Bürgerdialog: Ende der Durchsage

Der sechste Dresdner Kreuzkirchendialog ist Geschichte. Und es wird wohl auch der letzte gewesen sein.

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Obwohl endlich wahr wurde, was  in den vergangenen Veranstaltungen oft barsch gefordert wurde, nämlich, dass sich „Tillich und Konsorten endlich mal herscheren sollten“, war das Interesse eher mäßig. Viele Bankreihen in Dresdens zweiter großer Kirche blieben leer als es um den Komplex „Mitsprache“ ging. Offenbar erwarten sich die Bürger keine Impulse oder Antworten mehr, wenn nicht mal der Ministerpräsident als prominenter Gast zieht. Wobei es vielleicht auch gerade an diesem liegt. Hölzern und distanziert wie man ihn kennt, steht er am Mikrofon und erzählt den aufgebrachten Menschen etwas von Mehrheiten, vom Wählen und Gewähltwerden. Dabei wird immer wieder deutlich: Der Funke will einfach nicht überspringen. Tillich in seinem Habitus mit perfekt sitzendem Anzug, weißem Haar und angenehm sonorer Stimme ist er der Typus Berufsfunktionär, der schon morgen aus dem Stand ein Landratsamt im ehemaligen Bezirk Rostock und übermorgen den Vorsitz einer Krankenkasse in Düsseldorf übernehmen könnte. Kein Vergleich mit seinem berühmten Vorgänger Kurt Biedenkopf, dem die Sachsen längst seine Einkaufstour bei Ikea verziehen haben, wenn sie sich überhaupt noch daran erinnern. Der kleine Kurt Hans, wie ihn Gemahlin Ingrid stets zu nennen pflegte, vermittelte den Sachsen mit seinem verschmitzt vigilanten Auftreten zweierlei: Ich bin doch im Grunde einer von Euch und lasst mich mal machen. Ihm schrieben die Menschen Postkarten mit Genesungswünschen, wenn er im Krankenhaus lag. Wo er hinkam, wurden Schultern geklopft, Hände geschüttelt. Er führte den „Tag der Sachsen“ ein. In der „kleinen Staatskanzlei“, dem Büro Ingrid Biedenkopf, weinten sich die Untertanen aus, wenn die demokratischen Verwaltungsinstanzen eben doch nicht so funktionierten, wie es auf dem Papier steht. Hier wurde an den Instanzen vorbei eingegriffen. Wenn nötig über König Kurt Hans persönlich. Die sächsische Nachwendemonarchie ist lange vorbei. Wenn sie mitmachen wollen, können sie in Parteien und Vereine gehen, wenn sie sich beschweren wollen, vor Gericht ziehen, hören die Bürger von ihrem jetzigen Landesvater. Nichts, was das Herz erwärmt. Tillich spricht vom „Lebenselixier der Demokratie“, wenn Meinungen nicht nur dem Mainstream entsprechen, um den Geist gleich wieder in die Kiste zu stopfen. Es gäbe natürlich Grenzen der Meinungsfreiheit. Nicht dass jemand übermütig wird. Gewaltaufrufe, Rassismus und dergleichen. Er ließ das unspezifiziert. Wahrscheinlich, um vielleicht nicht ausgerechnet im einstmals total zerstörten Dresdner Zentrum auf Sprüche wie „Bomber Harris do it again“ und Ähnliches eingehen zu müssen. Er habe 30 Jahre in einer Diktatur gelebt, wo nur einer sage,  wo es langgeht, so Tillich, der dabei noch bedeutungsschwer langsamer sprach. Was er dabei taktvoll unerwähnt ließ, ist der Fakt, dass er nicht nur nolens volens seine 30 Jahre in einer Diktatur so irgendwie auf einer Backe abgerissen hat wie so viele, sondern als stellvertretender Vorsitzender des Rates des Kreises Kamenz schon in jungen Jahren an maßgeblicher Stelle ziemlich vorne mit dabei war.  Und es kam noch besser. Uwe Steimle hätte wahrscheinlich wieder gefragt, wer hier Kabarett macht, als Tillich doch völlig ernsthaft sagte, Bundeskanzler und sogar Ministerpräsidenten könnten nicht einfach so entscheiden. Sie seien keine Könige. Prompt reagierte der erste Redner in der darauffolgenden Runde „Bürger am Mikrofon“ auf diesen Satz. „80 Millionen haben am Bildschirm live verfolgen können wie genau das passiert ist“. Er frage ihn gar nicht erst wie er das finde, möchte aber daran nur ein Frage knüpfen: Schreie so etwas nicht nach direkter Demokratie? Überhaupt hatte es diese Fragerunde in sich. Was er denn bei den Bilderbergern wolle und wie er sich dabei fühle?, wollte einer wissen. Tillichs Antwort verriet, dass er den Rat des Kreises Kamenz irgendwie nie ganz verlassen hat oder der ihn nicht: Auch das sei eine gute Gelegenheit, um für Investitionen in Sachsen zu werben. Aha. Man darf also gespannt sein, welche Eine-Welt-Läden Ex-US-Außenminister Henry Kissinger und Ex-CIA-Chef Petraeus demnächst in Sachsens Hauptstadt aufziehen. Zu allem Ungemach meldete sich dann noch ein perfekt mit Sakko und weißem Hemd gekleideter junger Mann zu Wort. Artig bedankte er sich, dass der Herr Ministerpräsident hier erschienen sei, um dann aus dem Kopf Völkerrechtsartikel zu zitieren, die in seinem Vorwurf gipfelten, mit der Ansiedlung von 1,5 Millionen kulturfremden jungen Männern in seiner Alterskohorte finde ein „weicher Völkermord“ an den Deutschen statt. Versammlungsleiter Peter Stawowi sprang aufgeregt zum Mikro und überzeugte das Publikum von seiner Souveränität als Moderator, indem er sagte, er habe schon viele Veranstaltungen moderiert, aber das hier sei destruktiv. Zugleich ließ er das Auditorium an seinen  Bewertungsprozessen teilhaben: Googeln sie mal Wortergreifungsstrategien von Rechtsextremen. Der junge Mann, nach der Veranstaltung gefragt, verneinte eine wie auch immer unterstellte Nähe zur NPD oder anderen rechtsextremen Vereinigungen. Er habe hier studiert und sei Ingenieur. Der ebenfalls anwesende Leiter der sächsischen Verwaltungsfachhochschule Meißen rückte dann mit etlichen Worten und seiner Autorität als Rechtskundiger die ungeheuerliche Meinungsäußerung zurecht. Teile des Publikums hatten die Worte des jungen Mannes, die zum Schluss schon im Lärm untergingen, mit Rufen wie „Das ist die Wahrheit“ quittiert, während andere aufgeregt murmelten. Aber es blieb auch weiter kein Wohlfühltermin. Eine Dresdnerin hatte sich auf drei Schwerpunkte vorbereitet. Sie wedelte mit einem Bildzeitungsausriss, in dem es um die kürzlich erfolgte Koreareise des Dresdner Oberbürgermeisters Dirk Hilbig (FDP) ging. 475 Euro hätte laut diesem Presseorgan eine Nacht in dem Hotel gekostet, in dem der Dresdner OB nächtigte. Wer das wohl bezahlt habe? Hilbert sagte, zu dieser Konferenz, bei der es um die Entwicklungen im asiatischen Raum ging, sei er eingeladen gewesen und habe Dresden dort präsentiert. Was Dresden mit den Entwicklungen Asiens verbindet, ließ er offen. Das Hotel habe er selber bezahlt. Mit Sicherheit überhaupt keine Rolle hat gespielt, dass Hilbert eine koreanische Frau hat. Die Zustände auf der Prager Straße und die Kopftuch-Kostümierung hochrangiger weiblicher Mitarbeiterinnen des Sächsischen Wirtschaftsministeriums anläßlich einer Iranreise waren die zwei anderen Dinge, die die Dresdnerin ansprach. Letzteres kommentierte sie mit den Worten: Geht’s noch?

