Buckeln und Treten

Wenn die Panzer der ideologischen Umgestaltung unserer Gesellschaft überall schon so schön am Rollen sind, macht man am besten keine halben Sachen.

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Artwork: Uwe MöllerUnd weil auch mit so scheinbar harmlosen Phänomenen wie dem Fahrradfahren wie vor kurzem hier gesehen weltanschauliche Dominanz bewiesen werden kann, nutzt man dies gleich noch dazu, um den demokratischen Überbau ein bisschen weiter plattzumachen. Wenn also demnächst Berlin per Volksentscheid für ein „Gesetz zur Förderung des Radverkehrs“ und den so generierten Dauerstau Milliarden bezahlen muss, bekommt es dazu gleich noch ein bisschen mehr stramm ausgerichtete Ordnungsmacht verordnet.

Das Gesamtpaket ist spätestens mit dem Volksentscheid parallel zur Bundestagswahl im nächsten Herbst direktdemokratisch legitimiert, womit sich erneut zeigt, dass jeder Volksentscheid zu partikulären Themen keine Alternative zur zunehmend volksfernen Parlamentsdemokratie ist, sondern lobbygesteuerten Partikularinteressen Tür und Tor öffnet.

Nicht nur neue, politisch-korrekt ausgerichtete Fahrradstaffeln der Polizei, die laut Gesetz ausdrücklich nicht gegen Fahrradfahrer vorgehen dürfen, wird das neue Gesetz bringen, sondern auch noch ein „Bewusstseinsministerium“, das mittels Öffentlichkeitsarbeit den „Radverkehr zu fördern und alle Verkehrsteilnehmer für ein besseres Miteinander (zu) sensibilisieren“ hat. Was dieses Neusprech zu bedeuten hat, wissen wir aus der Gender- oder der Migrantenpraxis zur Genüge. Im Sinne eines machterhaltenden ideologischen Crossovers heißt es dann in der Gesetzesvorlage auch durchgängig sperrig „Fahrradfahrende“ oder „zu Fuß Gehende“, um nur ja nicht die männliche Standardform zu benutzen und damit mögliche Verbündete aus (anderen) Gutmenschenbereichen abzuschrecken. Das neue Milieu des Niedergangs hält die Reihen fest geschlossen.

„Berlin dreht sich“, ist der Wahlspruch der Rad-Initiative, doch in Wirklichkeit dreht sich die Stadt bestenfalls weiter um sich selbst, wahrscheinlicher aber schlicht komplett durch. Kann denn ein solches Radgesetz unabhängig von den grundsätzlichen Kontroversen alle erforderlichen Differenziertheiten abwägen? Könnte das ein anderes von privaten Personen mit privaten Interessen entwickeltes Gesetz? Nein, kein solches Gesetz kann das, erst recht nicht, wenn es so offen parteiisch ist wie in unserem aktuellen Beispiel.

Daran ändert auch nichts, dass im Frühsommer 105.000 Bürger das vorbereitende Volksbegehren begeistert unterschrieben - das waren immerhin fünfmal so viel wie nötig. Was schert die Unterzeichner und die zu erwartenden Millionen Pro-Wähler, dass das gut gemeinte Unternehmen nach Senatsschätzungen mehr als zwei Milliarden Euro kosten wird – die jährlichen Folgekosten für besagte Polizeistaffeln und andere Personalaufwendungen nicht eingerechnet. Wer von denen denkt schon darüber nach, was die so bewirkte Verlangsamung bis zum Dauerstau in der Praxis für den Lebens- und Wirtschaftskreislauf der Stadt bedeuten wird?

Stattdessen wird so weit gedacht, wie ein Rad mit einem Platten eben rollt. Dem Regierenden Bürgermeister und seinem Stab werden dann Dienstfahrräder verordnet, und damit der nicht schwitzend den Botschafter empfangen muss, wird gleich weitsichtig eine Pflicht verankert, bei Umbauten öffentlicher Gebäude Radfahrerduschen einzubauen. Ja, detailliert ist die Vorlage schon, legt sie doch auch fest, dass bei Schnee und Eis erst die Fahrradwege und dann die Straßen zu befreien sind, obwohl bei Schnee und Eis das überwältigende Gros der Radfahrer den Drahtesel zu Hause lassen wird.

