Das Fleisch, die Insel und Umut-Talha

Menschenzüchtung: Vom Makro- ins Mikroskopische und darüber hinaus

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Manchmal, eher zufällig, werden auch in Deutschland interessante Filme gedreht. Anno 1979 kam ein ungewöhnlich hellseherischer Thriller von Rainer Erler heraus, unglaublicher Weise vom ZDF mitproduziert: „Fleisch“, mit einer unverbrauchten, sexy Jutta Speidel in der Hauptrolle.  Ob der Film gut ist, sei dahingestellt, aber das Thema des illegalen Organhandels wird spannend behandelt: Ein Syndikat liefert reichen Auftraggebern Organe junger, gesunder Opfer. 

2019: Unter einer menschenleeren Prärie in den USA liegt eine abgeschottete hochsterile Einrichtung, in der von einem Unternehmen Klone reicher Großstädter, die viel Geld investiert haben, gezüchtet werden, um bei Bedarf für die „Originale“ als Ersatzteillager zu dienen. Die Klone, die davon nichts wissen und deren Erinnerungen auch künstlich implantiert wurden, arbeiten selbst in keimfreien Labors, werden weiterhin kontinuierlich indoktriniert, damit sie nicht etwa auf dumme Gedanken kommen. Ihr uniformartiges Outfit und das ihr Leben bestimmende Reglement erinnern vielleicht nicht von ungefähr an Michel Houellebecqs Roman „Die Möglichkeit einer Insel“, der im selben Jahr (2005) erschienen ist, in dem der Film „Die Insel“, von dem hier die Rede ist, herauskam. Während bei Houellebecq, der seinen Roman selbst verfilmte, den Protagonisten ein pessimistisches Ende unter apokalyptischen Landschaften erwartet, kommen in der amerikanischen Produktion die Klone zweier schöner Exemplare der menschlichen Gattung (gespielt von Ewan McGregor und Scarlett Johansson) dahinter, dass immer, wenn einem ihrer Genossen die Verlegung auf die paradiesische „Insel“, dem angeblich letzten nicht kontaminierten Weltteil, versprochen wird, die Zeit seiner Schlachtung gekommen ist. Sie fliehen, um ihre Schöpfer zu treffen.

Wie immer wird alles, was der Mensch sich vorstellen kann, auch gemacht. Umut-Talha heißt das Designerbaby, das jetzt in Frankreich geboren wurde oder besser: geboren werden durfte, nachdem mittels der Präimplantationsdiagnostik geklärt worden ist, ob es geeignet sein würde, mit seinen Stammzellen seinen an der Beta-Thalassämie leidenden Geschwistern zu helfen. Ich will das noch nicht „Züchtung“ nennen, aber es ist nahe dran. Die französischen Ärzte (oder soll man sie besser „Mediziner“ nennen) heißen Munnich und Frydman, die Eltern des Kindes sind türkische Immigranten: Es sind die kreativen Minderheiten, die in Frankreich offenbar für solche Aktionen vorgeschoben werden - man weiß ja nie, wie es ausgeht.

Die Mission, die Umut-Talha hat, ist jedenfalls ebenso ethisch vertretbar wie der Wunsch der Reichen im Film verständlich ist, bei Krankheit kompatible Ersatzgewebe zu erhalten. Nimmt man die sozialkritische Komponente, die auch schon in „Fleisch“ durchscheint, hinweg, würden also Organe für Arme und Klone von Armen gezüchtet, würde demnach das Verfahren demokratisiert, wäre es deshalb weniger verwerflich? Oder würde es ethisch noch akzeptabler werden? In „Fleisch“ wurden noch die originalen Menschen ermordet, in „Die Insel“ „nur“ noch die Klone. Heute, in der Realität des Jahres 2011, musste „nur“ Umut-Talhas potentielles Geschwister als Embryo dran glauben: Es hatte leider auch den Gendefekt. In Zukunft wird ein Zellhaufen genügen, der keinerlei personale Potenz besitzt. Diese Entwicklung vom Grob-Makroskopischen ins Zelluläre könnte eine ethisch vertretbare Lösung des Problems sein.

Es gibt aber auch die Variante B. Züchtung nicht aus medizinischen, sondern aus militärischen oder arbeitsrationalen Gründen. Umut-Talha wird immerhin noch in einer intakten Familie aufwachsen. Das muss nicht so sein. Machen wir uns nichts vor, der Rubicon ist längst überschritten, die Entwicklung ist nicht aufzuhalten. Und warum sollten nicht Klone Krieg führen oder in 5000 Metern Tiefe auf dem Meeresboden Erz abbauen? Gute Gründe sprechen dafür. Da fällt mir abschließend noch ein weiteres visionäres Kleinod aus der deutschen Fernsehvergangenheit ein: „Dreht euch nicht um – der Golem geht ’rum oder Das Zeitalter der Muße“ ist der Titel eines Science-fictions, der unter Regie von Peter Beauvais im Jahr 1971 entstand. In der Gesellschaft dieses Films gelten an der individuellen Intelligenz orientierte Fortpflanzungsbestimmungen. Arbeitssklaven sind die sogenannten H-Is, also Halbintelligenzler, denen man ein wenig vom Tier beigemischt hat, damit erst gar keine Renitenz aufkommt. Warum sollte man das eigentlich nicht tun?  Menschenrechte würden an ihnen ja nicht verletzt.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Adorján F. Kovács

@kit_fisto
Vielen Dank für Ihren leidenschaftlichen Kommentar, auf den ich doch gerne antworten möchte.
Wenn Sie meinen Beitrag etwas ruhiger gelesen hätten, wäre Ihnen aufgefallen, dass ich die PID für ein noch recht primitives Verfahren halte. Ich hoffe darauf, dass die Zukunft es ermöglicht, dass ein "Zellhaufen, der keinerlei personale Potenz besitzt", aus dem also meinetwegen eine Niere, aber kein ganzer Mensch entstehen kann, die Lösung bringt. Damit wäre das ethische Problem aus dem Weg, erst einmal einen Menschen produzieren zu müssen, der nur deshalb das "Wunder des Lebens" erhielt, weil er einen praktischen Nutzen haben soll.
Dass an sich neutrale oder potentiell "gute" Techniken missbraucht werden können und dann auch missbraucht werden, daran besteht für mich kein Zweifel.

Gravatar: Freigeist

Arbeits-Sklaven müssen nicht produziert werden, die gibt es zur Zeit schon genug in der Dritten Welt. Zudem - die Robotertechnik wird die Arbeitssklaven leider auch noch arbeitslos machen. Arbeitssklaven sind viel zu teuer im Vergleich zu Robotern, die man bei Nichtgebrauch verschrotten kann.

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