Buchempfehlung: „Geschichte der Weltliteratur” von Antal Szerb

Schlicht die beste einbändige Geschichte der Weltliteratur, die es gibt.

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Der kolumbianische Philosoph Nicolás Gómez Dávila sagt mit einem seiner unübertrefflich geschliffenen Aphorismen: „Wir nennen Literaturgeschichte die Aufzählung der Werke, die sich der Geschichte entzogen.” Ähnlich sah das der ungarische Literaturhistoriker, Romanschriftsteller und Essayist Antal Szerb (1901-1945). „Wenn wir strikt nur diejenigen Autoren und Werke in Betracht ziehen, die wirklich von weltliterarischer Bedeutung sind, schrumpft der unendlich scheinende Stoff in verblüffendem Masse zusammen. Die wirkliche Weltliteratur, könnte man sagen, findet Platz in einer sorgfältig ausgewählten Privatbibliothek, ihre Bände können entlang den Wänden eines grösseren Studierzimmers aufgestellt werden.”

In der Verlagsinformation zum kürzlich auf Deutsch erschienenen Hauptwerk Szerbs („Geschichte der Weltliteratur”, Schwabe: Basel 2016) heißt es weiter: „Literatur soll – so Szerbs Credo – in exemplarischer Weise die Ewigkeit repräsentieren, ihre Geltung von gesamtmenschlicher, überhistorischer Relevanz sein. Szerbs Begriff der Weltliteratur umfasst daher nur das, was er für das Beste hielt, will heissen: ausschliesslich jene Autoren und Werke, die über die Jahrhunderte und alle Landesgrenzen hinweg Bestand hatten. Szerbs unerhörte Belesenheit, sein originelles und sicheres kritisches Urteil, sein leicht lesbarer und auch humorvoller Stil wiegen die Tatsache auf, dass seit 1941 [dem ungarischen Erscheinungsjahr] dies und jenes vielleicht nicht mehr vertreten werden kann, aber welche Literaturgeschichte, erst recht welche Weltliteraturgeschichte, wird da und dort nicht überholt?”

Indem ich auf dieses Buch eines ungarischen Autors hinweise, sehe ich mich nicht als Vermittler einer „anderen” oder „fremden” Literatur. Wenn der deutsche Leser Szerbs Weltliteraturgeschichte aufschlägt, empfindet er sofort die Verwandtschaft zu diesem europäischen Autor. Die ungarische Literatur ist nur eine Farbe ein und derselben vielfarbigen abendländischen Literatur und Kultur, weil sie, und das macht die Einheit aus, alle Epochen, also christlich-mittelalterliche Chroniken, Legenden und Lieddichtung, Renaissance, Reformation, Barock, Rokoko, Klassik, Romantik, Realismus und Moderne, durchlaufen hat. Es ist lächerlich, Kulturen, die diese Entwicklungen nicht mitgemacht haben, zum Abendland zu zählen. Aber auch zu „Europa”, wie man heute offiziell lieber sagt, um diese abendländische Gemeinsamkeit zu verschleiern, können solche Kulturen nicht gezählt werden: Sie gehören eben nicht „dazu”. Aber dies nur nebenbei.

Was zählt Szerb zur Weltliteratur? „Die Literatur der beiden klassischen Sprachen, der griechischen und der lateinischen, des Weiteren die Heilige Schrift - das sind die gemeinsamen Grundlagen unserer Kultur -, sodann die Literatur der drei großen lateinischen Tochtersprachen, der französischen, italienischen und spanischen, sowie der beiden großen germanischen Sprachen, der deutschen und der englischen. Zu diesen gesellten sich im Laufe des 19. Jahrhunderts, durch das Zusammenwirken der Durchschlagskraft außergewöhnlicher Genies und eigenartiger geschichtlicher Konstellationen, die polnische, russische und skandinavische Literatur; nur diese wirken auf die Universalliteratur, nur diese sind Glieder in dem lebendigen Zusammenhang [der Sprecher und der Sprachvermittlung], von dem wir sprachen.” Szerb weiß, dass diese Beschränkung ungerecht ist und sich in Zukunft durch Hinzutreten neuer Literaturen ändern kann, aber im Grunde hat er recht. Die sicherlich interessante und anspruchsvolle chinesische Literatur zum Beispiel hat, das kann man drehen und wenden wie man will, keinen großen Einfluss auf das „weltliterarische Bewußtsein” gehabt.