Schon jetzt musste von den Initiatoren deren Werk peinlicherweise nach der Abstimmung für das Volksbegehren an zwei entscheidenden Stellen korrigiert werden. Nicht mehr an 800 Kilometern Berliner Hauptstraßen sollen zweimal zwei Meter breite Radwege entstehen, sondern an 1600. Man hatte die Bundesstraßen vergessen! Dadurch steigen unter anderem im selbst schöngerechneten Ansatz die Kosten von 320 Millionen Euro um mehr als 150 Millionen Euro. Außerdem sollen anscheinend Radwege entfallen, wo es Tram- oder Busspuren gibt. Die Busfahrer werden sich auf den zusätzlichen Slalom freuen, die Straßenbahnen hinter jedem einzelnen Radfahrer gemütlich herzuckeln.

All dieses „Kleingedruckte“ werden sich vielleicht 0,1 Promille der Wähler ansehen, während der Rest sich und andere mit ahnungsloser Begeisterung ins Unglück stürzt. Volksentscheide sind aber nicht nur anfällig für Missinformation, sondern auch für Fehlinformation, besser gesagt: Täuschung. Wie gut klingt es, wenn für Busse und Bahnen Vorrangschaltungen gefordert werden, ohne sagen zu können und zu wollen, an welcher Stelle und in welchem Umfang. Und letztlich wird mit der euphemisierenden Leugnung der erheblichen Probleme, die das Radfahrergesetz für den öffentlichen Verkehr bringen wird, auch kaschiert, dass Nichtradfahrer, Familien, Alte und Behinderte zum Opfer oder zumindest Leidtragenden der schönen neuen Fahrradwelt werden.

Im konkreten Fall stehen solche Fehlinformationen auch noch konkurrenzlos im Raum, weil bisher weder Politik noch Medien ein Interesse am Widerspruch zeigen. Ist das nun ein Ausdruck ideologischer Seilschaften oder eine Unterwerfung unter den herrschenden ökologischen Imperativ? Oder ist es einfach wieder eine Folge der hier schon oft beklagten Unfähigkeit, Komplexes sehen zu wollen und zu können? Schon längst ist es in einer so durchideologisierten wie unüberschaubaren Gesellschaft selbst den inhaltlich Zuständigen geradezu peinlich, über komplexe Zusammenhänge nachzudenken. Und ebenso ist der Bürger längst auf einfache Schaltkreise umprogrammiert.

Immerhin gab es Proteste von den Naturschützern vom BUND und der ÖPNV-Fahrgastgemeinschaft IGEB. Deren Kritik richtet sich weniger dagegen, dass in Punkto Radverkehr dringender Handlungsbedarf besteht, sondern in der Befürchtung, dass bei der gewählten Form als Gesetzesvorlage die Interessen anderer Verkehrsteilnehmer nicht angemessen berücksichtig werden könnten. Kritik hätte man auch vom ADAC erwartet, doch der betreibt Appeasement-Politik und stellte eine Umfrage dazu, nach der rund die Hälfte der Berliner den Volksentscheid auch in seinen weitergehenden Zielen unterstützen.

Wie auch immer, ein Volksentscheid ist ein perfektes Medium für Populisten, die auf dem jeweiligen ideologischen Rückenwind surfen. (Der Begriff "Populist" ist hier im eigentlichen Wortsinne gemeint und nicht wie in der inzwischen von unseren geistigen und materiellen Machthabern zum Schimpfwort deformierten Bedeutung für Menschen, die die Interessen des Volkes vertreten.) Um dazu einmal die ansonsten unsägliche Petra Sorge vom Cicero zu zitieren: „Zahlreiche Volksentscheidungen auf nationalen und regionalen Ebenen haben gezeigt: Einkommens- und bildungsstarke Bevölkerungsschichten bringen ihre Interessen viel stärker in den politischen Prozess ein als benachteiligte Gruppen.“

Wenn die restlichen Teilnehmer am Stadtverkehr antizipieren könnten, dass ein solcher kein Luftballon ist, der sich beliebig aufpumpen lässt, sondern bestenfalls ein Nullsummenspiel, wenn sie also wüssten, was ihnen blüht, würden sie vielleicht einen Gegenvolksentscheid anstreben. Oder dennoch nicht, weil Volksentscheide eben viel eher von jungen politischen Eiferern als Abkürzung zum materiellen Seelenheil praktiziert werden. Schon deshalb liegt hier eine Verschiebung weg von den realen Interessen der Bevölkerung vor.

