Bigotterie

Der russischstämmige Chefdirigent der Münchener Philharmoniker, Valery Gergiev, soll Wladimir Putin öffentlich abschwören, fordern deutsche Feuilletonisten. Sie messen mit zweierlei Maß.

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Jetzt soll sich also Valery Gergiev von seinem Landesvater Putin distanzieren, sofern er tatsächlich 2015 Chefdirigent der Münchner Philharmoniker werden will. Meint unter anderen Frau Büning von der FAZ. "Ist Gergiev für München noch tragbar?", gibt die Dame die angeblich an der Isar "hochkochende" Frage wieder, nachdem der Dirigent die russische Krimpolitik gutgeheißen hat. Die Moskowiter trennen sich eben nicht so bereitwillig von russisch besiedelten und geostrategisch wichtigen Ländereien, wie die Deutschen es nach der großen Prügel zweier verlorener Kriege zunächst zähneknirschend taten und dann beflissen für vorbildlich erklärten. Als es noch die Sowjetunion gab, war man deren Staatskünstlern gegenüber toleranter, und auch amerikanische Artisten bleiben hierzulande durchweg unbehelligt von der Frage, ob sie sich nicht von ihrer Regierung distanzieren wollen, weil die USA in den vergangenen Jahren Aggressionskriege mit abertausenden getöteten Zivilisten gegen den Irak, Afghanistan und Libyen geführt haben. Aber Putin als der diensttuende Feind der Menschheit und one-world-Verweigerer muss wenigstens rhetorisch – und, was Gergiev anbelangt, symbolisch – angegangen werden, wo er sich so erschütternd wenig um die angedrohten Sanktionen der nicht nur in seinen Augen machtpolitisch kaum satisfaktionsfähigen europäischen Moralprediger und Moresverleugner schert.

Ich vermute, dass der Dirigent als stolzer Russe eher auf den Job verzichten wird, als gegenüber Leuten klein beizugeben, die weder zwischen nationalen Interessen und frommen Wünschen noch zwischen Männern und Wichten zu unterscheiden wissen. Aber vielleicht gibt es in der süddeutschen Phäakenstadt ja hinreichend viele und vor allem einflussreiche Menschen, die unsere selektiven Tugendbolde zur Abwechslung daran erinnern, dass ein Musiker politisch meinen kann, was er will, solange er nur große Kunst abliefert.

Beitrag erschien zuerst auf: michael-klonovsky.de

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Wilfried Schuler

Die Russen haben ihre Intervention in Afghanistan mit dem Boykott ihrer Olympischen Spiele bezahlt. In wie vielen Ländern fanden WM, EM und Olympische Spiele statt, obwohl die Soldaten dieser Länder Libyen, Jugoslawien, Irak und Afghanistan überfallen haben? Nicht zu vergessen Panama. Operation "Gerechte Sache" 5000 zivile Tote. Welches Land in Europa hatte dagegen
protestiert? Keines. Aber nun sind die Russen reif. Hat auch schon ein Schreiber gesagt, dass
Kiew im Jahre 900 unter den Kiewer Rus die erste Russische Hauptstadt war? Zu der Zeit war Berlin ein sumpfiges Waldgebiet. Man wünschte sich, dass wäre es noch und die Bundesregierung säße noch in Bonn. Mit diesem Umzug begann nämlich eine Krankheit die sich Hybris nennt und die stets ins Verderben führt.
Eine Wohltat in all dem Schrott den obigen Artikel zu finden.

Gravatar: bastian conrad

Bin Ihnen dankbar für diesen Artikel, und kann Ihre Ansichten nur voll unterstützen.-
Brembeck in der SZ am 20.3. schreibt , Valery Gergiev ( der Putin Fan) werde in München dem medialen Druck wohl nicht standhalten können. - Er sollte!.

Gravatar: Carolus

Schließe mich mit dem Beifall an.
Vor allem erfreue ich mich immer wieder an Schmankerln wie „Putin als der diensttuende Feind der Menschheit und one-world-Verweigerer“ oder „Phäakenstadt“ (man gönnt sich ja sonst nichts)!

Gravatar: Pjotr

So lange es noch solche Schreiber gibt, besteht Hoffnung. Hoffnung, daß die Kriecher und Krabbler in D als solche erkannt werden. Bravo!

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