Betschwestern fürs Kanzleramt

Er hat es wieder getan. Nein, diesmal will Peer Steinbrück nicht mit der Kavallerie nach Italien einreiten.

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Diesmal hat er das über Silvio Berlusconi gesagt, was Millionen Deutsche auch denken und aussprechen: dass er ein Politclown (man denke nur an seine unfinanzierbaren Wahlversprechen) und dass er testosterongetrieben sei (ich sage nur „Bunga Bunga“). Nun lechzen Bürger und Medien geradezu nach Politikern mit Ecken und Kanten. Spricht dann aber jemand wirklich Klartext, tun wieder alle so, als taugten nur Chefdiplomaten und Betschwestern fürs Kanzleramt. Verlogener geht’s nimmer.

Diese Politik der Skandalisierung geht mir schon lange gegen den Strich. Dass die Regierung die jüngste Äußerung von „Peerlusconi“ als Steilvorlage für moralische Entrüstung nutzt – geschenkt! Die anderen politischen Parteien hätten sich nicht anders verhalten, wenn die Bundeskanzlerin sich ähnlich geäußert hätte. Aber dazu ist sie viel zu schlau, vorsichtig und wohltemperiert.

„Wer in Deutschland nicht sozialdemokratisch ist, landet entweder im Irrenhaus oder im Ausland“, hat der Philosoph Peter Sloterdijk mal gesagt. Nun gehen wir noch einen Schritt weiter. Wir sortieren fein säuberlich zwischen guten und bösen Sozialdemokraten. Steinmeier ist gut, weil diplomatisch. Schließlich war er auch ein recht ordentlicher Außenminister. Gabriel und Steinbrück sind nach dieser Logik schlecht, weil sie Lästermäuler und hin und wieder Anhänger des Vereins für deutliche Aussprache sind.

Mitleid muss man deshalb mit dem gescholtenen SPD-Kanzlerkandidaten, der anscheinend nicht gern lau badet, nicht haben. Die Meinungsfreiheit ist ein Menschenrecht – und doch wird sie in unserem Land viel zu oft beschnitten. Die „Nonkonformisten“ sind häufig die Lordsiegelbewahrer des Duckmäusertums. Wer in Deutschland die FDP, den Papst und die katholische Kirche geißelt, gilt als Freigeist. Dabei schwimmt er nur mit im breiten Strom der Meinungssauce. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Auch ein gläubiger oder gar konservativer Katholik muss selbst beißende Kritik an seiner Kirche akzeptieren. In einem gesitteten Land begegnet man dem Argument mit dem Gegenargument und nicht mit der Keule, dem Gesetzbuch, dem Anwalt oder der Zensur.

Doch angesichts der „Heute Show“ von Oliver Welke, der anlässlich des Papst-Rücktritts ziemlich geschmacklose „Witze“ über Benedikt XVI. riss oder reißen ließ, habe ich mich gefragt: Hätte der Welke sich dies auch getraut, wenn es um den Propheten Mohammed oder einen hohen islamischen Würdenträger ging? Die Frage zu stellen heißt sie zu beantworten. Dieses kleine Beispiel zeigt, dass die Schere im Kopf vielfach schon die staatliche Zensur ersetzt hat.

Focus-Money-Redakteur Thomas Wolf hat hierzu einen guten Satz geschrieben: „Sprachverbote und Zensur vergiften die geistige Atmosphäre und lähmen die lösungsorientierte Debatte. Statt zu Offenheit und Toleranz führt Politische Korrektheit zu Feigheit und Anpassertum.“

Vielleicht starten Sie, verehrte Leser, mal ein kleines Experiment. Tun Sie mal so, als seien Sie ein Pferdefleisch liebender konservativer Katholik mit eurospektischen Anwandlungen sowie einer Schwäche für die FPD und sexuelle Enthaltsamkeit vor der Ehe. Ein Sturm der Entrüstung seitens der „Liberalen“ wird Ihnen gewiss sein. 

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