Deutschland verurteilt

Rechtliches Gehör verweigert - Das Verfahren Madaus vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte - Auch für andere Justizopfer von Bedeutung - Nach der deutschen Einheit keine Rückgabe des enteigneten Vermögens - Die Opfer haben gesetzlichen Anspruch auf Rehabilitierung und Wiedergutmachung - Die sechs wichtigsten gesetzlichen Regelungen - Gerichte missachten, was das Gesetz vorgibt - Die Folge des Urteils: Wiederaufnahme des Verfahrens beim Landgericht Dresden in öffentlicher Verhandlung

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Deutschland nennt sich Rechtsstaat. Weitgehend ist er das auch noch. Aber schon längere Zeit nicht mehr immer. In tausenden von Fällen haben Bürger das erlebt und erleben es noch. Wer Recht in Deutschland nicht findet, wendet sich, falls er es vermag, an übernationale Gerichte, zum Beispiel an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg. Zuvor allerdings muss er sämtliche nationalen Gerichtsinstanzen durchlaufen haben und dort abgewiesen worden sein. Einer von diesen Bürgern hat das auf sich genommen, aber in keiner Instanz sein Recht durchgesetzt: Dr. Udo Madaus aus Köln. Daher erhob er Beschwerde vor dem EGMR, wohlwissend, dass dieser nur einen winzigen Bruchteil der jährlich zigtausend Beschwerden annimmt und von den angenommenen nur einen Bruchteil positiv bescheidet. Aber Madaus hat den Prozess gewonnen und der Gerichtshof die Bundesrepublik Deutschland wegen Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention verurteilt (Az: 44164/14).

Auch für andere Justizopfer von Bedeutung

Dieses Urteil wird auch für andere Rechtsfälle Folgen haben. Darüber informiert hat Udo Madaus jetzt auf einer Veranstaltung in Berlin (Hotel Kempinski) mit seinen Anwälten Stefan von Raumer (Berlin) und Dr. Johannes Wasmuth (München). Knapp hundert Interessierte haben an der Veranstaltung teilgenommen, im Wesentlichen solche Opfer deutscher Justiz, die mit dem Fall Madaus vergleichbar sind. Auch für diese anderen Justizopfer ist das EGMR-Urteil - im Zusammenhang mit dem eigentlichen Verfahren vor dem Landgericht Dresden - von grundsätzlicher Bedeutung. Für sie, die sich die kostspieligen Rechtswege bis zum Ende finanziell häufig nicht mehr leisten konnten, hat Madaus seine Verfahren, wie es jetzt in Berlin zum Ausdruck kam, in der Hoffnung auf Präzedenzwirkung ebenfalls geführt. Bitte hier weiterlesen

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: M. Pfeiffer

Sehr verehrte Leser,

Herr Dr. Udo Madaus ist Ende 12/2018 leider verstorben: https://lebenswege.faz.net/traueranzeige/dr-udo-madaus/54636105

Die politisch verfolgten SBZ-Opfer/1945-49 verlieren damit ihren zähesten und ehrenwertesten Mitstreiter aus dem Kreis der Lebenden; sein rechtsstaatliches Lebenswerk und seine menschliche Würde & Familienehre bleiben auf ewig unantastbar !

Ein würdiger Nachruf - wo auch immer - wäre mehr als angemessen.

MfG
M. Pfeiffer

Gravatar: Dr. Thomas Gertner

Lieber Herr Krause,

Sie haben zu meinem ersten Kommentar, von dem ich geglaubt hatte, er sei nicht freigeschaltet worden, weil den Code nicht eingegeben habe, einen Einwand als Administrator geschaltet, der sehr berechtigt ist, so dass ich ihn auch noch kommentieren möchte.

Mit Recht fragen Sie, wie es denn möglich sein soll, dass das BMJ - Teil der Exekutive - berechtigt sein soll, Gerichte über die Anwendung des StrRehaG zu instruieren, eine Aufgabe also, die dem Gesetzgeber vorbehalten sei. Das habe ich mich auch lange gefragt.

Tatsache ist, dass das BMJ die Rehabilitierungsgesetze seinerzeit entworfen hat. Die Entwürfe wurden zunächst im Kabinett diskutiert, von der Bundesregierung als Gesetzesinitiative eingebracht und nach Erörterung im Plenum des Bundestages unter Mitwirkung des Bundesrates verabschiedet. In den von uns wiederholt initiierten Petitionsverfahren hat sich der Bundestag stets beim BMJ sachkundig gemacht, wie über die eingebrachten Petitionen zu entscheiden sei. Der Petitionsausschuss hat sich stets widerspruchslos den Stellungnahmen des BMJ angeschlossen und die Verfahren ohne Beschlussempfehlungen an den Bundestag eingestellt. Der Petitionsausschuss hat also die Dienste des BMJ in Anspruch genommen, um sich sachkundig beraten zu lassen; denn niemand kennt das Gesetz besser als das Bundesministerium, welches den Entwurf ausgearbeitet hat. Das bedeutet demnach, dass die Instruktionen das BMJ in seiner Funktion als Berater des Bundestages durchgeführt haben dürfte.

Das ist ein Paradebeispiel für den von Herrn de Maizière gebrauchten Begriff der Gewaltenverschränkung.

