Der gesellschaftliche Wandel in zwei Fotos

Ich weiß, ich weiß: Kulturpessimismus ist billig. Doch manchmal kommt man nicht umhin, innerhalb eines Zeitraums einen Wandel zum Schlechteren hin zu konstatieren. Von der verantwortungsbewussten Wissens- zur verantwortungsscheuen Spaßgesellschaft – so kann man kurz das mit der 68er-Bewegung über Deutschland hereingebrochene Unglück beschreiben.

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Trotz (oder wegen) Wikipedia und den vielen anderen elektronischen Möglichkeiten nehme ich gerne immer noch den guten alten „Volks-Brockhaus“ in die Hand. Das war die einbändige Fassung der großen Brockhaus-Enzyklopädie, eines legendären vielbändigen Giganten an seriösem Wissen. Einbändig bedeutete die knappe Vermittlung jenes „Wissensbestands, der in Schule und Alltag zum nötigen Rüstzeug“ gehören sollte, wie im Vorwort festgestellt wurde.

Wie haben die Zeiten sich geändert! Und nicht zum Guten. Dass sowohl die Enzyklopädie als auch der „Volks-Brockhaus“ als Bücher längst eingestellt sind, ist angesichts der Digitalisierung klar. Gerade solche Texte schreien geradezu nach räumlicher Komprimierung, denn bei der bloßen Wissensvermittlung spielen haptische und künstlerische Ansprüche sicherlich eine kleinere Rolle als bei Literatur oder Museumskatalogen. (Heute wäre allerdings schon der Name des Lexikons unmöglich, da ein deutsches „Volk“ heute lediglich ein Konstrukt sein soll.)

Rein mengenmäßig hat sich das Wissenswerte sogar vermehrt. Aber es ist beliebig und unstrukturiert geworden. Seit mehreren Hundert Jahren schon kann ein einzelner Mensch das Wissen seiner Zeit nicht mehr überblicken, doch gab es mit guten Schulen, die noch Wissen statt Kompetenz vermittelt haben, und besagten Standardwerken, deren Inhalt von etablierten Fachkommissionen erstellt wurde, die Möglichkeit, sich wenigstens das anzueignen, was man eine solide „Allgemeinbildung“ nannte.

Vorbei. Es wird behauptet, dass eine solche Bildung in der heutigen „globalisierten“ Welt nicht mehr nötig sei, aber die Alarmmeldungen aus den Schulen und Universitäten sind nicht mehr zu überhören. Doch nicht Bologna und Pisa sollen mein Thema sein, sondern der „Geist“, der dieser Entwicklung schon lange zugrundeliegt. Es handelt sich um den Ungeist der Infantilisierung.

Schauen wir auf den Einband des Volks-Brockhaus von 1965. Deutschland prosperierte noch unter einer von Ludwig Ehrhard geführten Regierung, aber das Wirtschaftswunder näherte sich dem Ende, was im Jahr darauf zur ersten Großen Koalition führte.

 

Wir sehen ein „klassisches“ Design, das Seriosität ausstrahlt. Den Deckel ziert das Emblem des Verlages, der Greif, der das Schild mit den Verleger-Initialen und dem Jahr der Verlagsgründung hält: ein historischer Bezug. Sonst ist auf dem einfarbig blauen Einbanddeckel nichts zu sehen. Der Buchrücken deutet ebenfalls nach klassischem Muster mit vergoldeten Querstreifen fünf Bünde an; oben steht der Titel (Der Volks-Brockhaus), unten nur A-Z. Das ist alles. Wer dieses Buch zur Hand nimmt, soll wissen, dass es solides, geprüftes, verbindliches, gewissermaßen sakrales Wissen enthält. Eine gewisse Ehrfurcht wird vermittelt vor dem, was Generationen an Riesen erarbeitet haben, auf deren Schultern wir Zwerge sitzen. Ein Buch für Erwachsene und solche, die es werden wollen.

Wenden wir uns nun dem „Volks-Brockhaus“ von 1972 zu. Wir wissen: Es ist das Jahr der Olympiade mit ihrem popkulturellen Design. Ein frischer Wind weht durch Deutschland, der aber (schon damals) von arabischen Terroristen sogleich vergiftet wird. Die sozialliberale Koalition unter Willy Brandt behauptet, mehr Demokratie zu wagen, beginnt aber mit dem sozialistischen Umbau der BRD.

Das Cover ist zeitgeistig „buntig“ geworden. Der Titel füllt in grellgelber Schrift auf signalrotem Grund fast die gesamte Fläche aus, als ob die potentiellen Leser leseschwach geworden seien. Die platte Werbung hat diesen Hort des Wissens erfasst: Es wird in weißer und schwarzer Schrift mit der Neuheit und der Anzahl der Stichworte geprahlt. Die „leichte Sprache“ deutet sich schon an: A-Z genügt nicht, es muss „von A bis Z“ heißen. Auf dem Buchrücken finden sich keine besonderen graphischen Elemente; oben steht der Titel, unten der Verlagsname und -ort.

Es ist sofort klar, was hier geschehen ist: Wissen ist kein aus sich heraus anzustrebendes hehres Ziel, sondern soll „Spaß“ machen, weil man ansonsten „keine Lust“ auf Lesen hat. Die Buntheit des Einbands vermittelt eine Infantilität, der die „Jugendkultur“ mit ihrem häufig gleichfalls infantilen Freiheitsbegriff entsprach. Man kann natürlich auch positiv sagen, dass das Ganze poppig und jung geworden ist, aber im Vergleich mit der früheren „Seriosität“, die ja sachbezogen und grundsätzlich altersunabhängig ist, scheint hier ein ideologisches Moment die Oberhand ergriffen zu haben: Was nicht „passt“, soll weg. Die Kulturrevolution klopft an.

Dabei ist der Inhalt des „Volks-Brockhaus“ großenteils natürlich ähnlich seriös geblieben; neben aktuellen Stichworten kamen Farbbilder vermehrt hinzu. (Die Auflage von 1978 war dann komplett farbig illustriert.) Der Abbau des sakralen Wissens ging eben schrittweise vonstatten. Jedenfalls scheint mir an diesen zwei Bildern ziemlich genau gezeigt werden zu können, was in der Zeit von 1965 bis 1972 sich in Westdeutschland geändert hat.

