Biermann singt im Gefängnis

Festakt im ehemaligen DDr-Gefängnis in Bautzen.  Höhepunkt der Teileröffnung war der Besuch von Wolf Biermann, der sich durch die Einrichtung führen ließ. 

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Cottbus ist tiefste ostdeutsche Provinz. Wer hier her kommt, tut das wegen des Landschaftsparks und Schlosses Branitz, der letzten Heimstatt des berühmten Fürsten Pückler, der sich in  einer von ihm errichteten Seepyramide bestatten ließ. Der Respekt vor der östlichen Religion verbot jeden Hinweis auf das Grab an der Pyramide. Aber  wenn man der Wasserspiegelung der Pyramidenspitze um den See herum folgt, gewahrt man bald eine winzige künstliche Insel, auf der eine Inschrift auf das fürstliche Grab hinweist.

Mit dem alten Gefängnis an der Bautzener Straße verhält es sich ähnlich. Er liegt wie auf einer Insel, umgeben von hohen Mauern, Wachtürmen, mitten in der Stadt. Man muss aufmerksam den Hinweisen folgen, um den Eingang zu finden.

Gebaut wurde es zu Kaisers Zeiten als normale Strafvollzugsanstalt. Unter den Nazis verwandelte es sich zunehmend in ein politisches Gefängnis. In der DDR wurde es zur größten Vollzugsanstalt für politische Gefangene. Gebaut für 600 Personen, beherbergte es in Hochzeiten die doppelte Anzahl. Es gab Zellen für 28 Insassen, untergebracht in vierstöckigen Betten, mit zwei Toiletten und zwei Waschbecken, an denen morgens innerhalb einer halben Stunde alles erledigt sein musste, bevor zur Arbeit abmarschiert wurde. Die Werkhallen standen auf dem Gelände, VEB Sprela und VEB Pentagon ließen hier im Dreischichtbetrieb und ohne ausreichenden Arbeitsschutz schuften.

Die meisten Gefangenen wurden von hier in den Westen verkauft, was dem Arbeiter-, und Bauernstaat dringend benötigte Devisen einbrachte.

Nach der Herbstrevolution 1989 wurde die Haftanstalt außer Betrieb genommen und dem Verfall überlassen. Bevor das Ganze aber zu einer nicht wieder herstellbaren Ruine wurde, taten sich ehemalige Gefangene zusammen, gründeten einen Verein, dem es letztes Jahr gelang, das Gelände zu erwerben und der seitdem mit beispielhafter Energie darangeht, hier eine Gedenkstätte und ein Menschenrechtszentrum zu errichten.

Letzten Dienstag fand nach einjähriger Bauzeit eine Teileröffnung statt. Besucher können sich erste Eindrücke verschaffen, wie es in den Zellen aussah und sich in fünf Ausstellungen über Haftalltag, Mißhandlungen , Zwangsarbeit und Widerstand informieren.

Der Höhepunkt der Teileröffnung war der Besuch von Wolf Biermann, der am Nachmittag in Begleitung von Stasiunterlagenbeauftragten Roland Jahn und ehemaligen Insassen sich vom legendärsten Gefangenen, Siegmar Faust, durch die Einrichtung führen ließ. Biermann war sichtbar beeindruckt, was man bei seinem abendlichen Konzert, das er in der bis auf den letzten Platz gefüllten ehemaligen Pentagonhalle gab, noch spüren konnte.
Während die letzten Besucher hereinströmten, begann Biermann bereits mit seinem Publikum zu plaudern. Er sprach über die Irrtümer seines Lebens und des Kommunismus. Er hätte bei Shakespeares 66. Sonett begriffen, das nicht die ganze Welt zu retten das Höchste ist , sondern den einen, einzigen, besonderen Menschen zu lieben, ihn niemals im Stich zu lassen.

Das war ein ebenso anrührender wie überraschender Anfang für ein Konzert, das vor allem ein Triumph war, diesmal nicht nur für den Sänger, sondern für diejenigen seiner Zuhörer, die hier gefangen waren. Die damals  leise in ihren Zellen Biermannlieder sangen, um sich gegen die erdrückenden Umstände zu wehren.

Nie ist die „Ermutigung“ an einem passenderen Ort gesungen worden: „Komm lass Dich nicht verhärten, in dieser harten Zeit“. Oder die Zeilen: „Im Neuen Deutschland finde ich tagtäglich eure Fressen. Und trotzdem seid ihr morgen schon verdorben und vergessen“ Ja, welcher Hahn krähte noch nach Paule Verner und Horst Sindermann, wenn Biermann sie nicht in seiner Ballade verewigt hätte?

Der Gedanke, dass die gestern noch mächtigen Betreiber dieses Gefängnisses und eines Staates, den sie zu einem großen Knast gemacht hatten, heute über keine Gewalt mehr verfügen, war so tröstlich, dass die bedrohliche Ausstrahlung des Ortes verschwand. Biermann würdigte in seinen Zwischentexten immer wieder die ehemaligen Gefangenen und er erinnerte an Jürgen Fuchs, seinen viel zu früh verstorbenen Freund, der mit Recht als eine der Symbolfiguren des DDR-Widerstandes gilt.

Mit einem Lieblingslied von Fuchs endete das Programm. Als Zugabe gab es Bulat Okudschawas „Die erste Liebe“. Dann plauderte Biermann noch ein wenig, bevor er sein Publikum endgültig in die laue Nacht entließ, die einen leuchtenden Mond und ein gut sichtbares Himmels- W zum Gelingen beisteuerte.

Zuerst erschienen bei achgut.com

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