In realitas sind Volksentscheide, jedenfalls die, die sich nicht um die großen Fragen eines Staatswesens, sondern um partikuläre Fragen kümmern, immer der Versuch einer Neuaufteilung des vorhandenen Kuchens zugunsten von Gruppeninteressen. Nicht nur im konkreten Fall werden individuelle Vorteile dabei jedoch mehr oder weniger erfolgreich als Nutzen für die Allgemeinheit verkauft. Die Unbedarftheit und Unwissenheit des Wählers wird dabei vorausgesetzt und instrumentalisiert.

Dieser Wähler, der in seiner Gesamtheit in den großen Fragen (EU-Beitritt, D-Mark-Abschaffung, Migration), welche die Herrschenden aus aus ihrer Sicht gutem Grund erst gar nicht zulassen würden, intuitiv durchaus richtig entscheiden könnte, ist in Detailfragen völlig überfordert. So richtig es aus demokratischer Sicht ist, die Gesamtheit der Menschen und ihre „Kollektive Kybernetische Kompetenz“ in den Mittelpunkt von Entscheidung zu stellen, so sehr muss darauf geachtet werden, dass diese Entscheidungen auch auf kybernetischer, also umfänglich kollektiv durchdachter Grundlage zu fällen sind.

Beispielsweise interessieren bei Volksentscheiden die Initiatoren in der Regel weder Kosten noch Machbarkeit. Wer den Gesetzestext schreibt und das Wählervotum (bei meist geringer Wahlbeteiligung) hinter sich bringt, hat dann eben am Ende unabhängig von Vernunft und Wirklichkeit recht. Enthält das Radfahrergesetz etwa Vorschläge wie man die Berliner Kamikazeradfahrer zum Einhalten der Gesetze bringen könnte? Natürlich nicht, denn das wäre Aufgabe einer kenntnisreichen und engagierten Verwaltung, die durch einen Volksentscheid ausgehebelt wird und dann höchstens die Scherben zusammenkehren muss.

Volksentscheide kennen auch keinen Minderheitenschutz. Eine Interessengruppe setzt sich stattdessen gegen die Allgemeinheit durch. Und gerne wird im Siegesgefühl die Schraube auch noch angezogen. Hieß es im Gesetzesentwurf ursprünglich „Erhöhung der Sicherheit für Radfahrer und zu Fuß Gehende“, wurde das inzwischen korrigiert zu einem schlanken: „Erhöhung der Sicherheit und des Komforts“! Oder, wie es der oberste Radaktivist Heinrich Strößenreuther formuliert: „Wir wollen uns lediglich angemessen sicher und entspannt bewegen.“

Das Wir wird groß geschrieben in diesen Initiativen und der Rest kann sehen, wo er bleibt. Was etwa machen die älter als 65-Jährigen, die nur zu 7% am Radverkehr Anteil haben und deren Busse radfahrergenerierte Verspätungen haben? (Interessanterweise ist auch die Nutzung bei den jünger als 36-Jährigen mit 15% erstaunlich gering. Zeigt sich hier schon eine Trendwende?) Was machen andere Ältere auf den Gehwegen, die sich inklusive des Verfassers mancherorts schon jetzt ängstlich Schritt um Schritt vortasten, um Zusammenstöße mit gleichzeitig und mit hoher Geschwindigkeit aus allen Richtungen kommenden Pedalisten zu vermeiden? 

Laut Infratest wollen 54% der Berliner Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr und nur 26% in das Fahrradwesen (Auto 14%!). Konkret aber wird der fahrradgerechte Ausbau der Stadt, die Akzeptanz und die Finanzierung des ÖPNV belasten. Wenn dann in derselben Umfrage aber 62% angeben, die Forderung der Volksentscheidsinitiative gehe in die richtige Richtung, zeigt das, wie willkürlich und undurchdacht die öffentliche Meinung in Detailfragen votiert.