Leider hat sich der Trend zur Infantilisierung bis in die Gesellschaft und Politik fortgesetzt. Dass heute nicht nur eine Partei fast unwidersprochen die „Buntheit“ als Qualität eines Staatswesens anzupreisen wagt, dass heute in der Schule niemand mehr durchfallen soll, dass heute nach Terroranschlägen in infantiler Hilflosigkeit Katzenbilder als „Trost“ gepostet werden, all diese Erscheinungen deuten sich schon in der gezeigten Veränderung zum Erbärmlichen an. Daran ändern auch die bedeutenden digitalen Erfindungen nichts.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Adorján Kovács

@Clara West
Für Sie lesbar kann auch falsch gelesen bedeuten - Sie werden es nicht erfahren, ebensowenig Sie offenbar etwas begreifen können oder wollen, was für andere Menschen Relevanz hat oder nichts mit Ihrem Leben zu tun hat.
Trotzdem viele Grüße und besten Dank für Ihre Gedanken.

Gravatar: Clara West

Herr Kovács,

Es hat nichts mit ad-hominem-Argumenten zu tun, wenn jemand lesbar ist.

Die Frage, ob man lieber in einem anderen Jahrhundert gelebt haette, ist nett. Ein Gedankenspiel, mehr aber auch nicht. Es hat keine Relevanz. Wir leben heute hier und sind extrem unbedeutend. Diese Erkenntnis ist manchmal schwer verdaulich.

Mit Ihrer letzten Schlussfolgerung kann ich nichts anfangen. Es hat nichts mit meinem Leben zu tun.

Gravatar: Adorján Kovács

@ropow
Vielen Dank! Dr. Tan ist eben doch ein Troll. Ich hätte es langsam wissen können. Man lernt nie aus.

Gravatar: Adorján Kovács

@Clara West zum Allerletzten
Auf ad-hominem-"Argumente" gehe ich nie ein, egal wie herum sie gedreht werden. Ich weiß auch nicht, wie ich Ihnen meinen Standpunkt klarmachen kann. Ich hätte z. B. lieber um 1850 gelebt als um 1650 oder lieber um 1250 als um 850. Sie hingegen erkennen keine Unterschiede. Sie haben folgenden Glauben, anders kann ich das nicht nennen: Es war noch nie so, dass nichts gewesen wäre, und es wird schon irgendwie weitergehen. Darin haben Sie ohne Zweifel recht. Darauf können wir uns einigen.

Gravatar: ropow

@Dr. Tan 18.09.2017 - 23:18

Die ersten drei Absätze Ihres Kommentars haben Sie von dieser Seite wörtlich abgeschrieben (gefördert von „ein netz für kinder“, Der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend):

http://www.zeitklicks.de/brd2/zeitklicks/zeit/politik/protest-die-68er/was-wollten-die-68er/

Der vierte Absatz stammt von Hubert Kleinert:

http://www.bpb.de/geschichte/deutsche-geschichte/68er-bewegung/52034/mythos-1968

Wenn Sie Ihre Prämissen von Internetseiten der Regierung abschreiben, dann sind Ihre Schlussfolgerungen natürlich ebenso trivial wie vorhersehbar.

Erstaunlich ist nur, dass Sie damit durchgekommen sind und tatsächlich andere Kommentatoren dazu verleiten konnten, mit Regierungspropaganda und Geschichtsklitterung ihre Zeit zu verplempern.

Gravatar: Catilina

@Elke: sorry, Elke, Sie waren nicht gemeint. Wer war das doch gleich....

Gravatar: Catilina

@ Dr. Tan: aus heutiger Sicht ordnet man vieles anders ein. Erst jetzt, wo die Saat aufgegangen ist, vermag ich zu verstehen. Als junger Mensch stand ich hilflos zwischen dem Weltbild, welches mir in der Schule vermittelt wurde und meinem konservativen Elternhaus. Meine Eltern, beides Naturwissenschaftler, hätten sich das Leben viel leichter machen können, wenn sie sich und uns Kindern etwas vorgelogen hätten.
Nein, daß KZs Vernichtungslager waren, wußte damals kaum jemand. Meine Eltern haben während ihres Studiums im zerbombten München einen Maurer kennengelernt, der 1949 (!) in Dachau Krematorien baute, im Auftrag der Amerikaner. Sie und meine Großeltern haben mir auch versichert, daß während des Krieges die Lebensmittel streng rationiert waren, aber es gab in der Bevölkerung keinen Hunger. Die Hungerjahre kamen erst danach, nach dem Zusammenbruch ("Leute, genießt den Krieg, der Frieden wird fürchterlich" hieß es zynisch). Inzwischen mißtraue ich jedem, der mich über Geschichte belehren will. Geschichte wird von den Siegern aufgeschrieben und später weiter verfälscht, siehe aktuelles Beispiel im Süden der USA.

@ Elke: meine Mutter hatte immer ein eigenes Bankkonto, aber sie ging nicht arbeiten, wegen ihrer Kinder. Welche Frau spricht sich denn bei einer solchen Entscheidung nicht mit ihrem Partner ab? Von "Erlaubnis" zu reden ist wohl übertrieben.
Aber auch meine Mutter sympathisierte eine Weile mit der APO, bis sie feststellte, daß für jedes Stück gewonnene "Freiheit" ein hoher Preis bezahlt wird. Mit der faschistoiden "mein Bauch gehört mir" -Kampagne war dann das Maß des Erträglichen überschritten. Welcher Mensch darf über Leben und Tod eines anderen entscheiden und sich dabei unangreifbar fühlen?

Gravatar: Clara West

Herr Kovács, Ihre Spitze verfängt leider nicht. Im Gegenteil, ich bin wirklich sehr überrascht, dass Ihnen mehr dazu nicht einfällt.

Aber Sie sagt etwas über Sie, und bitte berichtigen Sie mich, wenn ich falsch liege. Sie sagt, dass Sie selbst noch nie für eine nachfolgende Generation Verantwortung getragen haben, denn wenn dem so wäre, hätten Sie eine andere Antwort gegeben.