Den Beteiligten aus der Riege der Entscheidungsträger war anzumerken, dass sie ganz froh sind, die Sommerpause erreicht zu haben. Ob es mit diesem Format weitergehe, müsse geklärt werden, hieß es. Dabei war die Rede davon, dass „andere Formen“ des Dialogs gefunden werden müssten. Will heißen: Ende der Durchsage. Denn welche will man noch finden? Erst 2015 gab es nach dem heißen Herbst und Winter 2014/2015 eine Reihe von Veranstaltungen, in denen Bürger an Tischen und unter Moderation mit Regierungsvertretern, darunter auch mehrmals Ministerpräsident Stanislaw Tillich, debattieren konnten. Dieses als „Faselmorast“ verspottete Format hat keinerlei abrechenbare Ergebnisse gebracht. Wie auch. Die grundlegenden Entscheidungen werden von der Monarchin in Berlin nach demokratischem Zwiegespräch mit sich selbst entschieden. Der Rest der Republik hat dann nur noch zu schauen, wie er beispielsweise „die Menschen, die zu uns kommen“ unterbringt. Um nur einen Aspekt zu nennen. Daran kann auch ein Tillich, selbst wenn er wie derzeit Vorsitzender des Bundesrates ist, nichts ändern. Mal angenommen, er wollte sogar. Es bleibt dabei: Die Kommunikation zwischen Volk und Obrigkeit ist nachhaltig gestört. Eine Gruppe inzwischen stadtbekannter Pegidianer brachte am Ende der Veranstaltung durch das Hochhalten von einzelnen Buchstabenkarten zum Ausdruck wie ihre Lösung aussehen könnte. Zu lesen war das Wort: Neuwahlen.

Zuerst erschienen auf https://castorfiberalbicus.wordpress.com/

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