Bei einem Volksentscheid kommt das Handeln auf Kosten der Mehrheit nicht als Willkür des Staates oder des Postkapitalismus daher, sondern durch die kalte Küche als Volkswille. Je mehr der Bürger von der Obrigkeit entmachtet und verladen wird, desto mehr kommen solche Volksentscheide ins Gespräch – teilweise von eben denen, die diese Entmachtung planen und forcieren, weil sie deren pseudodemokratische Ventilfunktion schätzen. Umgekehrt suchen natürlich diejenigen, die bemerken, dass die Demokratie systematisch entsorgt wird, nach Lösungen und arbeiten sich dafür an Volksentscheiden ab statt das Übel an der Wurzel anzugehen. Volksentscheidsbefürworter nutzen dieses scheinbar demokratische Mittel also auch für sich selbst als psychisches Ventil gegen den Druck, den das zunehmende institutionalisierte Unrecht aufbaut. Illusionen von Mitbestimmung waren schon immer ein Mittel der Herrschenden zur Besänftigung öffentlichen Unmuts, wenngleich dabei wohl noch nie so viel Schaden das Ergebnis bestimmte wie in unserer Zeit. 

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P.S.: Wenn Partikularinteressen sogar parlamentsdemokratisch legitimiert werden, erübrigen sich schließlich selbst Volksentscheide. So scheint es in Berlin zu kommen, wo der neue rot-rot-grüne Senat verkündet hat, voll hinter den Inhalten des Fahrrad-Volksentscheids zu stehen. Heinrich Strößenreuther meinte dann gleich hell- und einsichtig, wenn das Gesetz ohne ihn zustande komme, sei es ihm auch recht. Was aber nicht heißt, dass es nicht weitere Aufgaben für Volksentscheidsaktivisten gebe: Soeben werden in Kreuzberg-Friedrichshain Unterschriften für ein tägliches veganes Menü in öffentlichen Einrichtungen gesammelt. Dies geschieht „im Interesse aller leidensfähigen Wesen“ - Menschen natürlich ausgenommen.

Mehr von Konrad Kustos gibt es hier: http://chaosmitsystem.blogspot.de

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: R. Avis

Immer, wenn mir etwas völlig sinnlos vorkommt, suche ich in der Geschichte nach ähnlichen Phänomenen. Im Augenblick fallen mir da nur die Wiedertäufer in Münster ein.
Aber wenn in Berlin das Autofahren zum Luxus wird, wegen fehlender Parkplätze und abenteuerlicher Parkgebühren, wird eben so mancher auf die Zwei-Rad Autobahn ausweichen. Schlechte Zeiten für Frauen mit Kinderwagen, Gehbehinderte, Hundehalter und Minderjährige; eben alle diejenigen, die nicht reaktions-schnell genug sind und deren Wege die Radschnelltrassen kreuzen.

Gravatar: Gernot Radtke

Witz oder Ernst? Im letzteren Fall konstellierte sich der erste Fall von Linkstotalitarismus, der eher an seiner Lächerlichkeit als an seiner Regelungswut für die schöne neue Welt erstickte. Haben in Berlin nicht die Autofahrer immer noch die Mehrheit? Was sagt der ADAC dazu? Die Spediteure? Lassen die sich etwa alle widerstandslos vom grünen Vollidiotismus abräumen? – In der Energie- und Industriepolitik geben die grünen Volks-Haßardeure (Haßbrenner) ebenfalls nicht eher Ruhe, bis auch da der genderneutrale Stillstand/Kollaps eintritt. Ein Wahnsinn, den man den roten Banden und Staatsverderbern inzwischen allerdings schon wie selbstverständlich zutraut. Daß sie im Bürgerkrieg auch selber dran sind, scheint diese wahren Menschenfreunde nicht im geringsten zu irritieren. Eine Hoffnung bleibt: die Realität. Oder (wienerisch): ‚Ka Göld, ka Musik‘. Dummheit muß man sich auch leisten können. - Bleiben Sie dran, verehrter Herr Kustos!

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