Das, was Sie als „Einknicken“ bezeichnen, ist nämlich nichts anderes als die Erkenntnis, dass man den Staffelstab übergeben hat bzw. übergeben sollte, weil von nun an die jüngere Generation nicht nur das Ruder übernimmt, sondern auch das Recht hat, gestaltend auf die Gesellschaft einzuwirken, so wie das jede Generation zuvor auch man selbst getan hat. Gestern ist gestern, heute ist heute; manches kann man übernehmen und manches nicht.

Ich bin gerade in dieser Situation, weil nun auch unser jüngstes Kind soeben sein Studium abgeschlossen hat und sich anschickt zu promovieren. Damit bin ich raus aus dem Spiel, weil ich ihnen nichts mehr beibringen kann. Sie können mich fragen, aber mehr als Lebenserfahrung - was durchaus auch etwas wert sein kann - kann ich nicht liefern, weil sie deutlich besser ausgebildet sind, als ich. Sie haben viel durch unser Leben gelernt, auch wie es ist seinen Job zu verlieren, sein Haus, sein Lebensumfeld, seine Existenzgrundlage, wie es ist das Land zu verlassen und anderswo sich neu aufzubauen. Sie kennen die Wahl zwischen Kühlschrank und Taschengeld, wenn nur eins davon geht. Kurzum, die ganzen hässlichen materialistischen Dinge, von denen Sie sprechen. Das ist nämlich dafür verantwortlich, ob man am Ende des Tages satt oder hungrig ins Bett geht.

Der Staffelstab ist übergeben, weil die Zukunft nicht mehr uns gehört, sondern der Generation unserer Kinder, den verrufenen Millenials - jene, die ebenso verrufen sind, wie wir es waren, oder aber unsere Eltern, denen von ihren Eltern vorgeworfen wurde, dass sie „Negermusik“ hören würden, als sie sich für Elvis Presley begeisterten. Die Welt hat es überlebt und dreht sich weiter.

Die junge Generation wird Dinge fallen lassen (müssen), von denen wir glaubten, sie seien wichtig. Sie werden sie durch andere Wichtigkeiten ersetzen, die ihnen drängender erscheinen. Und sie werden sich in einer völlig neuen Arbeitswelt behaupten müssen, die jetzt schon an der Tür klopft. Noch glauben wir, dass nichts passiert, wenn wir einfach nicht aufmachen, das Klopfen überhören. Ignoranz kann sehr fatale Folgen haben. Schule und Lernen werden sich auch ändern (müssen), weil unser kasernenartiges Industrielernsystem, geordnet wie Produktionsstätten verbunden mit eben diesem Belohnungssystem, in diese neue Welt nicht mehr passt. Vielleicht kommen wir sogar dahin, dass Bildung als Wert in sich oberste Priorität bekommt? In einer Roboterwelt, die Menschen ein Grundeinkommen sichert, wäre so etwas sogar denkbar. Bisher ist dieser Gedanke aber böser Sozialismus - aber diejenigen, die so plakatieren, haben auch keine Lösung für das, was uns da bevorsteht. Weiter so ist aber nicht mehr.

Und unsere Kinder werden selber Kinder haben, denen sie irgendwann den Staffelstab übergeben werden. Sie werden sich Gedanken darüber machen müssen, was denn für sie wichtig werden wird, immer ein paar Gedanken-Schritte schneller sein um zu erahnen, wohin die Reise geht.

Der Lauf der Welt eben. Aber ich habe großes Vertrauen in diese Generation. Sie werden das schon hinbekommen.

Gravatar: Adorján Kovács

@Dr. Tan
Bitte schauen Sie sich auf YouTube mal den brüllenden, geifernden Dutschke an und seine schreienden Genossen, hören Sie auf seine Nazi-Diktion, lesen Sie, was die geschrieben haben, dann sehen Sie, wenn Sie nur wollen, dass es sich um die Kehrseite der "alten Welt" gehandelt hat, die andere Seite derselben Medaille, genauso intolerant, genauso totalitär. Und in diese Richtung geht es heute ja. Glauben Sie wirklich, diese Radikalen waren nötig, um ein paar Frauenrechte umzusetzen, die ohnehin fällig waren? Die den Kommunismus gepriesen haben, während Millionen von ihm umgebracht wurden - - Millionen, für die auch Sie kein Wort des Bedauerns kennen!! Aber Abtreibung, Suizidbeihilfe, Zerstörung der Ehe, Verständnis für Mörder und andere Straftäter, Zensur, grenzenlose Einwanderung, Deutschenhass, anti-weißer Rassismus, linker Antisemitismus usw. usf. blühen seitdem. "Tolle Veränderung"! Wieviel Blindheit...

Gravatar: Dr. Tan

@Catilina
Natürlich war die Bewegung neutral. Die Studenten, ob Linke oder Konservative, die waren auf der Strasse. Da ging es nicht um die Parteipolitik sondern Weltpolitik, eine Aufarbeitung die bisher beispiellos geblieben ist.Die Alten ,die angeblich besser sind oder waren,die mit der Vaterlandsliebe, prahlten,die waren es ja, die Hitler gewählt haben. Später als Entschuldigung "Wir wussten ja nicht was Hitler vorhatte", keiner wollte von Kz gewusst haben. Vietnam-Krieg-Auf einmal wollten sie unschuldig sein. Diese Bewegung war ein unerklärtes Gericht, das Antworten forderte. Diese Bewegung hat dadurch die Welt verändert. Die,die heute auf diese Bewegung schimpfen,verteidigen die Alten-Generation(Japan-Usa-Deutschland usw..) Stimmt, diese haben auch die Welt verändert durch Mord-Totschlag-Massenvernichtung mit Feuer. Tolle Veränderung.. Nein ,diese Bewegung war Notwendig .Dank, diese mutigen Studenten hat die Gesellschaft viel mehr Rechte erreichen können.
Es ist doch krankhaft, dass Männer ihre Erzeugerin(Frauen)immer weniger Rechte einräumen. Ohne diese Frauen wären sie nicht auf der Welt. Eigene-Geburt räumt eigene Mutter weniger Rechte, geht es noch?