Gravatar: Thomas Gertner

Lieber Herr Krause,

die Niederlage der BRD vor dem EGMR wäre nach unserer Überzeugung vermieden worden, wenn die Gerichte ihre Verweigerung der strafrechtlichen Rehabilitierung vernünftig begründet hätten. Natürlich waren die gegebenen Begründungen abenteuerlich, und ebenso die Einlassung der Bundesregierung, warum die strafrechtliche Rehabilitierung nicht möglich sei. Aber mit der Intransparenz der politischen Entscheidungen und deren juristischen Begründungen schlagen wir uns seit mehr als einem Vierteljahrhundert herum. Wir hatten uns seinerzeit - das war im Jahr 2008 (!) - darüber unterhalten, dass ich es verwunderlich finde, dass eine Anhörung überhaupt stattfinden sollte. Man muss das Prinzip der Gewaltenteilung beachten. Hätten bei der derzeitigen Rechtslage die Gerichte die Rehabilitierung ausgesprochen, hätten die Richter zu Recht befürchten müssen, wegen Rechtsbeugung strafrechtlich verfolgt zu werden; denn der Gesetzgeber will ausdrücklich nicht, dass Opfer deutscher Entnazifizierungs-, Boden- oder Sequesterkommissionen in der ehemaligen SBZ in irgendeiner Weise rehabilitiert werden, weil der Staat in seiner schon geradezu pathologischen fiskalischen Gier das Entstehen von Restitutionsansprüchen verhindern wollte und will. Wir haben zum Beweis dieser Hypothese eine Vielzahl von Petitionen im Hinblick auf derartige Entscheidungen der Rehabilitierungsgerichte bei Bundestag eingereicht, die stets dahin beschieden worden sind, dass die Gerichtsentscheidungen richtig seien und eine Rehabilitierung nach dem StrRehaG nicht vorgesehen sei. Rechtsbeugung würden die Gerichte demnach im Gegenteil dann begehen, wenn sie den Anträgen stattgeben würden, weil sie dann nicht auf der Grundlage von Recht und Gesetz handeln.

Das war der Tenor eines Referats eines früheren Vorsitzenden des Rehabilitierungssenats beim OLG Jena, bei einem Seminar für Opfer politischer Verfolgung in der ehemaligen SBZ/DDR. Er sagte sinngemäß, dass man noch viel umfangreicher und mehr Bevölkerungsgruppen rehabilitieren müsse, und zwar explizit nach dem StrRehaG. Das sei ihm aber als Richter nicht möglich, weil er sonst Rechtsbeugung begehen würde. Prompt fand eine Änderung der Geschäftsverteilung statt mit dem Ergebnis, dass dieser sehr integere Richter nun Vorsitzender eines anderen Strafsenates ist.

Damit stimmt überein, dass Frau Prof. Limbach anlässlich der Bitburger Gespräche, damals noch als Präsidentin des BVerfG, Herrn Dr. Madaus erklärt haben soll, er solle sich nicht über die Gerichte beschweren, sondern über die Politiker. Die "Politiker" sind aber der Inbegriff des Gesetzgebers!

Deswegen haben wir in unseren Verfassungsbeschwerden, die seit mehr als 5 1/2 Jahren anhängig sind, die verfassungswidrige Ausgrenzung der Betroffenen aus dem Anwendungsbereich des StrRehaG gerügt. Wenn diese Verfassungsbeschwerden Erfolg haben, kann Herr Dr. Madaus sein Anliegen gerichtlich durchsetzen, ohne dass es einer förmlichen Anhörung bedürfte.

Wie viele der damals unmittelbar Betroffenen können dies nicht mehr erleben. Wie viele Traueranzeigen von sehr geschätzten Mitstreitern haben mich gerade in den letzten fünf Jahren erreicht.

Gravatar: Klaus Peter Krause

Lieber Herr Oberdörffer, vielen Dank für den Hinweis, er ist logisch, ich kann mich ihm nicht verschließen. Gemeint habe ich, dass es durchaus immer noch rechtsstaatlich denkende und handelnde Gerichte und Richter gibt, ebenso noch rechtsstaatliches Handeln von Behörden und anderen staatlichen Organe. Nur eben nicht mehr überall und jederzeit. Beste Grüße. Ihr Klaus Peter Krause

Gravatar: Elmar Oberdörffer

Lieber Herr Krause, Sie leiten Ihren Artikel ein mit: "Deutschland nennt sich Rechtsstaat. Weitgehend ist er das auch noch. Aber schon längere Zeit nicht mehr immer." Mit dieser Aussage habe ich so meine Schwierigkeiten. Nach meinem Verständnis ist ein Rechtsstaat ein Staat, in dem das Recht immer und ausnahmslos gilt und beachtet wird. Sobald Teile des geltenden Rechts von staatlichen Organen nicht befolgt werden, verwandelt sich der Staat von einem Rechtsstaat in einen Unrechtsstaat. Dazu ist es nicht nötig, daß die geltenden Gesetze in ihrer Gesamtheit nicht mehr beachtet werden. Zwischen einem Rechtsstaat und einem Unrechtsstaat gibt es keine graduellen Abstufungen. Ebensowenig wie eine Frau "ein bißchen schwanger" oder ein Mensch "ein bißchen tot" sein kann, kann ein Staat "ein bißchen Unrechtsstaat" sein. Unser Staat tut sich durch so viele Rechtsverletzungen, nicht nur durch Gerichte, wie im Fall Madaus, sondern auch und gerade durch höchste Regierungsmitglieder, hervor, daß man ihn getrost einen Unrechtsstaat nennen kann. Mit freundlichen Grüßen
Ihr Elmar Oberdörffer

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