Beichten, vergeben und vergessen

Wer will schon wissen, wie Wurst gemacht wird? Wenn die Wahrheit ans Licht kommt, gerade über hochgelobte Personen, liegt uns das besonders schwer im Magen.

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Doch wabernde Gerüche aus kochenden Gerüchten und überschäumenden Mutmaßungen, verfestigt durch allenfalls schablonenhaft filetierte und immer lustloser gewürzte Dementis, offenbaren unaufhaltsam, was zwanghaft und immer mühevoller untergerührt wird. Heillose Furcht vor der Enthüllung des Angerichteten mündet in der Angst, die Offenbarung aller Zutaten könnte den Koch den eigenen Kopf kosten und den Ruf, ihn selbst zu Wurst zu verarbeiten, überhandnehmen lassen.

Das schlägt auf den Magen

Kopflos werden deshalb immer neue Gerichte serviert, die die davon Kostenden alsbald zu Scharfrichtern mutieren lassen. Die Annahme, nichts werde so heiß gegessen, wie es gekocht wird, erweist sich als Trugschluss, wenn das Publikum dem Koch nicht mehr über den Weg traut und sich unaufhaltsam anschickt, in der Küche selbst einen Blick in die Töpfe und dann auch die Vorratskammern zu werfen.

Was da auf den ersten Blick zu besichtigen ist, verschlägt oft den Appetit und schlägt auch bei näherem Hinsehen noch auf den Magen. Wer hätte gedacht, dass der penibel und bedachtsam agierende Thomas de Maizière dem brenzligen Geruch des Flurfunks und der glimmenden Drohnen im Verteidigungsministerium nicht akkurat auf den Grund ging? Wer hätte geahnt, dass der strahlende Sozialmanager des erfolg- und ruhmreichen FC Bayern neben dem Betrieb einer Wurstfabrik im Fränkischen noch südlich der Landesgrenze eine steuerlich vergiftete Finanzsuppe zusammenbraute? Wer hätte Saubermann Barack Obama zugetraut, dass der US-Präsident als Oberbefehlshaber seinen Agenten äußerst wurschtig eine Lizenz zum Abhorchen und Auslauschen sämtlicher Daten auch unbescholtener Bürger daheim und in aller Welt erteilte?

Makellose Helden?

Je mehr ein Charakterzug und eine Grundhaltung das Image einer Persönlichkeit prägen, desto desaströser ist die Wirkung, wenn Idole sich als fehlbare Menschen erweisen. Die Enttäuschung über die Schwächen von idealisierten Ikonen ist auch immer die Offenbarung einer eigenen Selbsttäuschung. Makellose Helden gibt es nicht in rein menschlicher Gestalt; nicht einmal der Papst ist als Person unfehlbar und frei von Sünde und Schuld. Menschen aber sind geneigt, einander Schwächen nachzusehen, wenn Fehlverhalten offen und rückhaltlos eingestanden und bekannt, eine Korrektur des eigenen Verhaltens glaubhaft zugesagt, Reue gezeigt und Buße getan sowie unverzüglich mit einer Wiedergutmachung des Schadens begonnen wird.

Diese Systematik der Beichte, die als sogenannte Ohrenbeichte ein jeder diskret dort adressieren kann, wo er sich die Vergebung seiner Schuld und eine hilfreiche Unterstützung bei der beabsichtigten Verhaltensänderung erhofft, gilt in ihrer Grundstruktur auch im öffentlichen Raum. Allerdings ist die öffentliche Beichte viel schwieriger und fällt auch schwerer als ein Bekennen von Fehlern und Versäumnissen im geschützten Rahmen eines Beichtstuhls oder in einer intimen Aussprache. Im öffentlichen Raum hören immer auch Gegner, zuweilen Feinde und vor allem auch der Staatsanwalt zu. Rasch kann ein Gesetzesverstoß nicht nur eine politische Karriere ruinieren, sondern auch zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens führen.

Uli Hoeneß’ Buße

Deshalb wird an Formulierungen gedrechselt und gefeilt, um auch Unsägliches möglichst als noch verdaulich darzubieten. Rechtfertigungen und Entschuldigungsgründe werden zusammengeklaubt, um auch Unerträgliches noch weiter schultern zu können. Verteidigungspositionen und Rückzugslinien werden errichtet, um sich vor roten Linien eingraben und zur Not auch verbarrikadieren zu können. Doch es gibt Nuancen, die einen Unterschied ausmachen.