Gravatar: R. Avis

@Teresa: habe mir das Buch von Christopher Lasch damals gekauft, war aber noch zu jung um etwas damit anfangen zu können. Werde es jetzt wieder hervorkramen, danke für den Tipp.
Wenn ich den Artikel richtig verstanden habe, geht es um die Veränderung der Wahrnehmung und wie Informationen aufgenommen bzw. verarbeitet werden. Es heißt, ein Bild sagt mehr als tausend Worte und was über die Netzhaut an das Gehirn weitergeleitet wird, kommt dort ungefiltert an. Das Lesen von Texten erfordert geistige Arbeit, denn man muß die Information selber im Kopf zu Bildern umwandeln, damit sie sich einprägen. Ich sehe es als Vorteil, daß von dem Aufgenommenen nur das weiterverarbeitet wird, was der Geist auch aufnehmen kann. Diese Art des Lernen verknüpft ganz andere Synapsen als es heutzutage der Fall ist, wo Information hauptsächlich visuell aufgenommen wird. Die Gefahr der Manipulation ist daher umso größer denn "what has been seen cannot be unseen" - was man gesehen hat, ist nicht wieder zu löschen. Verstörende Bilder, zum Teil bearbeitet (gephotoshopt), um gewünschte, starke Reaktionen hervorzurufen. Aber das Gehirn hat andere Möglichkeiten damit umzugehen, z.B. durch Verdrängung.
Pädagogen behaupten zwar gerne, daß Schüler heutzutage nicht dümmer sind als früher, sondern daß sie eben anders lernen. Meiner Ansicht nach geht die geistige Entwicklung über Emojis und Emotikons zurück zu den Anfängen: Hieroglyphen für Lese-Unkundige.

Gravatar: Adorján Kovács

@Clara West zum Zweiten und Letzten
Wo steht in meinem Text etwas von Generationen? Die Infantilisierung, die sich im Einband des 1972er Brockhaus zeigt, ist sicher nicht die von Jugendlichen gewesen, sondern von älteren zeitgeistigen Umkippern. Es geht ja gerade um eine generationenübergreifende Infantilisierung, die heute alles erfasst hat und sicher auch den Zweck leichterer politischer Führbarkeit hat.
Aber da Sie - um jetzt eine Spitze zu gebrauchen, die sich in meiner vorigen Antwort gar nicht findet - nur materialistische Wirkkräfte kennen, die ich keineswegs verkenne, werden Sie das nicht recht verstehen wollen.

Gravatar: Clara West

@ Dr. Tan

Ich stimme Ihnen zu. Ich bin auch davon ueberzeugt, dass es die 68-er geben musste, um die Nazizeit und diesen furchtbaren Krieg irgendwie aufzuarbeiten. Ich glaube nicht, dass Maenner und Frauen sich haetten so emanzipieren koennen, wenn es diese Zeit nicht gegeben haette.

Gravatar: Clara West

@Rosa

Im Endeffekt wird es unerheblich sein, welcher -ismus gerade gelebt wird, weil dieser bevorstehende gesellschaftliche Wandel damit eigentlich nur sekundaer zu tun haben wird. Dem technischen Fortschritt ist es nämlich egal, in welcher Form des -ismus er sich gerade bewegt, denn technischen Fortschritt wollen alle, weil alle auf dem gleichen Weltmarkt bestehen wollen. Ich verwies nur auf die interessante Symbiose, die es zwischen Kapitalismus und Sozialismus gibt. Die sozialistische DDR war übrigens lange Zeit das Billiglohnland für den kapitalistischen Westen. Keine Form kann daher wirklich ohne die andere bestehen. Von daher sind Feindbilder nicht nur unsinnig, sondern behindern neue Gesellschaftskonzepte, die wir dringend brauchen werden.

Angela Merkel ist viel zu klein für diese Aufgabe so wie jeder andere Politiker als Einzelperson auch. Wir leben schon lange wirtschaftlich global orientiert - und nur im Zusammenspiel mindestens der Industrienationen wird man Lösungen anstreben können. Von daher hat man in einem Zusammenschluss wie die EU wahrscheinlich größere Chancen, Einfluss zu nehmen und das Richtige zu tun. Nationalismus wird da gar nicht helfen.

Das Feindbild Immigrant wird durch die Automation ganz einfach abgelöst werden. Hier dazu ein Bericht aus dem Juli über die Veränderungen, die der Brexit mit sich bringen wird - so er denn wirklich stattfindet

http://diginomica.com/2017/07/21/brexit-report-controlled-immigration-likely-mean-automation-investment-uk/#.WcDP5XkVTsc.twitter

Bedeutet, dass diejenigen, die gerade behaupten, dass Immigranten an ihrer Arbeitslosigkeit schuld sind, sich dann der Automation gegenübersehen. So war das nicht gemeint, aber so wird es kommen, weil es überall so kommen wird. Das ist keine Drohung, sondern Realität. Im Moment noch besuchen Politiker mit schöner Regelmäßigkeit Messen und Ausstellungen, betreiben Wirtschaftsförderung zum Erhalt von Arbeitsplätzen, fordern Modernisierung usw. Aber niemand fragt wirklich nach dem Ergebnis dieser Entwicklung, niemand spricht darüber, weil sich auch niemand so gern selbst die Kugel geben will. Diese Entwicklung wird unsere Gesellschaften komplett auf den Kopf stellen.

Die Entwicklung an sich ist nicht beängstigend, sondern das grosse Schweigen darüber, das Laufenlassen, das Nichtstun. Da oder dort zeigt sich nationalistischer Aktivismus, der aber wirkungslos bleiben wird, weil der das Problem nicht berührt.

Ich möchte aber noch etwas zur im Text genannten Infantilisierung der Gesellschaft bemerken, weil ich das für eine Fehleinschätzung halte. Das Schimpfen auf die junge Generation und ihre vermeintliche Verantwortungslosigkeit ist ein alter Hut. Alte vergessen, dass sie jemals jung waren und Junge sehen noch nicht, dass sie mal alt werden. Von diesem Konflikt lebt ein Mythos, der sich durch die Generationen zieht. Ich glaube kaum, dass es dem Autor Schaden zugefügt hätte, wenn er die LP Jesus Christ Superstar damals bekommen hätte. Vermutlich hätte er sich den Messias von Händel dann später selbst gekauft. Das Elternhaus prägt meistens längerfristig als kurzfristige Modeerscheinungen.

