Barmherzigkeit: Bin ich der Nächste?

Wer ist mein Nächster? Die Frage hat schon Jesus abgelehnt und ersetzt durch die Frage, wem ich der Nächste bin!

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Bei manchen Gleichnissen Jesu bekomme ich einen Knoten im Hirn, bei denen stehe ich mir selbst im Weg, denke vielleicht auch zu kompliziert. Dazu gehört das Gleichnis vom Barmherzigen Samariter, über das der Papst in seiner Katechese vom 27.04.2016 berichtet. Die Geschichte (vgl. Lukas 10,25-37) ist den meisten wohl bekannt. Ein Gesetzeslehrer fragt Jesus nach den wichtigsten Geboten, um den Himmel zu erreichen und bekommt die Antwort „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deiner Kraft und all deinen Gedanken, und: Deinen Nächsten sollst du lieben wie dich selbst.“ Um sich zu rechtfertigen hakt der Gesetzeslehrer nach „Wer ist mein Nächster?“ und bekommt die Geschichte präsentiert, in er nacheinander ein Priester, ein Levit und dann ein Samariter an einem verletzten, vielleicht sterbenden Überfallopfer vorbeikommen. Und während die ersten beiden – die eigentlich schon qua Amt helfen müssten – sich lieber verdrücken, wird der – aus jüdischer Sicht – Außenseiter zum rettenden Helfer.

Den Unterschied zwischen den ersten beiden und dem Samariter macht der Papst beinahe drastisch deutlich und vergleicht sie mit der Barmherzigkeit Gottes (Zitate hier wie im Folgenden von Zenit):

Im Evangelium steht geschrieben, dass er [der Samariter] Mitleid hatte, d.h., das Herz, seine inneren Organe, hatten Mitleid! Darin besteht der Unterschied. Die beiden anderen „sahen“, doch ihre Herzen blieben verschlossen, kalt. Das Herz des Samariters hatte sich hingegen mit dem Herzen Gottes selbst in Einklang gebracht. So ist das „Mitleid“ ein wesentliches Merkmal der Barmherzigkeit Gottes. Gott hat Mitleid mit uns. Was bedeutet das? Er leidet mit uns, er spürt unser Leiden. Mitleid bedeutet „Mit-Leiden“. Das Verb bezeichnet die inneren Organe, die sich bewegen und angesichts des menschlichen Leidens beben. Und in den Gesten und Handlungen des guten Samariters erkennen wir das barmherzige Wirken Gottes in der gesamten Heilsgeschichte. Es handelt sich dabei um das gleiche Mitleid, mit dem der Herr einem jeden von uns näherkommt: Er ignoriert uns nicht. Er kennt unsere Schmerzen, weiß wie sehr wir Hilfe und Trost brauchen. Er kommt uns nahe und verlässt uns nie. Ein jeder von uns soll sich die Frage stellen und mit dem Herzen antworten: „Glaube ich daran? Glaube ich, dass der Herr Mitleid mit mir hat so wie ich bin – ein Sünder mit vielen Problemen und Fehlern?“ Denkt daran und die Antwort lautet: „Ja!“. Jedoch muss sich ein jeder im Herzen fragen, ob er an dieses Mitleid Gottes glaubt, des guten Gottes, der sich nähert, uns heilt und uns Zärtlichkeit schenkt. Und wenn wir ihn ablehnen, wartet er: Er ist geduldig und stets an unserer Seite.

In dem Samariter wird deutlich, dass zur Barmherzigkeit das Mitleid, das Mitleiden gehört, was nicht nur ein Gefühl darstellt sondern in Handlungen münden muss. Gott schaut nicht nur auf die Menschen mit dem Gedanken „Ach, die Armen!“ sondern er greift ein, hilft uns und bleibt bei uns. Sein Kümmern geht über einen einfachen Trost hinaus, so wie das auch beim Samariter zu sehen ist, der sich auch weiterhin verantwortlich fühlt und für das Opfer Sorge trägt.

