Das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" - Ein Fallbeispiel für journalistischem Qualitätsverlust

Die Frage danach, ob der Journalismus im Spiegel heute schlechter ist als vor 15 oder 30 Jahren lässt sich schwer insgesamt beantworten. Im Folgenden werden aber für einen Themenbereich zwei Beiträge im Spiegel aus dem Jahre 1995 mit vier Beiträgen aus den Jahren 2009- 2012 verglichen. Es geht dabei um die ostdeutsche Agrarpolitik nach der Wende, insbesondere um die ostdeutsche Bodenpolitik.

Veröffentlicht:
von

Der Bund hatte in Ostdeutschland nach der Wende umfangreiche landwirtschaftliche Flächen übernommen, die seit 1992 in der Verwaltung des Treuhandnachfolgers Bodenverwertungs- und Verwaltungsgesellschaft (BVVG) standen, bzw. stehen. Diese Flächen stammen aus der Enteignung 1945/46 im Rahmen der Bodenreform in der sowjetischen Besatzungszone.  Dieser die Agrarstruktur bestimmende Flächenanteil wurde nach der Wende fast ausschließlich an LPG-Nachfolger, DDR- Agrarkader und einige westdeutsche Bauernverbandsfunktionäre verpachtet, vielen bäuerlichen Betriebsgründungen damit von Anfang an, die Existenzgrundlage verwehrt. In zwei Beiträgen des Spiegels von 1995 wird genau dies mittels kritischer Recherche beschrieben: „Doch nicht einmal ein Fünftel dieses Junker-Landes wurde an ortsansässige Wiedereinrichter (Bauern) verpachtet...“ (Spiegel, 1995a). Weiterhin wird in den Spiegel- Artikeln von 1995 ausgeführt, daß fast 70% dieses BVVG- Landes an die DDR- Agrarkader verpachtet wurde, oft mit vielen 100 Hektar Pachtland (Spiegel, 1995a). Es wurde, belegt durch umfangreiche Recherche, festgestellt, daß die ostdeutschen Bauern, also die Wiedereinrichter massiv benachteiligt wurden (Spiegel, 1995 b).

 

Seitdem hat sich an diesem Zustand der Landverteilung im Eigentum des  Bundes und auch der ostdeutschen Bundesländer nichts verändert (Gerke, 2008, Kap. IV., Gerke, 2012). Pachtverträge mit der BVVG wurden mittlerweile auf 27 Jahre verlängert, mehr noch, aufgrund einer aberwitzigen Regelung durften in der Vergangenheit allein die Pächter von  BVVG- Flächen diese verbilligt, das bedeutete fast zum Nulltarif kaufen, die 80%der  bäuerlicher Betriebe in Ostdeutschland waren und sind davon weitgehend ausgeschlossen.

 

Seit etwa dem Jahre 2000 ist es im „Spiegel“ merkwürdig still gewesen, um die ostdeutsche Bodenpolitik, diese fand dort nicht mehr statt, obwohl beim verbilligten BVVG- Verkauf und -Verpachtung mittlerweile Subventionen in einem  zweistelligen Milliardenbereich für im wesentlichen wenige 1000 ostdeutsche Agrargroßbetriebe angefallen sind.  

Bis Ende 2010 sind fast 700.000 ha an BVVG- Flächen meist zu stark subventionierten Preisen an eine kleine Gruppe ostdeutscher Großagrarier verkauft worden. Die verbliebenen 350.000- 400.000 ha an BVVG- Flächen müssten eigentlich zu Marktpreisen auf dem freien Markt verkauft werden. Es bestand für die ostdeutsche Agrarlobby die Gefahr, daß diese verbliebenen Flächen den bisherigen Profiteuren verloren gingen.

„Der Spiegel“ hat darauf mit vier Beiträgen von 2009- 2012 reagiert (Spiegel, 2009, Spiegel, 2010a, 2010b, Spiegel online, 2012).

 