Gravatar: Dr. Tan

Nach dem Krieg 1945 gab nur die 68 er Bewegung. Man hat alles in Frage gestellt und wollte Antworten hören. Alten die Betonköpfe (wir haben immer Recht) gegen aufstrebende liberale Jugend. Ohne diese Bewegung hätten wir etliche Rechte weniger. Die diese Bewegung kritisieren sollten mit besseren Beispielen vorangehen. Keiner ist bereit. aber schimpfen, da sind sie Weltmeister. Bitte ihr Besserwisser macht bessere Bewegung als 68 er. Was hindert Euch? Bin mal gespannt auf die Aussagen-Ausreden und auf die Besserwisserei.

Gravatar: Teresa

Lektüretipp:

Christopher Lasch "The Culture of Narcissism".

Ist bereits 1971 erschienen und bezieht sich auf die USA, kann aber ohne Weiteres auf alle "westlichen" Gesellschaften übertragen werden. Inzwischen stecken wir derart tief drin im Narzissmus, dass wir ihn noch nicht einmal mehr bemerken...

Gravatar: Rosa Luxusburg

@ Clara West

Am Kapitalismus im Sinne einer sozialen Marktwirtschaft, eines demokratischen und sozialen Rechts - und Verfassungsstaats (Artikel 20, 28 GG) und am Prinzip der Subsidiarität als Teile einer Staatsform, die unentbehrlich und wesensbestimmend für einen modern organisierten Rechtsstaat sind, soll er denn stabil, überlebensfähig und einigermaßen 'resilient' sein - wird aber gerade auch 'Die große Transformation', die 'Evolution' und / oder die 'Revolution', die Sie beschreiben, auf gar keinen Fall vorbeiführen.

Im Gegenteil werden politisch Verantwortliche, wie die deutsche Bundeskanzlerin, die diese Prinzipien mit exekutiver Allmacht systematisch aushebeln und mit Füßen treten, einen ohnehin labilen und relativ jungen demokratischen und sozialen Rechts - und Verfassungsstaat früher oder später zersetzt und zerstört haben, wenn niemand sie aufhält, wobei der Prozess der Erosion des Rechtsstaats sich ganz unabhängig von den wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zu anderen Staaten vollzieht.

Und ja, damit ist der Vorwurf der Arbeitsverweigerung in erster Linie der Verfassungsrechtsprechung und der Justiz gegenüber verbunden, die schon vor Jahren die Letztinterpretation und den Schutz des mit einer Ewigkeitsgarantie bewehrten Grundrechts im Wesentlichen eingestellt hat.

http://www.spiegel.de/forum/wirtschaft/streit-ueber-staatsfinanzen-den-usa-drohen-griechische-verhaeltnisse-thread-75034-21.html#postbit_11314086

https://www.youtube.com/watch?v=BtInXIHfxeM#t=59m49s

Gravatar: Duffy

@Clara West: Eloquenz statt Stringenz. Sie scheinen das perfonifizierte Beispiel für das, was Prof. Kovàcs mit seinem Beitrag sagen wollte.

Gravatar: Clara West

Herr Kovács,

wenn Sie gern sinnbringend diskutieren wollen - und davon gehe ich mal aus, dann sollten Sie sinnlose Spitzen einfach weglassen. Sie werden dadurch nicht größer.

Interessanterweise braucht der westliche Kapitalismus den Sozialismus. Was sind wir doch alle so dankbar, dass wir in billigen sozialistischen Ländern produzieren können. Das hält unsere Stückkosten schön niedrig und macht und konkurrenzfähig als Exportnation. Und nachdem nun China fortwährend Lohnerhöhungen im 10 Prozent Bereich befiehlt, weil man eingesehen hat, dass Menschen sich ihre eigenen Produkte leisten können müssen, um eine Volkswirtschaft am Laufen zu halten, suchen wir uns andere Billig-Regionen, z.B. Vietnam. Sozialismus ist dann gut, wenn er uns nützt und woanders passiert. Ansonsten schimpfen wir auf ihn.

Die Zeiträume, in denen sich die Gesellschaft wandelt, werden kürzer werden, was übrigens auch und gerade etwas mit dem technologischen Fortschritt zu tun hat. Das lässt sich sehr präzise vorhersagen - mathematisch gesehen kann man von einer Exponentialkurve ausgehen. Hinzu kommt, dass dieser Wandel von allen Seiten kommt, denn was wir nicht erfinden, erfinden dann eben die Chinesen, die Brasilianer oder andere Länder, die ja auch nicht schlafen. Das heisst, dass der Anteil der Selbstbestimmung („man ändert sich“) in dem Maße zurückgeht, in dem man von dieser Gesellschaft abhängt, abhängig beschäftigt ist, sein Auskommen finden muss. Sie können natürlich für sich beschließen, aus diesem System auszusteigen, zurückzugehen zu Pferd und Wagen, Kerzenlicht und Dreschflegel. Im Einzelfall sicherlich kein Problem - man kann es in Nordamerika bei den Mennoniten, Amish und anderen religiösen Gemeinden sehen, die sich dem Fortschritt entgegenstellen. Aufhalten werden Sie damit jedoch gar nichts.

Die Industrienationen werden feststellen, dass sie eine Lebensform einführen müssen, die sie im Augenblick noch als schlimmen Sozialismus negieren. Wenn sie das nicht tun, wird dieses System ganz einfach implodieren. Das beste business taugt nichts, wenn es keine Kunden mehr hat, die die Produkte kaufen.

Es gibt eine recht interessante Oxford-Studie zur Zukunft der Arbeitswelt, die man hier nachlesen kann

http://www.oxfordmartin.ox.ac.uk/downloads/academic/The_Future_of_Employment.pdf

Am Beispiel USA kann man lesen, dass „..According to our estimates, about 47 percent of total US employment is at risk..“ Da hilft auch Trump's Rolle rückwärts in Sachen Kohle nichts. Silicon Valley ist auch Teil der USA und die geben den Ton an.