Uli Hoeneß hat in der „Zeit“ öffentlich gebeichtet, was ohne das Risiko weiterer steuer- und strafrechtlicher Verfolgung zu sagen war, und bereits begonnen, tatkräftig in Form erheblicher Geldzahlungen an den Fiskus Wiedergutmachung zu leisten. Sein Amt als Aufsichtsratsvorsitzender der FC Bayern München AG hält er zwar noch inne, übt es aber aktuell nur verhalten und zurückhaltend aus. Die Anhänger des FCB sehen damit der öffentlichen Buße fürs Erste genug getan und wünschen sogar dezidiert, dass „Uli“, dem der Erfolg an den Fußballstiefeln zu kleben scheint, den Club nach seinem größten Triumpf, dem Titel-Triple zum Saisonfinale, für künftige Aufgaben neu motiviert. Uli H. ist und weiß sich weiter in der Pflicht.

Jetzt darf ihn der Erfolg nicht verlassen und die Staatsanwaltschaft nicht anklagen; sonst würden auch die Seinen von ihm abrücken und die im Aufsichtsrat versammelten und noch zu Hoeneß stehenden Vorstände der Sponsorenfirmen hätten einen schwierigen Stand. DieCSU aber sieht den „Fall Hoeneß“ schon weit vor der Bayernwahl geklärt. Zudem ist der überragende FCB-Erfolg für die immer noch dominierende bayerische Volkspartei des politischen Glückes Schmied.

Image des Friedensnobelpreisträgers erodiert

Im Gegensatz zu Uli Hoeneß aber ist Barack Obama nicht sonderlich erfolgreich; vor allem aber hat er versprochen, was er nicht halten kann oder mag. Das gilt für die zugesagte Auflösung des rechtsfreien Gefangenenlagers Guantanamo auf Kuba, das wird bei der Tötung auch amerikanischer Staatsbürger durch bewaffnete Drohnen ohne rechtsstaatliche Verfahren praktiziert und das offenbart sich bei dem bedenkenlosen Umgang mit den Daten von Bürgern in den USA und in aller Welt. Das zunehmend; doch wo kein Richter, da auch kein Henker. Noch kann Obama sich entspannt zurücklehnen. Er ist sich keines schwerwiegenden Vergehens bewusst. Als Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgrund führt er die Gefahr des internationalen Terrorismus an. Da Obama nicht wiedergewählt werden kann, muss er sich um die öffentliche Weltmeinung auch nicht allzu viele Sorgen machen. Knietief im Morast und Regen aber stehen Unternehmen wie Apple, Google oder Facebook, die sich unversehens des Verdachts der Kumpanei erwehren und öffentlich erklären müssen und dies als eine verkehrte Welt empfinden.

Verteidigungsminister de Maizière jedoch ist das Ärmelass seiner Kanzlerin. Genüsslich weidet sich die SPD an seinen Versuchen, mit einer hinauszögernden Salamitaktik das Land und Vertrauen zurückzugewinnen. Dieser zähe Offenbarungsprozess erhält nun eine moralische Dimension. Aus dem Vorwurf der Fahrlässigkeit und des Organisationsverschuldens steigt der Wasserdampf der moralischen Bezichtigung der Lüge betreffend den Zeitpunkt der Kenntnis des Ministers vom Drohnendebakel empor. Während die SPD Morgenluft wittert und de Maizière für schlachtreif hält und auch die in der Koalition mit der CDU verbundenen Liberalen spürbar auf Distanz gehen, verhalten sich die Grünen auffällig unengagiert. Mit Umweltminister Altmaier werden konstruktive Gespräche über die Atommüllendlagerfrage geführt und de Maizière nicht hart angegangen.

Es tut sich was in der schwarz-grünen Beziehungskiste. Wenn der Minister die Nerven behält, kann er den Deckel auf dem brodelnden Kochtopf noch mal zukriegen. Allerdings darf jetzt kein weiteres Haar mehr in der Suppe auftauchen, sonst gibt es auch für ihn kein öffentliches Vergeben und Vergessen mehr.

Beitrag erschien zuvor auf: theeuropean.de

 

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