Buchbesprechung:"Affäre Wulff"

Martin Heidemanns und Nikolaus Harbusch sind Redakteure des Ressorts „Reporter/Investigative Recherche“ der BILD-Zeitung. 

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Für Ihre Arbeit zur Aufklärung der Wulff-Affäre erhielten die beiden Autoren den renommierten Henri-Nannen-Preis in der Kategorie „Beste investigative Leistung“. Die Jury begründete ihre Wahl mit der Tatsache, dass Heidemanns und Harbusch „fast ein Jahr lang recherchiert hatten und als Erste darauf gestoßen waren, dass der höchste Repräsentant unseres Staates als niedersächsischer Ministerpräsident einen dubiosen Privatkredit angenommen und dem Parlament nicht die volle Wahrheit gesagt hatte“. Bei der Verleihung der bronzenen „Henris“ kam es zu einem veritablen Eklat. Drei Redakteure der Süddeutschen Zeitung, mit Ober-Rechercheur Hans Leyendecker an der Spitze, ließen aus Protest gegen die gleichzeitig geplante Auszeichnung ihrer Kollegen von der BILD-Zeitung ihre schwergewichtigen Henris ostentativ stehen….

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Die Affäre Wulff hatte das Land über mehrere Wochen in Atem gehalten. Keine Nachrichtensendung verging, ohne die jeweils aktuellste Meldung zum allerletzten Stand bei den Wulffs. Eine bis dato nicht für möglich gehaltenen Geschichte des Scheiterns eines leibhaftigen Bundespräsidenten. Zelebriert in aller Öffentlichkeit. In der heißen Phase der Affäre, von Mitte Dezember 2011 bis zum Rücktritt des jüngsten Bundespräsidenten am 17. Februar 2012, drehten sich sämtliche oberwichtigen Talk-Runden - nicht nur die von Gala-Talker Günter Jauch - fast ausschließlich um die Wulffs und die wundersamen Wendungen in der gleichnamigen Affäre. Das Buch von Heidemanns und Harbusch zeichnet nicht nur diese Wochen akribisch nach. Es zeichnet vielmehr das facettenreiche Bild eines Mannes, das Seite für Seite Konturen gewinnt. Mit jeder Seite, die man liest, wird klar und immer klarer, dass der Biedermann aus Osnabrück sich mit seiner neuen Frau offenbar - mehr oder weniger versehentlich - ins Schloss Bellevue verirrt hatte.

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Der vormalige niedersächsische Ministerpräsident Wulff hatte in der Bundesversammlung am 30. Juni 2010 den Schwur abgelegt, seine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes zu widmen. 598 Tage später begründet er seinen Rücktritt damit, dass er sich nicht mehr als Präsident fühle, der von einer breiten Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger getragen werde. Das hatte in der Tat gewichtige Gründe. Die persönliche Geschichte dieses Präsidenten, von Heidemanns und Harbusch scharf ausgeleuchtet, zeigt einen Mann, der offenbar von Kindheit an darin geübt war, Rollen zu spielen. Dabei wurden bestimmte Fakten ganz gezielt ausgeblendet. So geschehen beispielsweise mit seiner Halbschwester Bettina Mertschat-Wulff. Sie kommt in keiner offiziellen Wulff-Biografie vor. Bis zum Jahre 2006 gilt Wulff als das emsige Arbeitstier mit Ambitionen aber ohne Skandale. Der Familienmensch Wulff „findet in schweren Zeiten Halt bei seiner Familie (- in Osnabrück)“, so das Bild, das seine Biographen damals von ihm zeichnen. Zweimal verliert der ehrgeizige Mann aus der Provinz eine Landtagswahl. Doch er gibt nicht auf. Nachdem Gerhard Schröder, sein übermächtiger Gegner, den Platz an der Leine geräumt hat, greift er seine Chance beherzt beim Schopf. Der ewige Loser wird tatsächlich Ministerpräsident und die Schickeria von Hannover und Umgebung wendet sich ihm zu. Der Schwiegermutterschwarm verliert nun Zug um Zug jedes Maß und mutiert zum Playboy - klammheimlich. Die Folgen sind bekannt. Dies zeichnen die beiden Autoren auf insgesamt 335 Seiten faktenreich nach. Die Seiten 285 - 292 dokumentieren den Stand der Affäre Wulff mit dem Stichtag 6. November 2012. Auf den Seiten 293 - 300 findet der Leser eine Chronik der Affäre. Die Seiten 301 - 310 bringen einen kurzen Abriss über die bisherigen Bundespräsidenten. Die Seiten 311 - 334 zeigen schließlich die von den Autoren genutzten Quellen. Wenn Herr von und zu Guttenberg so gearbeitet hätte….

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Für alle, die sich für die Arbeit unserer Politiker interessieren und die Berichterstattung der Medien darüber, ist das Buch über die Wulff-Affäre hochinteressant. So, wie Heidemanns und Harbusch gearbeitet haben, stellt man sich als Zeitungsleser die Vorgehensweise von Journalisten vor. Daran hätte mit Sicherheit nicht nur Henri Nannen seine Freude gehabt. Auch Rudolf Augstein wäre stolz darauf gewesen! 

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Bundespräsident für 598 Tage – Die Geschichte eines Scheiterns
Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag GmbH, 2012 ISBN 978-3-86265-155-9

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www.hans-joachim-selenz.de

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Margit Ricarda Rolf

Lieber Prof. Selenz,

dem kann ich mich nur anschließen.

Bedauerlich, dass Wulff als Aufsichtsrat von VW außerstande war, die Vorteilsnahme der Betriebsräte aufzuklären. Aber wem der Schiet selbst bis an die Halskrause reicht, dem bleiben wohl nur Doppelrollen.

Ich wünschte, wir fänden Wege, um diesem Mann für alle Zeit das Handwerk zu legen und ihn zur Rechenschaft zu ziehen, auch im Interesse der Mobbingbetroffenen, die durch den VW-Skandal ihren Arbeitsplatz verloren haben.

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