Da mittlerweile aber nahezu alle Industrienationen Hochtechnologieländer sind, lässt sich diese Zahl sehr gut übertragen. Fahrerlose Autos, Busse, LKWs. Roboter, die Roboter steuern. Machinelearning. Alles sicherlich kein Problem für Menschen mit einem IQ von 120plus. Aber für Otto Normal. Jetzt noch Bus- oder Taxifahrer und dann....????

Auch unser industrielles Bildungssystem wird sich ändern. Das Belohnungssystem alla Fleiß plus gute Noten = lebenslanger Job wird der Vergangenheit angehören. Wie werden wir also die Kinder der Zukunft (aus)bilden müssen, damit sie in dieser Welt, bestehend aus überwiegend selbstständiger Projektarbeit mit immer schneller wechselnden Themen ihr Auskommen finden?

Solche Themen hätte ich mir im Wahlkampf gewünscht, aber da passiert gar nichts. Von keiner Partei. Alle tun so, als gäbe es das nicht.

Ein schlimmer Irrtum, der uns noch auf die Füße fällt.

Gravatar: Karin Urlaub

@ Clara West

Vor allem war Rudi Dutschke nicht einer von diesen unmenschlichen und langweiligen Durchschnittsdeutschen, von dieser Masse, für die er selbst sich aber angeblich immer so stark gemacht hat: ProletArierInnen aller Länder, vereinigt Euch! Macht den Buback zu Zwieback! Mach' kaputt, was Dich kaputt macht!

Er durfte sich vielmehr identifizieren mit dem, was er dachte, sagte und tat, und deswegen hat er auch keinen Urlaub gebraucht.

https://www.youtube.com/watch?v=SBF8Tc9HkcE

Und wenn Ihr schon kaputt machen wollt, was Euch kaputt macht, dann fangt gefälligst bei der Verblödungslampe und dem linksversifften, scheissliberalen, entgrenzten, staatsnahen, Euch entmündigenden ÖRR an, bei diesem duften Kinderladen, Opium füs dumme Volk, statt den auch noch mit Euren Zwecksteuern zu finanzieren.

https://www.youtube.com/watch?v=H3AxGp5k-Qo

Gravatar: Adorján Kovács

@Clara West
Es stimmt, Gesellschaften ändern sich immer irgendwie, und irgendwie geht es immer weiter. Deshalb habe ich auch in der Einleitung geschrieben: "innerhalb eines Zeitraums", um diesem Ungefähr zu entkommen, in das Sie sich verirren.
Der technologische Fortschritt war auch nicht mein Thema, sondern die Infantilisierung, die mit dem technologischen Fortschritt ja nicht naturgemäß einhergeht.
Und eines stimmt nun überhaupt nicht: "Es" ändert sich nicht, "man" ändert sich nicht - - - sondern jemand ändert etwas, ein konkreter Mensch, eine konkrete Gruppe. Und hier sehe ich Verantwortung von Menschen. Nämlich für ein sozialistisches Abdriften wider besseres Wissen, das man eigentlich haben sollte, aber aus ideologischen Gründen verdrängt hat und verdrängt.

Gravatar: Clara West

Gesellschaften verändern sich im Laufe der Zeit - manches zum Guten und anderes zum Schlechten. Das ist einfach so und war auch schon immer so.

Wenn man sich heute videos von Rudi Dutschke ansieht, dann war das im Rückblick eher ein braves Jüngelchen mit ganz vernünftigen Ansichten und niemand würde heute auf die Idee kommen, sich davon bedroht zu sehen. Mit vielem hatte er übrigens Recht. Auch die Aufarbeitung der Nazi-Zeit war überfällig.

Wäre meine Mutter nicht Vollzeithausfrau gewesen, hätte sie bis 1977 meinen Vater um Erlaubnis fragen müssen, wenn sie hätte arbeiten gehen wollen. Bis 1957 durften Frauen kein eigenes Konto haben. Ich kann mich noch sehr gut erinnern, dass wir alte Sparkonten am Jahresende immer manuell erfassen mussten, weil es computertechnisch nicht ging. Da gab es dann Konten auf den Namen Witwe Paul Schmidt oder Ernst Mueller. Die Frauen tauchten gar nicht erst auf. Sie waren nicht existent.

1970 verließen in der Bildungsrepublik Deutschland 135000 Schüler die Schule ohne Abschluss, bei etwa 60 Mio Einwohnern. Das war damals kein so großes Problem, weil auch ein Hilfsarbeiter irgendwo einen Job bekam. Ist heute nicht mehr so.

Ja, und der Brockhaus hat heute gar keinen Einband mehr, er ist online. So geht Technologie. Das kann man nun gut finden oder nicht. Es bleibt jedem selbst überlassen. Aufzuhalten ist dieser technologische Fortschritt jedenfalls nicht. Stahlbrücken aus dem 3D Drucker, selbstfahrende Autos, Busse und LKWs, Roboter, die Roboter überwachen, selbstlernende Maschinen....alles entweder schon da oder in Sicht. Bedeutet, dass die Gesellschaften sich dramatisch ändern werden. Auch das stört mich nicht. Mich stört, dass man so wenig darüber spricht und sich Gedanken über unsere Zukunft macht, wie sich das z.B. auf unser Bildungssystem auswirkt, auf die Jobwelt, auf unsere Sozialsysteme.