Die schwarz- gelbe Koalitionsregierung hat 2009 in ihrem Koalitionsvertrag eine gewisse Entschädigung der 1945/46 im Rahmen der Bodenreform enteigneten Familien beschlossen, die in einem verbilligten Verkauf von BVVG- Flächen an diese Familien bestehen sollte. Unter dem Titel „Die Rückkehr der Junker“ machte der Spiegel dies zum Thema  (Spiegel, 2009); er machte dagegen mobil. Die ehemals enteigneten Familien sollten nach dem Willen der CDU/CSU- FDP- Koalition zwischen 15 und 50 ha zum verbilligten Erwerb erhalten. Unter diesem Vorzeichen von „Junkern“ zu schreiben, war blanke Propaganda. Der Beitrag des  Spiegels erwähnte die damit verbundenen Subventionen für die Alteigentümer- Familien durch den Bundeshaushalt in einem zweistelligen Millionen- EUR- Bereich kritisch. Daß die verbilligten BVVG- Bodenverkäufe und die verbilligte Verpachtung dieser Flächen an DDR- Agrarkader und an Agrarfunktionäre  staatliche Subventionen in einem zweistelligen Milliarden-EUR- Bereich in den letzten zwei Jahrzehnten bedeuteten,  ist dem Spiegel seit  mehr als  einem  Jahrzehnt keine Erwähnung wert. Ebenso daß einzelne DDR- Agrarkader mit 200, 500 oder sogar mehr als 1000 ha an BVVG- Flächen bedacht wurden, also das 10- 100- fache dessen, was für die Alteigentümerfamilien geplant war. Die Gruppe der ehemaligen DDR- Agrarkader und einiger Agrarfunktionäre sind die neuen Junker in Ostdeutschland. Der Beitrag (Spiegel, 2009) diente dazu, die geringfügige Beschneidung der Privilegien der neuen Junker in Ostdeutschland durch eine gewisse Rückgabe an Alteigentümerfamilien zu unterbinden. 

Anfang 2010 einigten sich Bund und ostdeutsche Bundesländer für die verbliebenen 350.000- 400.000 ha BVVG- Flächen darauf, daß die bisherigen Pächter, also die ostdeutschen Großbetriebe, auch noch für zusätzliche BVVG- Flächen Vorkaufsrecht erhielten, also damit für die bisherigen Profiteure bei den BVVG- Flächen ein neuer Subventionsschub begründet wurde. In einem weiteren Spiegel- Beitrag (Spiegel, 2010 a) wurde diese Einigung thematisiert, aber die Subventionen allein in Bezug auf die flächengebundenen EU- Agrarbeihilfen thematisiert. Die Subventionen bei Verkauf und Verpachtung von BVVG- Flächen für die Großbetriebe blieben ausdrücklich unerwähnt. Eine kritische Betrachtung der ostdeutschen Bodenpolitik hat im Spiegel keinen Platz mehr.

Trotz Vorkaufsrecht für die Großbetriebe hätte die BVVG ab 2010 die Flächen nur noch zum Verkehrswert, also zu Marktpreisen verkaufen dürfen, also ohne Subventionen.

 

Um dies zu verhindern, also um den bisherigen Profiteuren bei den Subventionen im ostdeutschen Bodenkauf auch weiterhin Kaufsubventionen aus dem Bundeshaushalt zuzubilligen, wurde im Herbst 2010 eine mediale Kampagne in Gang gesetzt, an der die meisten ostdeutschen  Tageszeitungen, NDR, WDR, MDR und sogar die Tagesthemen beteiligt waren. Auch der Spiegel war in die Kampagne einbezogen (Spiegel 2010 b).  Unter dem Titel: „Bauernland in Bonzenhand“ war die Botschaft der Kampagne, daß die BVVG ihre restlichen Flächen billig verkaufen solle, damit keine fremden Investoren Ostdeutschland aufkaufen könnten. Dabei geht es wiederum um den verbilligten Verkauf an die  kleine Gruppe von weniger als 15% der ostdeutschen Großbetriebe. Daß die 80% der bäuerlichen Betriebe seit der Wende weitgehend von den BVVG- Flächen ausgeschlossen sind, ist auch für diesen Spiegel- Beitrag kein Thema. Diese gesamte Medienkampagne vom Herbst 2010 und im besonderen der Spiegel- Artikel

(Spiegel, 2010 b) ignorieren folgende Sachverhalte. Die im Beitrag als Bonzen beschworenen außerlandwirtschaftlichen Investoren sind beim Kauf an großen, zusammenhängenden Flächen interessiert. Diese bieten vor allem die BVVG und die ostdeutschen Bundesländer, die Eigentümer zusammenhängender landwirtschaftlicher Flächen sind. Die ostdeutsche Bodenpolitik von Bund und ostdeutschen Bundesländern als Eigentümer dieser Flächen ist also für den Ausverkauf verantwortlich. Es ist bizarr, daß dies ausgespart wird (Spiegel, 2010 b). Die Abbildung des Brillenfilialisten Fielman in dem Beitrag (Spiegel, 2010) hätte den Autor, wenn er nicht so schlampig oder möglicherweise sogar mit Absicht tendenziös recherchiert hätte, auf die richtige Spur bringen müssen. Fielmann hatte 2004 in einem Interview darauf hingewiesen, daß er sich seinen Ackerbaubetrieb in M-V nur zusammen kaufen konnte, weil der damalige Ministerpräsident Ringsdorf (SPD) ihn beim Erwerb von BVVG- Flächen unterstützte. Die ostdeutschen Politiker als Vermittler des Ausverkaufs.  Der Spiegel- Beitrag lenkt von den Akteuren beim Verkauf an außerlandwirtschaftliche Investoren ab, nämlich den ostdeutschen Landesregierungen und versucht Akzeptanz dafür zu schaffen, daß die bisherigen Profiteure beim Bodenkauf auch weiterhin dabei hohe Subventionen erhalten (Spiegel, 2010 b). Damit wird aber der Ausverkauf nicht verhindert, sondern die Großagrarier können beim anschließenden Verkauf ihrer arrondierten Großbetriebe an externe Investoren eine vom Steuerzahler finanzierte größere Handelsspanne realisieren. 