Die „Geschichte der Weltliteratur” von Antal Szerb kenne ich seit langem im ungarischen Original. Immer habe ich mir gewünscht, dass die Deutschen auch in den Genuss dieses Meisterwerkes kommen mögen. Vergessen Sie bitte die einschränkenden Bemerkungen in der oben zitierten Verlagsankündigung, dass „dieses oder jenes vielleicht nicht mehr vertreten” werden könne. Na und? Sie wären auch mit einer heute geschriebenen Literaturgeschichte nicht in allem d'accord. Das muss ja auch überhaupt nicht sein. Warum nun ist dieses Buch von 1941 immer noch ein Ereignis? Es handelt sich meiner bescheidenen Meinung nach, und ich überblicke die wichtigsten Literaturen Europas wenigstens in dieser Hinsicht ihrer Geschichtsschreibung, schlicht um die beste einbändige Weltliteraturgeschichte überhaupt. Dieses Urteil ist nicht so gewagt wie es scheint. Schauen wir ins Detail.

Natürlich schreibt Szerb sehr gut. Wer nur seinen Roman „Reise im Mondlicht” kennt, weiß, wie elegant Szerb formulieren kann. Es ist also schon von daher ein Vergnügen, diese „Geschichte” zu lesen, denn die sorgfältige Übertragung (András Horn) vermittelt Szerbs Stil bestens. Dann ist Szerb umfassend gebildet und beherrscht den gigantischen Stoff der 930 Seiten mühelos. Ich will hier gar nicht auf seine theoretischen Kriterien ausgehend von unter anderem Dilthey, Spengler und Freud eingehen, die im Nachwort von G. Poszler erörtert werden; ehrlich gesagt waren sie mir beim Lesen des Originals auch egal, so sehr hat sich die Begeisterung Szerbs für seinen Gegenstand auf mich übertragen. Was dieses Werk aber wirklich so heraushebt, ist die Tatsache, dass hier jemand, der selbst Schriftsteller und Künstler ist, gleichsam über seine Kollegen schreibt. Das führt zu ungewöhnlichen, manchmal auch ironischen Beobachtungen, die nur jemand machen kann, der die handwerklichen Tricks kennt und hinter die Kulissen der Selbststilisierung schauen kann. Man kann sagen: Szerb kennt seine Pappenheimer. Es ist müßig, Beispiele zu geben, weil man kein Ende finden würde, aber nehmen wir eins: „Schiller arbeitete immer wie ein Journalist vor Redaktionsschluss”. Das ist treffend, holt den Klassiker ein wenig vom Sockel und macht ihn menschlicher, erkennt dabei aber seine Arbeitswut und Besessenheit voll an.