Gravatar: Catilina

@Dr. Tan: die Bewegung war nicht neutral. Das Aufhetzen der jüngeren Generation gegen die ältere, die weiß Gott genug erlebt hatte, war schon eine Kulturrevolution an sich.
Ich selber habe die 68er Generation immer verabscheut, weil sie sich für das Maß aller Dinge hält. Sie disqualifizieren die Älteren pauschal als "Täter", deren Meinung daher nichts gilt. Die Jüngeren, also meine Generation, nehmen sie ebenfalls nicht ernst, weil sie, die Erleuchteten, ja schon alles gesagt haben was gut und richtig ist. Die Haschisch-Orgien (wo kam das Zeug eigentlich her, in diesem Umfang?) waren ein Weg, die bürgerliche Jugend in willenlose Blödschafe zu verwandeln.
Ich ging auf ein konservatives Gymnasium, die Deutsche Schule in Rom. Ende der 60er bekamen wir einen neuen Schulleiter, von Konrad Adenauer mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Dieser Mann war der Wolf im Schafspelz, denn er gestaltete das Lehrer-Kollegium um. Die Zeit deutscher Lehrer an Auslandsschulen ist auf 4 Jahre beschränkt und der neue Direktor holte nur noch junge Sozis herein. An Schul- und Elternbeirat vorbei, denn er präsentierte die Auswahl und unsereiner hatte kaum Einfluß darauf. Ziel: die Errichtung einer "Roten Zelle" im Lehrkörper (ich wußte damals nicht, was das sein soll) und die Umwandlung unseres seriösen Instituts in eine "Begegnungsschule" mit verschlanktem Lehrplan.
Wie Sie sehen, ist die Katastrophe von langer Hand vorbereitet. Gemeckert wurde viel, echten Widerstand gab es keinen.
Kleine Anekdote: als jeder meiner Schulkameraden die LP "Jesus Christ Superstar" besaß und auch ich sie haben wollte, um mit den anderen mitsingen zu können, kaufte mein Vater mir statt dessen eine Gesamtaufnahme von Händels "Messias". Da kann ich jetzt allerdings bei fast jeder Arie mitsingen (I know that my redeemer liveth...).

Gravatar: Adorján Kovács

@Dr. Tan
Vielen Dank. Auch ich erinnere mich genau, wie ich damals, 1972, 1973 jenen „frischen Wind” einer „liberaleren” und „offeneren” Welt zu verspüren meinte. Besonders die Rockmusik und die Kleidung vermittelten dieses Gefühl der „Freiheit”. Aber das war dem rebellisch-infantilen Erleben eines Pubertierenden geschuldet und jedes Mal erschüttert, wenn er über seine Verwandten mit dem Ostblock konfrontiert wurde, dessen grauenhafte Ideologie ja von den 68ern geteilt und in unsere Gesellschaft getragen wurde.
Was Sie, Dr. Tan, hier referieren, ist das linke Standard-Narrativ zur damaligen Zeit, das, so glaube ich, einfach nicht stimmt, sondern von den 68ern propagandistisch in unsere Köpfe hineingehämmert wurde. Auch unter Rainer Barzel hätte es eine vernünftige Modernisierung gegeben. Nein, damals unter Brandt und Schmidt wurde, ganz im Gegenteil, der Grundstein für alle Probleme gelegt, die Deutschland heute hat. „Neutral” war die Bewegung, die dann tatsächlich in die Institutionen „marschiert” ist und ihr unseliges Werk bis heute fortsetzt, in keinem Fall und jeder Bauarbeiter hat letztlich mehr für den wahren Fortschritt getan als die 68er.

Gravatar: Angela Meinhof - Mohnhaupt

@ Dr.Tan

Ja, klar, die 68er haben gegen die Haue, für die totale Entgrenzung und für die Aufhebung der Konkurrenzverhältnisse in der Gesellschaft gekämpft, um auch die Konkurrenzverhältnisse in der Familie aufheben zu können und umgekehrt. Alles wunderbar.

https://www.youtube.com/watch?v=k7jEk_f04pE

Und die von ihnen, die da tatsächlich gekämpft, gewirkt und 'etwas bewirkt' haben, die haben das mit Gewalt, Terror, Verrat, Mord und Totschlag getan.

Wer diesen Leuten heute noch das Wort redet oder sie womöglich posthum zu Märtyrer*Innen verklärt, diese rotgrünbraune, geisteskranke Scheisse ...

http://www.spiegel.de/forum/kultur/klarinetten-virtuose-sebastian-manz-beinahe-heroische-groesse-thread-577746-1.html#postbit_53104997 ,

... der ist deshalb in der Demokratie und in der FDGO meines Erachtens genauso fehl am Platze, wie Holocaustleugner*Innen und Auschwitzleugner*Innen es sind.

http://www.spiegel.de/forum/kultur/verrohung-der-gesellschaft-wenn-worte-waffen-werden-thread-474979-22.html#postbit_44937068

Gravatar: Dr. Tan

Zur 68-er Generation zählt man diejenigen, die zwischen 1940 und 1950 geboren wurden. Sie waren also 1968 zwischen 18 und 28 Jahre alt. Sie hatten den Krieg nicht mehr oder nur als Kleinkinder erlebt. Von ihren Eltern und Großeltern verlangten sie die Auseinandersetzung mit der "braunen" Vergangenheit, mit dem Nationalsozialismus und dem "Dritten Reich". Plötzlich war es nicht mehr nur das "Ausland", das die Täter zur Rede stellte, sondern es waren die eigenen Kinder und Enkel.
Die Proteste richteten sich außerdem gegen die Gesellschaft, deren Strukturen die junge Generation als erstarrt empfand. Dass die "Alten" bestimmten und die Jungen gehorchten, empfanden sie genauso als überholt wie die starren Rollen von Männern als Versorger und Frauen als Hausfrauen und Mütter. Überhaupt waren sie gegen "Herrschaft". Dagegen rebellierte man auch äußerlich: Junge Männer trugen lange Haare, was vorher undenkbar war, die Kleidung war lockerer und bunter und alte "Benimm-Formen" wurden nicht mehr befolgt..

Es gab also eine große Vielfalt an Themen, an denen sich die junge Generation rieb. Das galt nicht nur für die USA und Westdeutschland. So demonstrierten im März 1968 Studenten in Polen, im Mai 1968 kam es zu Unruhen und Streiks in Frankreich. In die Reihe der Proteste gehört auch der Globuskrawall in Zürich (Schweiz) im Juni 1968. In der Tschechoslowakei kam es zum Prager Frühling.

68 hat die Fundamentalliberalisierung der Gesellschaft sowie die Demokratisierung aller Lebensbereiche gebracht.

Diese Bewegung war neutral. Hat die Gesellschaft verändert. Heute schimpfen die Rechten-Parteien ,obwohl sie selbst sehr viel profitiert haben. Ohne diese Bewegung würde die Jetzige Gesellschaft nicht existieren. Denn Rechte bekommt nicht einfach so, man muss sie erkämpfen. Diese Bewegung hat die Welt verändert. Es war eine Revolution. Und heute? Passive ängstliche sorgloser, mit einem Verständnis:Was geht mich das an Ideologie.