 

Der bizarre Journalismus in diesem Themenbereich wird in einem Beitrag von Spiegel- Online vom 24.4. 2012 auf die Spitze getrieben.  Der Titel lautet: „Deutsches Ackerland. Agrarminister kämpfen gegen Bodenspekulation.“ An den oben beschriebenen Sachverhalten hat sich bis heute nichts geändert. Verantwortlich für den Ausverkauf ist die Bodenpolitik der ostdeutschen Landesregierungen und dabei zentral die der Agrarminister. Statt aber diese Sachverhalte zur Kenntnis zu nehmen, wird im Spiegel-Online Beitrag unter anderen der Landwirtschaftsminister von Mecklenburg- Vorpommern zitiert, der seit 1998 amtierend alle bodenpolitischen Entscheidungen zum Ausverkauf aktiv befördert hat.  Wenn dann ohne weiter Argumentation und Realitätsbezug in dem erwähnten Spiegel-Online Beitrag schon in der Überschrift von den Verantwortlichen des Ausverkaufs behauptet wird, diese kämpften dagegen, dann hat dies wenig mit Journalismus und viel mit Akzeptanzeinwerbung für eine Politik zu tun, die Milliardensubventionen an eine kleine ostdeutsche Gruppe von Großagrariern verteilt hat und dies auch weiter tun will.

 

Welche Schlußfolgerungen lassen sich für die Berichterstattung des Spiegels in diesem Themenbereich ziehen?

 

     

  1. Die beiden Beiträge von 1995 waren gut recherchiert  und haben illegale und hoch subventionierte Sachverhalte in der ostdeutschen Landwirtschaft zutage gefördert. Bei den 2009- 2012 zum selben Themenbereich veröffentlichen Beiträgen handelt es sich  unter anderem auch durchweg um schlechten Journalismus.
  2. In den Beiträgen 2009- 2012 zum ostdeutschen Bodenverkauf werden die Akteure nicht kritisch befragt, sondern es wird das jeweilige aktuelle Darstellungsinteresse und Handeln für eine kleine Gruppe ostdeutscher Großagrarier  der ostdeutschen Agrarminister und der Landesregierungen bedient. Diesem Bedürfnis wird dabei schon in den Überschriften Rechnung getragen.
  3. Die Beiträge 2009- 2012 wurden, so einheitlich deren Tendenz war, von mehreren Journalisten verfasst. Es fehlt in allen Beiträgen der Hinweis darauf, daß es für die ostdeutschen Großbetriebe, aber nicht die dortigen bäuerlichen Betriebe Subventionen bei Kauf und Pachtung von BVVG- Flächen im Milliarden EUR- Bereich gegeben hat. Dies legt die Vermutung nahe, daß dieser Sachverhalt ein Tabu- Thema für die gesamte Spiegel Redaktion ist. Kritischer Journalismus über einen der größten Skandale des Deutsch- Deutschen Einigungsprozesses findet im Spiegel nicht mehr statt.   
  4.  

 

PD Dr. Jörg Gerke, 7.5. 2012

 

Literatur

Der Spiegel 1995a: Belogen und betrogen. Ausgabe 24.

Der Spiegel  1995 b: Im Zweifel gibt es Druck. Ausgabe 25.

Der Spiegel  2009: Die Rückkehr der Junker. Ausgabe 45.

Der Spiegel  2010a: Ausgabe 7, Seite 17.

Der Spiegel 2010 b: Bauernland in Bonzenhand. Ausgabe 43.

Spiegel- Online vom 24.4. 2012. Deutsches Ackerland. Agrarminister kämpfen gegen Bodenspekulanten.

Gerke, Jörg 2008: Nehmt und euch wird gegeben. Das ostdeutsche Agrarkartell.Hamm.

Gerke, Jörg 2012: Ostdeutsche Bodenpolitik nach 1990. Das Zusammenspiel von Politik, Justiz und Verwaltung. Hamm.

Für die Inhalte der Blogs und Kolumnen sind die jeweiligen Blogger verantwortlich. Die Beiträge der Blogger und Gastautoren geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion oder des Herausgebers wieder.

Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte
unterstützen Sie mit einer Spende unsere
unabhängige Berichterstattung.

Abonnieren Sie jetzt hier unseren Newsletter: Newsletter

Kommentare zum Artikel

Bitte beachten Sie beim Verfassen eines Kommentars die Regeln höflicher Kommunikation.

Keine Kommentare

Schreiben Sie einen Kommentar


(erforderlich)

Zum Anfang