Der Letzte macht das Licht aus

Er selbst redete kraftlos und niemand trat für ihn ein. Philipp Rösler ist ein Vorsitzender auf Abruf, er hat auch seine letzte Chance verpasst, derFDP zu zeigen, dass er sie führen kann.

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Begeisterung sieht anders aus. Blass und mit flacher Stimme stößt er seine Sentenzen, zuweilen auch nur Satzteile oder einzelne Worte hervor, monoton und gepresst. In den Atem- und Wirkpausen dazwischen verharrt der Redner und erwartet geduldig und zugleich paralysiert, was nun geschieht und ob nicht irgendwo Applaus aufbrandet. Aber wo kein Feuer ist, da springt auch kein Funke über. „Arschloch!“, schreit ein ungehobelter Störenfried in die Friedhofsstille hinein und löst damit bei der betreten schweigenden Fest- und Trauergemeinde nicht einmal einen Tumult aus. Man könne Kritik auch höflicher ausdrücken, berät ihn der Redner, der sogar in diesem Augenblick keine Kraft mehr für eine aufbrausende Empörung findet.

Die Partei wird Rösler den Garaus machen

Philipp Rösler, Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler der Bundesrepublik Deutschland, ist nur noch ein Vorsitzender auf Abruf. In der Stuttgarter Oper war er gestern beim seit 1866 traditionellen Dreikönigstreffen der Liberalen inmitten seiner Parteifreunde und derFDP-Führungsgremien ganz allein im Haus. Keine Stimme trat kraft- und machtvoll für ihn ein, niemand erhob sich von seinem Sitz, um ihn zu feiern und keine Hand regte sich zu stürmischem Applaus. Philipp Rösler wirkte uninspiriert, ausgelaugt und ermüdet. Ganz wie seine FDP.

Egal, wie miserabel das Wahlergebnis am 20. Januar für die von ihm geführten Liberalen in seinem Heimatbundesland Niedersachsen auch ausfallen mag und ob es der Partei entgegen allen Umfragen vielleicht sogar doch noch gelingt, mithilfe von CDU-Leihstimmen die magische Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen und wieder in den Landtag einzuziehen und vielleicht noch einmal mit der von Ministerpräsident David McAllister geführten Union eine Regierung zu bilden: Auf den Amateur-Comedian und Hobby-Bauchredner werden sie ihren ganzen Frust abladen und dem im Februar 1973 in Vietnam geborenen ehemaligen Stabsarzt der Bundeswehr den politischen Prozess und dann den Garaus machen.

Doch viele von denen, die Rösler schon jetzt zum Sündenbock herrichten, haben selbst nicht viel oder das Falsche getan, als sie als Altvordere an entscheidender Stelle die Geschicke der FDPmitbestimmten oder auch noch immer als Altkluge in den Parteigremien mitwirken. „Wir brauchen in Deutschland einen neuen Gesellschaftsvertrag“, fordert Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel, ein Rösler-Kritiker, den der Zustand seiner Partei nach eigenem Bekenntnis schon seit Monaten quält, in Stuttgart. Doch Niebel hat in seiner Zeit als FDP-Generalsekretär von 2005 bis 2009 auch nur vornehmlich die Grundmelodie einer monothematischen Steuersenkungspartei intoniert. Nun aus dem Stand heraus ein liberales gesellschaftspolitisches Projekt auf den Weg bringen zu wollen, erscheint als ein gänzlich unvorbereitetes Unterfangen und ein sinnloser Versuch in luftleerem Raum mit einem untauglichen Objekt.

