Bundestagspräsident Norbert Lammert allen neuen Beitrittskandidaten gern einen Riegel vorschieben würden. Ob das türkische Interesse an einer Mitgliedschaft in der EU tatsächlich so ernst gemeint und virulent ist, darf allerdings getrost bezweifelt werden. Ministerpräsident Recep Erdogan passt es jedenfalls gut in den Kram, öffentlich energisch auf einer baldigen Mitgliedschaft zu bestehen und dafür auch die USA in die Pflicht zu nehmen. So kann er daheim unter anderem das Militär in Schach halten und dessen Macht immer mehr zurückdrängen.

Keine Isolation auf dem eigenen Kontinent

Da der Fisch immer vom Kopf her stinkt, wäre es an der Zeit, dass die Brüsseler EU-Bürokraten mit Reformen auch bei sich selbst und nicht nur bei Griechen und Italienern beginnen. Was ihre Honorierung und einzigartige steuerliche Privilegierung anbelangt, leben die EU-Beamten in einem wahren Schlaraffenland. Das überbordende Geflecht von Vergünstigungen, Beihilfen und Zulagen aller Art muss endlich transparent gemacht und dann die Treppe von oben gefegt werden.

Für Deutschland aber ist – trotz allem – Europa mindestens so wichtig wie Deutschland für Europa. Eine Zeitlang aber werden gerade die Deutschen noch auf eine sehr enge Partnerschaft mit den USA angewiesen sein, um auf dem eigenen Kontinent nicht in die Isolation zu geraten.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf TheEuropean.de.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Klimax

"Staatsschuldenalkoholismus" - ja glaubt man denn in Amerika im Ernst, dergleichen würde nur Europa und nicht auch Amerika betreffen? Da darf aber gelacht werden.

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