Aber jetzt wird es – wie ich finde – kompliziert:

Zum Abschluss des Gleichnisses kehrt Jesus die Frage des Gesetzeslehrers um und fragt ihn: „Was meinst du: Wer von diesen dreien hat sich als der Nächste dessen erwiesen, der von den Räubern überfallen wurde?“ (V. 36). Die Antwort ist endlich widerspruchsfrei: „Der, der Mitleid mit ihm hatte“ (V. 27). Zu Beginn des Gleichnisses war der Nächste für den Sterbenden der Priester oder der Levit; am Ende war der Nächste aber der Samariter, der sich angenähert hat. Jesus wechselt die Perspektive: Man soll die anderen nicht Kategorien zuordnen um zu sehen, wer der Nächste ist und wer nicht. Du kannst der Nächste jedes Menschen werden, dem du in der Not begegnest und du wirst es sein, wenn dein Herz von Mitleid erfüllt ist, d.h., wenn du die Fähigkeit besitzt, mit dem anderen zu leiden.

Der Papst spricht von „Widerspruchsfreiheit“ und das ist sicher richtig. Dennoch dreht Jesus die Frage geradewegs um: Der Gesetzeslehrer fragt, wer sein Nächster sei und aus dem Gleichnis könnte man die Frage ableiten, wer der Nächste des Priesters, des Leviten und des Samariters gewesen ist. Für alle drei würde gelten: Das Opfer am Straßenrand. Jesus fragt aber nach dem Nächsten des Opfers: „Wer von diesen dreien hat sich als der Nächste dessen erwiesen, der von den Räubern überfallen wurde?“ Die Antwort liegt so nahe, dass man über die Frage kaum noch nachdenkt – Natürlich der Samariter, der Mitleid hatte und darum geholfen hat. Aber die Antwort beinhaltet eine Kertwende in der Sichtweise: Der Gesetzeslehrer fragt nach, um abzugrenzen! Er will nicht wissen, wer sein Nächste ist, sondern, wer es nicht ist. Wie es der Papst im Vorfeld beschrieben hat: „Er möchte jedenfalls eine eindeutige Regel, die ihm eine Einteilung der Menschen in „Nächste“ und „Nicht-Nächste“ erlaubt; in jene, die zu Nächsten und jene, die nicht zu Nächsten werden können.“

Die Antwort dagegen lautet eher auf „Wessen Nächster möchtest Du sein, wenn Du in der Lage bist, wie der Überfallene?“ Und der Gesetzeslehrer hätte an dieser Stelle vermutlich logisch geantwortet: Jeder von den Dreien hätte mein Nächster sein sollen, jeder hätte helfen sollen! Diesen Perspektivwechsel verbindet Jesus mit der Aufforderung entsprechend zu handeln, sich selbst zum Nächsten jedes Menschen zu machen, der meiner Hilfe bedarf, unabhängig von Stand, Herkunft, Religion oder ähnlichem:

Dieses Gleichnis ist ein wunderbares Geschenk für uns alle und auch eine Aufgabe! Für einen jeden von uns wiederholt Jesus seine an den Gesetzeslehrer gerichteten Worte: „Dann geh und handle genauso“ (V. 37). Wir alle sind dazu berufen, den Weg des guten Samariters zu gehen, dem Beispiel Christi zu folgen: Jesus hat sich zu uns hinabgebeugt und ist unser Diener geworden. So hat er uns gerettet, damit auch wir einander genau so lieben können, wie er uns geliebt hat.

Bei dieser Betrachtung kam mir ein Gedanke in Erinnerung, den ich letztlich hatte, als Papst Franziskus von der griechischen Insel Lesbos einige muslimische Flüchtlinge mit nach Rom genommen hat. Zwischenzeitlich wird berichtet, dass die Auswahl der Flüchtlinge, die mit durften durch ein Losverfahren erfolgte, was ich für zumindest bedenklich halte. Die Kritik aber auch von vielen Katholiken, dass der Papst zunächst christliche Flüchtlinge hätte berücksichtigen müssen, erscheint zwar weltlich verständlich, prallt aber genau an diesem Gleichnis des Barmherzigen Samariters ab: Darf ich für den flüchtenden Moslem weniger der Nächste sein, als für einen flüchtenden Christen? Hinter der Kritik, die auch ich im Hinterkopf hatte, steht die gleiche Frage wie die des Gesetzeslehrers: Wer von den Flüchtlingen ist mein Nächster … und wer nicht? Der Papst hat sich mit seiner Aktion, stellvertretend für die aufnehmenden römischen Gemeinden, als der Nächste der Flüchtlinge erwiesen, die er mitgenommen hat. Er hätte vermutlich auch gerne noch viel mehr mitgenommen, aber eine Priorisierung von Christen wie von Moslems verbietet sich genau vor dem Hintergrund der beschriebenen Worte Jesu.

