Barmherzigkeit: Lösungs- statt Problemorientierung

Bei mir herrscht meist die Problemorientierung gegen meine Nächsten vor. Bei Gottes Barmherzigkeit ist das andersrum.

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„Finde den Fehler“ – dieses Spiel, bei dem zwei annähernd gleiche Bilder abgebildet werden, in denen man die versteckten Abweichungen erkennen muss, kennen wohl die meisten von uns. Ich fand das vor allem als Kind immer spannend, und vermutlich ist es auch ein gutes Beispiel für die Stärkung von Konzentration und die Fokussierung auf Details. Spannend sind solche Suchbilder vor allem dann, wenn beide Alternativen durchaus nachvollziehbar sind, also nicht plötzlich in einer Weihnachtsszene ein Osterhase hinter einem Baum hervorlugt, sondern lediglich ein Rauschgoldengel mehr im Baum hängt.

Diese Bilderrätsel kamen mir in den Sinn, als ich die Katechese von Papst Franziskus vom vergangenen Mittwoch gelesen habe, in der es wieder um das Thema Barmherzigkeit ging. Kernaussage dieser bei Zenit wiedergegebenen Katechese ist „Gott will niemanden verurteilen“. Daraus ergibt sich nach den Worten des Papstes ein – allerdings nur scheinbarer – Widerspruch zwischen der Barmherzigkeit Gottes und seiner Gerechtigkeit:

Es gibt aber noch eine andere Art von Gerechtigkeit, welche die Bibel uns als den Königsweg vorstellt. Es handelt sich um einen Weg, bei dem man den Gang vor Gericht vermeidet. Das Opfer wendet sich vielmehr selbst an den Schuldigen und lädt ihn zur Umkehr ein, indem es ihm hilft zu verstehen, dass er Böses tut. Es appelliert an sein Gewissen. Auf diese Weise kann der Täter, wenn er bereut und sein Unrecht einsieht, sich der Vergebung öffnen, die ihm vom Geschädigten angeboten wird. Und das ist schön: infolge der Einsicht, schlecht gehandelt zu haben, öffnet das Herz sich der Vergebung, die ihm angeboten wird. Das ist die rechte Art, Konflikte abzubauen, so z.B. in unseren Familien, in der Ehe, in der Beziehung zwischen Eltern und Kindern und immer dann, wenn der Geschädigte den Schuldigen liebt und die Beziehung retten will, die ihn an den anderen bindet. Diese Beziehung nicht abbrechen will.

Wenn ich ehrlich bin: Der Anspruch ist extrem hoch, und ich kann bei weitem nicht behaupten, dass ich ihn auch nur annähernd erfüllen kann. Das mag daran liegen, dass ich in der Be- und damit Verurteilung anderer Menschen doch zu sehr darauf getrimmt bin, die Mängel, die Fehler im Anderen zu sehen. Ob das mit einer Konditionierung über die genannten Fehlerbildchen zusammen hängt, kann ich nicht sagen, aber die Prämisse ähnelt doch frappierend: Es ist ein Fehler da, der Andere, gerade der, den ich eigentlich nicht mag oder von dem ich mich ungerecht behandelt fühle, muss einen Fehler gemacht haben. Und für den muss er – mindestens – um Vergebung bitten oder – besser – büßen!

Im beruflichen Umfeld nenne ich das auch „Problemorientierung“: Der Fokus liegt auf der Offenlegung von Problemen und von da aus aus der Zuordnung von Verantwortung: Wer ist der Schuldige! Das kann einen Lösungsprozess lähmen, weil in einem Unternehmen, in dem eine derartige „Problemkultur“ gelebt wird, die Mitarbeiter erst mal darum besorgt sind, selbst nicht als Schuldige da zu stehen. Erst wenn man sicher ist, dass einem niemand etwas anhaben kann, wird möglicherweise nach einer Lösung gesucht, nicht selten wird es aber auch bei der Feststellung des Schuldigen belassen … bis der Fehler erneut auftritt und man sich vielleicht Gedanken über Ursachen statt über Schuldige macht. Nun ist es auch in Unternehmen notwendig, Fehler zu entdecken, aber der Unterschied liegt im Denkschwerpunkt, neudeutsch im „Mindset“: Werden Probleme gesucht oder Lösungen?