Man kann dem Basler Schwabe-Verlag nur gratulieren zu diesem Coup. Aufmachung und Kommentierung sind hervorragend, das Buch ist jeden Cent der 98.- Euro wert. Ich greife seit Jahrzehnten zu diesem Lebensbuch, einfach so oder, wenn ich neuere Darstellungen lese, weil es immer erhellende Vergleiche und Kontraste zu ihnen bietet. Die deutschen Leser können sich glücklich schätzen: Endlich können sie in die „Geschichte der Weltliteratur“ von Antal Szerb eintauchen. Man muss sie nicht von Anfang bis Ende am Stück durchlesen; Szerb selbst schreibt vom „Herumblättern” in seinem Werk, das zum Lesen der Weltliteratur anregen soll. Es ist zu hoffen, dass junge Leser, denen neben Smartphone und Laptop vielleicht auch noch ein solches Werk geschenkt wird, sich anstecken lassen vom Optimismus Szerbs: „Wenn jemand von seiner frühesten Jugend an regelmäßig und als Hauptbeschäftigung liest, dann hat er, nell mezzo, in der Hälfte des menschlichen Lebensweges angelangt, einen großen Teil der Weltliteratur bereits gelesen, ohne es gemerkt zu haben.” Warum aber sollte man das überhaupt tun? Weil, wie Marcel Reich-Ranicki sagte und dabei nur Szerb nachsprach, Literatur zwar nicht lebensnotwendig sei, doch das Leben mit Literatur schöner und lebenswerter.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Johannes Klinkmüller

Szerb und Schiller haben ja gemeinsam, dass sie beide gerade mal ungefähr Mitte vierzig geworden sind. Wie beide all das leisten konnten - Schiller auf dem Hintergrund seines körperlichen Zustands (der Obduktionsbericht des weimarischen Hofmedikus und Leibarztes Wilhelm Ernst Christian Huschke macht das auf traurige Weise deutlich) und Antal Szerb, gerade auf dem Hintergrund seiner letzten Lebensphase: Das ist bewundernswert und zeigt, was der Geist in Menschen zu bewirken vermag.

Danke für den Hinweis.

Gravatar: Klimax

Lieber Herr Kovács,
nehmen Sie es bitte nicht so kritisch. Was Ihre Beurteilung von Szerbs Schiller-Kapitel betrifft, glaube ich Ihnen aufs Wort, zumindest so lange ich den Text selbst gar nicht kenne. Es knüpfte sich einfach nur eine Assoziation an eine Stelle Ihres Textes, und ich schrieb sie nieder. Damit ist weiter nichts gesagt, im Ganzen ungerecht konnte ich mit diesem Detail wohl nicht sein, und für eine ausführliche Erörterung ist dieses Medium des Kommentars kaum geeignet.
Dessen ungeachtet hat gerade Schiller sich im Laufe des 19. Jahrhunderts und weiter durch das 20. viel gefallen lassen müssen, so daß mir ein Lob eher außergewöhnlich scheinen möchte als das Gegenteil. "Friedrich Schlegels Sieg über Schiller" hat Emil Staiger diese Entwicklung einmal genannt und, wie ich nun mal finde, zu Recht bedauert.

Gravatar: Adorján Kovács

Lieber Klimax, nun sind Sie aber sehr ungerecht, denn Sie verwenden mein kleines, unschuldiges und isoliertes Beispiel einer gelungenen Formulierung dazu, Szerb eine Intention zu unterstellen, die er nicht hat. In Wahrheit ist sein Schiller-Kapitel eine einzige Huldigung. Vom „Schwärzen“ kann keine Rede sein. - - Davon abgesehen wird jeder Leser dieser Weltliteraturgeschichte bei irgendeinem Autor nicht mit Szerb einverstanden sein, aber das sollte man doch bitte produktiv nehmen.

Gravatar: Klimax

"Schiller vom Sockel" zu holen ist doch seit den unsäglichen Schlegels über Nietzsche bis heute gängiger Topos der Literaturgeschichtsbetrachtung und daher alles andere als ein besonderes Verdienst. Schiller selbst hat dazu ex ante seinen Kommentar gegeben: „Es liebt die Welt, das Strahlende zu schwärzen und das Erhabene in den Staub zu ziehen.“

Gravatar: Candide

Das und ein Pfund guter Tee, das beste Weihnachtsgeschenk!
Hoffentlich werden im Buch auch "der Golem" und "die Handschrift von Saragossa" besprochen.
Den "Hitchhiker" (per Anhalter durch die Galaxis) von Douglas Adams gab es 1941 noch nicht.
Vielen Dank, Herr Kovács!

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