Brüderle als Vorsitzender des Übergangs

Da kann sich der im Opernhaus in Rage redende Fraktionschef und bald auch offiziell ausgerufene Bundesvorsitzende Rainer Brüderle noch so ereifernd über die „Gesinnungsethik“ der grünen „Tugendwächter und Tugend-Jakobiner“ erregen und eine „liberale Verantwortungsethik“ preisen. Er selbst und auch der NRW-Shootingstar Christian Lindner und der Parteidissident vom Dienst, Wolfgang Kubicki, hatten beim Rostocker Bundesparteitag im Mai 2011 frenetisch zugestimmt, als Rösler bei seiner Inthronisierung den bereits 1973 verstorbenen ehemaligen FDP-General Karl-Hermann Flach als geistig-politischen Fixstern und die von diesem inspirierten „Freiburger Thesen“ von 1971 als Grundlage für einen neuen intellektuellen Aufbruch in ein Zeitalter des „mitfühlenden Liberalismus“ ausrief. Dem linksliberalen und der Idee eines sozialistischen Liberalismus verbundenen Flach aber lag es im Gegensatz zu Brüderle gänzlich fern, die Flach eher verhasste „Union besser machen“ zu wollen durch beispielsweise die Senkung von Rentenbeiträgen, eine weitgehende steuerliche Entlastung der Bürger oder gar mehr Wirtschaftswachstum und die Staatsquote kontinuierlich zu senken.

Flach war ein stringenter Verfechter der damaligen sozialliberalen Koalition und ein überzeugter Ideologe eines bestenfalls sozialdemokratischen, eher noch sozialistischen Liberalismus. Vielleicht bereiten der nach Rainer Brüderle übernächste FDP-Vorsitzende Christian Lindner und der Nordliberale Wolfgang Kubicki einen Richtungswechsel hin zu einer neuen sozialliberalen oder auch Ampelkoalition mit SPD und Grünen langfristig vor und sind damit einverstanden, dass Brüderle, der selbst gute Erfahrungen mit einerSPD/FDP-Koalition in Rheinland-Pfalz gesammelt hat, dabei zunächst als Vorsitzender des Übergangs fungiert. Brüderle könnte eine so gravierende Richtungsänderung auch für die seit dem mit Genschers Hilfe zustande gekommenen Kohl’schen Machtwechsel 1982 und damit nun mehr als 30 Jahre lang in Koalitionen mit der Union verwachsene FDP erträglich moderieren und Zerreißproben minimieren. Dann erschiene Niebels Wettern gegen die fortschreitende Sozialdemokratisierung aller Parteien in Deutschland – mit Ausnahme der FDP – als ein letztes Aufbäumen. Oder aber als eine weitere Begründung für einen gravierenden Partnerwechsel: Denn ob die Liberalen mit einer sozialdemokratischen SPD und eventuell auch mit sozialdemokratischen Grünen oder einer ebenfalls weitgehend sozialdemokratischen Union koalieren, wäre dann keine Frage einer grundsätzlichen politischen Haltung mehr.

Niemandem ist ein Licht erschienen

„Wofür braucht Deutschland eigentlich eine FDP?“ lautete Röslers Frage zu Beginn seiner fast einstündigen, sich weitgehend in Plattitüden ergehenden und theorielastigen Stuttgarter Rede. Seine Antwort blieb auch inhaltlich dürftig und vage. Rösler versteht die FDPnur mehr als „ordnungspolitisches und wirtschaftspolitisches Korrektiv in der Regierungskoalition“ und will „eine freie und starke Gesellschaft“ im Spannungsverhältnis zu einem „Staat, der die Menschen in Ruhe lässt, aber niemals im Stich“. 2013 sei, so der resignierende Parteichef, das „Jahr der Auseinandersetzung zwischen Geisteshaltungen“.

Zur Vorbereitung auf eine fundamentale und belebende geistig-politische Debatte und Richtungsbestimmung hätten die Liberalen aber wahre Weise nach Stuttgart einladen müssen. Vielleicht hätte das Publikum dann programmatische Thesen zur Euro-Rettung, zur Weiterentwicklung Europas und der europäischen Institutionen, zur Entwicklung einer global-marktwirtschaftlichen Ordnungs- und Finanzpolitik und zu anderen zentralen gesellschaftspolitischen Themen vernommen, die derweil unter anderem Finanzminister Wolfgang Schäuble dem zu diesen Fragen verstummtem Außenminister und ehemaligem FDP-Chef Guido Westerwelle schlicht weggenommen hat.

Doch die weisen drei Könige waren erst gar nicht nach Stuttgart eingeladen. Ihnen war auch kein Stern über dem Stuttgarter Opernhaus aufgegangen und dort ist auch niemandem ein Licht erschienen. Hoffentlich macht der Wähler den Liberalen nun nicht das Licht ganz aus.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst auf TheEuropean.de.

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