Weltlich ist das eher unverständlich: Rette ich nicht eher meine Freunde anstatt diejenigen zu retten, die meinen eigenen Glauben womöglich bekämpfen? Das würden wohl die meisten so tun, und er könnte auf Verständnis in der Welt setzen. Dieser Logik hat der Papst sich entzogen und zeigt seinen Kritikern, in dieser Angelegenheit auch mir, dass es nicht darum geht, was die Welt tun würde, sondern was Jesus tun würde. Selbstkritisch muss ich mal wieder feststellen: Jungejunge, bin ich weit davon entfernt, wie Jesus zu sein! Und Gott sei Dank ist Gott immer mein Nächster, barmherzig und vergebend!

Beitrag zuerst erschienen auf papsttreuerblog.de

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: SMA Petzold

Die Bibel ist so Inhaltsreich, und so vielfältig interpretierbar, dass Gutmenschen ihre "Ideologie" unter Berufung der Bibel rechtfertigen. Bevor man um den Begriff "Nächsten" philosophiert, sollte herausgestellt werden was unter "Fremde" und "Fremdlinge" zu verstehen ist. Die Bibel redet im alten Testament Buch Mose von zwei Arten von Fremden, einmal die "Fremdlinge" (Proselyten), nämlich den voll integrierten und zur jüdischen Religion übergetretenen Fremde, den man "nicht bedrängen" soll und "den der Herr lieb hat" und den "Fremden" (allotrion), den nicht integrierten, der als Gefahr und Strafe Gottes angesehen wird (Sprüche 5, 7-10; "Jesaja 1, 7; Jeremia 5,12).
Ein Fremdling, dem Hilfe zuteil wird, ist nicht irgendein dahergelaufener, den eigenen Volkstamm bedrohende Macht, sondern jener der sich integriert hat und zur selben Glaubensgruppe gehört. Die heutige Gefühlsduselei um den "Nächsten" beruht mehr auf befremdlichen ideologischen Basen.

Für mich gilt: Ich bin mir der Nächste, um anderen nah sein zu können. Meine Familie ist mir am nächsten, um mir befreundete Familien und Freunde nahe stehen zu können, als eine Inseln des Friedens mit Ausstrahlung auf andere, eine Bastion gegen Allotrioi.
Erst wenn unsere oberen Kirchenideologen, voran Papst Franziskus Integrationsfragen klar definiert haben und herausstellen - wer sich integriert, soll wie unsereins gleich behandelt werden, und wer sich nicht integriert, wird uns zerstören, daher sollen wir ihn nicht aufnehmen - dann erst kann ich entspannt die Diskussionen über die Nächstenliebe angehen.
In diesen Kontext passt die Aussage vom Prager Bischof Duka , ein Christ hat die Pflicht einem Hilfesuchenden die Hand auszustrecken, aber jedem die Hand zu reichen ist ein Zeichen von Schwäche!

Gravatar: Wolf Köbele

Wie kann mir das Gleichnis Jesu annehmbar erscheinen, wenn ich zuvor gelesen habe, wie er mit seiner Mutter spricht: "Weib!" Und nicht nur Jesus mangelt die Glaubwürdigkeit schon deshalb, weil er keine Kinder hatte. Für jeden Menschen, der über einen vernünftigen Zugang zur Welt hat, sind die Nächsten erst einmal seine Angehörigen (!) und nicht irgendwelche zu "Opfern" stilisierte wildfremde Hereingelotste oder Eingedrungene. Wenn Religion darauf verzichtet, sich an Menschen zu wenden, hat sie keine Existenzberechtigung mehr. Da bin ich doch dankbar für den Hinweis auf Paulus.

Gravatar: MM

Schicken Sie doch Ihre Kritik auch an den Heiligen Paulus, der gesagt hat: "So lasst uns nun, wo wir Gelegenheit haben, an jedermann Gutes tun, allermeist an den Glaubensgenossen." (Galater 6,10)

Der Heilige Paulus hat im Gegensatz zu Papst Franziskus aber auch nicht hinter dicken Mauern gewohnt, von Leibwächtern bewacht.

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