Bilder machen Geschichte

Es gibt zwei Fotos aus dem Vietnamkrieg, die noch heute vielen Menschen geläufig sind und seinen Verlauf entscheidend beeinflusst

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haben. Das eine zeigt ein kleines, nacktes Mädchen, das schreiend vor Angst auf eine Straße rennt, um einer Bombardierung mit Napalm zu entgehen, das andere den südvietnamesischen Polizeikommandanten Nguyễn Ngọc Loan, der am 1. Februar 1968 auf den Straßen von Saigon den gefangenen Vietkong Nguyễn Văn Lém erschießt. 

Bilder wie diese bescherten den Kriegsgegnern in den USA, und in vielen anderen Ländern, massiven Zulauf. Als US-Truppen im März 1968 ein Massaker in dem vietnamesischen Dorf My Lai anrichteten, bei dem auch Frauen und Kinder zu Tode kamen, gerieten davon Bilder an die Öffentlichkeit und waren aus ihr fortan nicht mehr wegzudenken. Selbstverständlich waren die Ursachen für die Protestbewegung innerhalb der USA vielschichtig. Die Kriegsgründe erschienen fragwürdig (und waren zumindest teilweise erfunden); Vietnam war weit weg und hätte die USA unmöglich bedrohen können und viele potentielle Wehrpflichtige fürchteten um ihr Leben.

Trotzdem wäre es ohne die Bilder der Grausamkeiten kaum zu derartigen Massenprotesten gekommen. Die Protestbewegung in Westeuropa wäre ohne die Bilder völlig undenkbar gewesen. Die Europäer waren persönlich nicht betroffen und der Vietnamkrieg war auch nicht unbedingt grausamer als andere Kriege der 1960er Jahre. Allein im Kongo fanden zwischen 1960 und 1965 drei Kriege statt.  Der portugiesische Kolonialkrieg, in dem bewaffnete Gruppen in den portugiesischen Kolonien in Afrika die Unabhängigkeit von Portugal erkämpften, dauerte sogar von 1961 bis 1974.  „Gott hat die Schwarzen und die Weißen erfunden, die Portugiesen aber, die hat der Teufel erfunden“, lautete damals ein Sprichwort unter der einheimischen Bevölkerung in den portugiesischen Afrika-Kolonien1.  Der desertierte portugiesische Soldat Manuel Fernando de Almeida Matos schilderte einen besonders brutalen Vorfall während seines Einsatzes in Guinea-Bissau später so:  "Der Hilfssergeant Velho sagte uns, wir sollten die Alten und die Kinder in ein Haus bringen, die Mädchen sollten draußen bleiben.
Wir schlossen die Alten und Kinder ein, dann setzten wir mit Stroh das Haus in Brand. Sie verbrannten alle. Nachher nahm der Hilfssergeant das schönste Mädchen, vergewaltigte und tötete es. Der Sergeant Tavares nahm auch ein Mädchen, dann griffen auch noch einige Soldaten zu, vergewaltigten die Mädchen, zum Schluss töteten sie alle."

Es gab Hunderte von Berichten über Massaker, Vergewaltigungen und Folter, die bis hin zu erzwungenem Kannibalismus reichten, in den portugiesischen Kolonien.  Gesammelt wurden sie zum Teil von parteiischen Guerillas, mehr aber noch von unparteiischen Gottesmännern. Über 8.000 portugiesische Soldaten und fast 70.000 Afrikaner wurden in diesem letzten Kolonialkrieg des 20. Jahrhunderts getötet. Aber nur die Bilder des Vietnamkriegs waren permanent in den Zeitungen und im Fernsehen präsent und konnten so Emotionen auslösen und im Gedächtnis haften bleiben. Das, was wir sehen, halten wir für die Wahrheit.  Dabei können Bilder immer nur einen Ausschnitt der Wahrheit wiedergeben.

Das Foto von der Hinrichtung des vietnamesischen Gefangenen erzählt nicht, dass Nguyễn Văn Lém ein Kriegsverbrecher war und auch nicht, dass der verantwortliche Fotograf Eddie Adams später gegenüber dem Time-Magazin sagte: „Der General hat den Vietkong getötet. Ich habe den General mit meiner Kamera getötet. Fotografien sind immer noch die mächtigsten Waffen der Welt.  Die Menschen schenken ihnen Glauben; aber Fotografien lügen, sogar ohne Manipulationen. Sie sind nur Halbwahrheiten....