Im großen und ganzen bin ich jedoch der „68-Revolution“ dankbar – denn viele gesellschaftlichen Freiheiten sind keine Selbstverständlichkeiten!

Gravatar: Angela Laber - Luder

Kleine Ergänzung: Die Terroristinnen unter den 68ern ...

https://www.youtube.com/watch?v=OG09rBAJMtc#t=1m23s

... hat der Marsch durch die Institutionen zum Ziel geführt. Das Ziel war die Bestimmung der Richtlinien der Politik schließlich als Teil der deutschen Bundesregierung, der Exekutive. Schweinesystem, 'demokratischer Sozialismus' = deutsch - nationaler Sozialismus also, dieses Mal weiblich ...

http://menschundrecht.de/Reichsgesetzblatt.pdf

.... und folgend dem Prinzip 'Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter - Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.'

Wer hat's erfunden? - Genau ...

Gravatar: Joseph Hausmann

Ein zum Nachdenken anregender Text - danke! Trotz einer gut bestückten Buchsammlung zu einigen Themen bin ich immer mehr auf elektronische Hilfen ausgewichen.

Der Blick zurück, meinetwegen auf den Untergang des Römischen Reiches, wirft jedoch die Frage auf, ob man nicht wieder verstärkt dauerhafte Medien kaufen sollte, insbesondere Wörterbücher und so weiter: Vielleicht für kommende Generationen?

Gravatar: Max Moritz

Vielleicht geht's Vielen so:

Hin und Wieder alte Zeiten aufleben lassen, fasziniert nicht nur die Alten, sondern zieht immer wieder auch Junge an, vielleicht nicht die Masse, aber es gab sie, gibt sie und es wird sie auch in Zukunft geben.

Getrieben von der intuitiven, eher vagen Vermutung nach so was wie einem reinen Kern in der Geschichte, der durch Klarheit und Wahrheit einfach besticht, es ist das was m. E. das zeitlos wert-konservative immer wieder modern und attraktiv macht, den jeweiligen Zeitgeist überdauert.

Jetzt ist Ihre Brockhaus natürlich auch eine selektive, positive Vorauswahl. Auch damals gab es jede Menge Plunder, Kitsch, Altbackenes und Reaktionäres, das gehört genau so zu jeder Zeitepoche dazu.

Die Kunst ist aber nun mal das Unterscheidungsvermögen zwischen Spreu und Weizen zu entwickeln und zu schärfen, ein mühsam zu erlernender Prozess, den sich immer nur wenige zur Lebensaufgabe machen, zu verlockend sind die tief hängenden Früchte des oberflächlichen Zeitgeistes .

Auch die 70er haben ihre Innovationen und Ikonen in Naturwissenschaft-Technik- Literatur-Musik-Kunst hervor gebracht.

Und wer will, der findet auch heute den Weizen unter der vielen Spreu.
MM

Gravatar: Catilina

Lieber Herr Professor Kovács, dieses Unglück ist nicht "über uns hereingebrochen". Es ist der naiven Nachkriegs- Einstellung zu verdanken, daß das Ungeheuer besiegt ist und nun die beste aller möglichen Welten entsteht. Aber, wie schon Churchill sagte: "wir haben das falsche Schwein geschlachtet." Aber egal ob Hitler oder Stalin, beides waren Massenmörder und Vertreter ähnlich gruseliger Ideologien.
Daher bin ich der festen Überzeugung, daß die ganze Wühlarbeit der Linken, der verheerende Einfluß der Frankfurter Schule, die unglaubliche Wirkung der paar Studenten, die 1968 eine Revolte anzettelten, daß dies alles vorsätzlich inszeniert und bezahlt wurde, von den "Üblichen Verdächtigen", da kann jeder die Namen seiner Lieblings-Verschwörer einsetzen.
Da es damals leider kein Internet gab, hatten diejenigen kein Forum, welchen bei der Erosion unserer Wertmaßstäbe mulmig zumute wurde. Wir hatten manchmal den Eindruck, daß man nur Kommunist oder Sozi sein mußte, um ohne große Anstrengung wohlhabend zu werden. Kaum war man in der Partei, wurde man gefördert, bekam lukrative (korruptionsverdächtige) Angebote und beteiligte sich dafür fröhlich an der Demontage bürgerlicher Traditionen. Unser Bekanntenkreis schmolz zusehends. Wären wir in der Lage gewesen, mit Gleichgesinnten Kontakt zu pflegen, hätte sich vielleicht ein gewisser Widerstand gegen den Zeitgeist organisieren lassen. Wie gesagt, soziale Netzwerke waren in den 60er/70er Jahren noch Zukunftsmusik. Aber als ein amerikanischer Freund nach Rom kam und meinen Vater bei der Gelegenheit besuchen wollte, hatte er die falsche Telefonnummer und rief versehentlich bei der Encyclopaedia Britannica an. Die gaben ihm unsere Nummer ohne weiteres, weiß der Himmel, woher.

Gravatar: Wolf Köbele

Vielen Dank! Seit etwa zwanzig Jahren geht es mir im Kopf herum: Man müßte die Infantilisierung der Gesellschaft beschreiben! Ich kam nicht dazu; doch kommen immer wieder Einzelbeobachtung in meinen Blick. Daß im dinglichen Bereich die Entwicklung womöglich schon länger beobachtbar gewesen wäre, zeigt Ihr Artikel deutlich auf.
Für mich ist auch die damals bereits sich ankündigende Herrschaft der Betriebswirte Teil dieses Phänomens (Bsp. "Preis" und "Wert" werden nicht mehr unterschieden, Leistung und Ergebnis ineins gesetzt usw.): Zahlenfetischismus der Kinder nunmehr allgemein: Alles muß "sich rechnen" (gab's als reflexives Verb davor nicht). Bitte weiterhin Fundstücke mitteilen!

Gravatar: karlheinz gampe

Volks Brockhaus wäre heute Nazi , denn alles was das Volk betrifft wird nun als populistisch oder Nazi bezeichnet. So krank sind die Menschen inzwischen.

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