Und so sieht das auch mit der Gerechtigkeit und Barmherzigkeit Gottes im Vergleich zu unserer aus: Gott will vergeben, er sucht nach Möglichkeiten, die er uns anbieten kann, um zu vergeben, um Barmherzigkeit zu üben. Auch dabei geht es nicht darum, über Fehler – Sünden – einfach hinwegzusehen, aber doch den Weg frei zu machen für Vergebung:

Das ist die Art und Weise, wie Gott mit uns Sündern verfährt. Der Herr bietet uns ständig seine Vergebung an und hilft uns, ihn aufzunehmen und uns unserer Vergehen bewusst zu werden, damit wir uns vom Bösen befreien können. Denn Gott will uns nicht verurteilen, sondern retten. Gott will niemanden verurteilen! Man könnte mir entgegenhalten: „Heiliger Vater, aber Pilatus zum Beispiel hat es doch wohl verdient, verurteilt zu werden? Hat Gott ihn nicht verurteilen wollen?“ – Nein! Gott hätte auch Pilatus und Judas retten wollen, alle! Er, der Herr der Barmherzigkeit, will alle retten! Das Problem besteht darin, dass wir Ihn in unsere Herzen einlassen müssen. Alle Worte der Propheten sind ein starker und liebevoller Aufruf, der unsere Bekehrung herbeiführen will. So sagt der Herr z.B. durch den Propheten Ezechiel: „Habe ich etwa Gefallen am Tod des Schuldigen […] und nicht vielmehr daran, dass er seine bösen Wege verlässt und so am Leben bleibt?“ (Ez 18,23; vgl. 33,11). Das ist es, was Gott gefällt!

Und genau hier besteht nun für uns die Herausforderung: Bin ich bei einem Menschen in der Lage, in erster Linie nach einer Möglichkeit zu suchen, mich mit ihm zu versöhnen und ihm zu vergeben – ohne seine Schuld völlig auszublenden – oder überlasse ich die Suche nach Vergebung ihm alleine? Und wenn er auf der Suche ist, helfe ich dann dabei oder baue ich Hürden auf, beispielsweise mit welchem Wortlaut jemand um Entschuldigung zu bitten hat? Mit letzteren Ansätzen, die einer Vergebung im Weg stehen, bekommt man oft Verständnis aus dem Umfeld, daher sollte man sich nicht auf Bestärkungen dieser Art verlassen: Ich bin ganz persönlich aufgefordert, barmherzig zu sein wie der Vater im Himmel, daher ist es meine Aufgabe, meinem Nächsten Möglichkeiten der Vergebung zu bieten, wie Gott das auch tut. Diese Art der Barmherzigkeit werde ich wohl nie erreichen, aber auch hier: Die „Denke“ entscheidet, wie barmherzig ich werde.

Und hier besteht auch die Herausforderung, die Barmherzigkeit Gottes anzunehmen, wie es der Papst im letzten Teil der Katechese mit Bezug auf die Beichte erläutert:

So ist das Herz Gottes: das Herz eines Vaters, der seine Kinder liebt und möchte, dass sie im Guten und in der Gerechtigkeit leben, und deshalb in Fülle leben und glücklich sind. Das Herz eines Vaters, das über unser kleinliches Gerechtigkeitsverständnis hinausgeht, um uns den grenzenlosen Hori]zont seiner Barmherzigkeit zu erschließen. Ein Vaterherz, das uns nicht nach unseren Sünden behandelt und uns unsere Schuld nicht heimzahlt, wie der Psalm sagt (vgl. Ps 103,9-10). Und genau dieses Vaterherz ist das, wonach wir suchen, wenn wir den Beichtstuhl betreten. Vielleicht wird es uns helfen, das Böse besser zu verstehen. Zur Beichte geht man, um einen Vater aufzusuchen, der uns hilft, unser Leben zu verändern; der uns die Kraft gibt, unseren Weg fortzusetzen; der uns im Namen Gottes vergibt. Deshalb ist es eine so große Verantwortung, Beichtvater zu sein: weil der Sohn oder die Tochter, die zu dir kommt, nichts anderes als einen Vater sucht. Und der Priester, der im Beichtstuhl sitzt, vertritt den Vater, der durch seine Barmherzigkeit die Gerechtigkeit ausübt.

Die abschließenden Worte richten sich eher an die Priester in den Beichtstühlen, aber sie sind auch für uns als Beichtende, als Menschen, die die Vergebung und Barmherzigkeit Gottes suchen, interessant. Denn egal inwieweit der Priester im Beichtstuhl dem gerecht wird: Am Ende knien wir dort vor Gott, und der hat das beschriebene Herz des Vaters, wir dürfen uns darauf verlassen, dass er uns Barmherzigkeit schenken will, dass er uns nicht verurteilen sondern eben vergeben will. Wenn der Priester, in Vertretung Jesu, nachfragt, dann nicht, weil er in unseren Sünden bohren möchte, sondern weil er uns helfen will, „das Böse besser zu verstehen.“ Und so komme ich aus der Beichte nicht nur mit der Vergebung Gottes sondern auch gestärkt gegen die Anfeindungen des Bösen, den Versuchungen der Sünde.

Was für einen großartigen Gott wir haben … und unser Papst ist mit seinen Worten und seinem Bemühen, die Barmherzigkeit Gottes verständlich zu machen, ein würdiger Vermittler.

Beitrag zuerst erschienen auf papsttreuerblog.de

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