Was das Foto nicht sagte, war, „Was hättest Du getan, wenn Du der an diesem Ort zu dieser Zeit der General gewesen wärst und an jenem Tag den sogenannten Bösen gefangen genommen hättest, nachdem er gerade ein, zwei oder drei Amerikaner in die Luft gejagt hat?“. Auch über die Verbrechen des Vietcong, wie den massenhaften Erschießungen von Zivilisten während der Schlacht von Hue, erzählt das Foto nichts. Nichts von den Massengräbern, die amerikanische und südvietnamesische Soldaten nach ihrem Sieg entdeckten.

In den Gräbern hatte der Vietcong die Leichen von fast 3.000 Menschen verscharrt, die er als Klassenfeinde oder Kollaborateure eingestuft und ermordet hatte. Und so hatten die Friedensdemonstranten am anderen Ende Welt kein schlechtes Gefühl, ausgerechnet den Namen des nordvietnamesischen Anführers „Ho, Ho, Ho Chi Minh“ zu skandieren. 

Was uns emotional anspricht, das setzt sich in unserem Gedächtnis fest. Das gilt aus evolutionären Gründe in besonderem Maße für negative Gefühle wie  Angst und Ekel. "Wenn Sie wissen wollen, wie die Vorstufen des menschlichen Gedächtnisses gearbeitet haben, stellen Sie sich etwa einen Igel vor", erläutert der Bielefelder Neuropsychologe Hans Markowitsch. "Er beriecht und probiert seine Nahrung und muss differenzieren: Was ist gut? Was ist giftig?"  Für den Igel ist es überlebensnotwendig, sich diese mit Ekel- oder Lustgefühlen, also mit  positiven oder negativen Emotionen verknüpften Bewertungen zu merken. Besonders die Ekelgefühle müssen sich im Gedächtnis des Igels einprägen, denn sie dienen dazu, potentiell gefährliche Nahrung auszusortieren. Das gilt auch beim Menschen.
Wie das Beispiel der Bilder aus dem Vietnamkrieg veranschaulicht, ist das auch politisch relevant. Wer es schafft, Angst vor einer echten oder vermeintlichen Gefahr zu erzeugen und gleichzeitig den Eindruck zu erwecken, derjenige zu sein, der einen vor dieser Gefahr schützen kann, der wird Anhänger finden. Keine Anti-Atombewegung ohne die Bilder aus Hiroshima und Tschernobyl, kein Afghanistaneinsatz ohne die Bilder des 11. September, keine Klimapolitik ohne Bilder von schmelzenden Gletschern, überschwemmten Städten und verzweifelten Eisbären.

Natürlich ist Gefahrenabwehr nicht grundsätzlich falsch und wird durchaus als Staatsaufgabe betrachtet.  Schließlich schwört jeder Bundeskanzler und jeder Minister in seinem Amtseid, Schaden vom deutschen Volke abzuwenden. Doch wenn die evolutionär bedingte Neigung, alles zu tun, was in irgendeiner Form geeignet erscheint, die Ursache der Angst zu bekämpfen, zu sehr die Politik bestimmt, kann sie sich dies schnell kontraproduktiv auswirken. Angst wird zum sprichwörtlichen schlechten Ratgeber, wenn sie anfängt, Errungenschaften wie dem technischen Fortschritt oder dem Rechtsstaat im Wege zu stehen. Die Existenz von Terrorismus rechtfertigt nicht die Wiedereinführung der Folter, den dies würde bedeuten, dass Leib und Leben nicht länger geschützt wären, also das Gegenteil des Beabsichtigen erreichen. Auch wenn eine Technologie wie die Grüne Gentechnik nicht aufgrund einer tatsächlichen Gefahr, sondern aufgrund der weit verbreiteten Angst, sie könnte eines Tages gefährlich werden, bekämpft wird, muss die Frage erlaubt sein, ob eine derartige Emotionalisierung der Politik wirklich zu jenen Entscheidungen führt, die am besten geeignet sind, dem Wohle des deutschen Volkes zu nutzen und Schaden von ihm abzuwenden. Denn so wie der Volksmund schon lange weiß, dass Angst ein schlechter Ratgeber ist, so weiß er auch schon lange, dass den Mutigen die Welt gehört.

1http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-41955370.html

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Fabian Heinzel ist der Autor des Buches „Erinnerung, Emotion, Illusion“, das sich auf eindringliche Weise mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen der Gedächtnisforschung und der Macht unserer Emotionen auseinandersetzt. Vom Erlös jedes verkauften Exemplars werden 50 Cent der „Alzheimer Forschung Initiative e.V.“ (AFI); dem größten privaten Förderer der Alzheimer-Forschung in Deutschland, gespendet.

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