Asymmetrische Weltordnungskonzepte: Wenn zwei Weltordnungen aufeinanderprallen

Gemeinsame Weltordnungskonzepte sind der kleinste Nenner der Außenpolitik. Sind sie zu unterschiedlich, ist keine diplomatische Korrespondenz möglich. Das kann verheerende Konsequenzen haben, wie wir es am Beispiel des selbsternannten „Islamischen Staates“ (IS) sehen.

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Wir kennen den Begriff der „asymmetrischen Kriegsführung“. Aktuelles Beispiel ist die Schwierigkeit moderner Armeen, auf die Herausforderungen des Terrorismus zu reagieren. Das Militär kann feindliche Armeen bekämpfen, aber keinen unsichtbaren Gegner, der sich unter Zivilisten versteckt.

Ein anderes Problem ist die Asymmetrie der Weltordnungskonzepte. Man braucht einen gemeinsamen Nenner, um miteinander kommunizieren zu können. Diplomatie funktioniert nur, wenn man sich auf Spielregeln einigt. Bricht jemand aus den Spielregeln aus oder nimmt sie nicht wahr, ist das Spiel zu Ende.

Der fundamentalistische Terrorismus im Nahen Osten führt uns das Problem vor Augen: Es ist nicht möglich, mit den Terroristen zu verhandeln oder gemeinsam mit ihnen eine Friedenslösung zu erarbeiten. Ihr radikales Weltbild, ihre Intoleranz gegen Andersgläubige und ihre Vorstellung von der zukünftigen Ordnung der Welt lassen eine sinnvolle Verhandlung nicht zu.

Es ist so, als sprächen beide Seiten unterschiedliche Sprachen, die nicht wechselseitig übersetzbar sind. Es lässt sich keine Kommunikationsebene finden. Man redet aneinander vorbei.

Man kann zur Illustration auf ein biblisches Gleichnis zurückgreifen. Beim Turmbau zu Babel (Gen. 11, 1-9) hatte sich die Menschheit zu einem großen Projekt zusammengefunden, ein gemeinsames Werk zu schaffen, nämlich jenen Turm, der bis zum Himmel reicht. Doch dann kam das Ereignis der Sprachverwirrung. Das Projekt scheiterte am Verständigungsproblem.

Auch mit unterschiedlichen Ideologien kann man sich auf Ordnungskonzepte einigen

Weltordnungskonzepte sind etwas anderes als Ideologien. Die Weltordnung ist ein Set von Spielregeln, die sich die Staaten gegeben haben. Dieses Set lässt unterschiedliche Ideologien und Weltanschauungen zu, solange die Spielregeln eingehalten werden.

Als der Kalte Krieg Europa spaltete und zwei Ideologien aufeinander trafen, nämlich der Kommunismus des Ostblocks und der westliche Kapitalismus, gab es dennoch einen gemeinsamen Nenner internationaler Ordnung.

Die USA, Großbritannien, Frankreich, die Volkrepublik China und die damalige Sowjetunion saßen im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Seit 1973 gab es zudem die KSZE. Diese Institutionen bezeugen, dass man trotz ideologischer Differenzen sich auf eine Art internationale Ordnung einigen konnte. Sonst wäre es schlicht zum Dritten Weltkrieg gekommen.

Der lange Weg zur internationalen Weltordnung

Die Idee, die Welt nach politischen und diplomatischen Ordnungskonzepten so zu gestalten, dass die Vertreter unterschiedlicher Staaten und Gesellschaften sich an einen Verhandlungstisch setzen und einen gemeinsamen Nenner der Kommunikation finden konnten, ist alt. Ihre Umsetzung auf höchster Ebene war nicht vom Himmel gefallen, sondern das Ergebnis eines langen historischen Prozesses.

Ein Blick zurück in die Geschichte zeigt, dass im Altertum und in manchen Regionen noch bis ins Mittelalter und in die Neuzeit, zentralistische Weltbilder das Entstehen einer internationalen Ordnung erschwerten.

So orientierten sich die Staatsgebilde des Altertums an zentralistischen Weltordnungsideen. Die großen Länder und Kulturen sahen sich als Zentren. Die umliegenden Völker und Länder galten als Peripherie.

Beispiel aus der Geschichte: Das alte Ägypten als isolierte Macht

Nehmen wir als Beispiel das alte Ägypten. Die Ägypter des Altertums nannten sich selbst „Menschen“. Das alte Ägypten sah sich als Zentrum des Kosmos. Der Pharao war Garant für die kosmische und somit auch staatliche Ordnung. Mit den anderen Ländern konnte keine Diplomatie im modernen Sinne betrieben werden. Das war in der Weltvorstellung der alten Ägypter nicht vorgesehen. Die „Anderen“ waren höchstens Tributbringer. Sie mussten sich dem Pharao unterwerfen und Tribute abliefern.

Diese Vorstellung von der Weltordnung konnte nur solange bestehen, wie Ägypten isoliert war. Sobald das Land mit einem anderen mächtigen Staat in Berührung kam, geriet die ägyptische Weltordnung ins Wanken. Man wusste nicht mit der Situation umzugehen. Die entscheidende Frage musste gestellt werden: War Pharao nicht mehr das Zentrum des Kosmos?

Ausbruch aus der Isolation: Die Ägypter mussten ihre Ideen von der Weltordnung überdenken

Als die Ägypter sich im 13. Jahrhundert v. Chr. mit dem militärisch gleichstarken Reich der Hethiter in der Schlacht von Kadesch konfrontiert sahen, standen sie vor der intellektuellen Herausforderung, ein anderes Land als ebenbürtig einstufen zu müssen. Diplomatischer Austausch auf einer Augenhöhe war gefordert. Das hat in Ägypten zu erheblichem Klärungsbedarf geführt. Ihr Bild von der Weltordnung musste korrigiert werden.

Der erste historische Völkerrechtsvertrag zwischen Ägypten und dem Hethiter-Reich befindet sich heute im Hauptgebäude der UNO in New York

Herausgekommen war ein historisches Wunder: Es kam zum ersten belegten Friedensvertrag zweier großer Staaten. Dieser Vertrag wurde keilschriftlich niedergeschrieben. Ein Exemplar wird heute im Hauptgebäude der UNO in New York ausgestellt.

Es war der erste historisch belegte Versuch, ein internationales Weltordnungskonzept umzusetzen, der Beginn der Diplomatie. Das historische Dokument soll die Diplomaten der Vereinten Nationen daran erinnern, dass man schon im Altertum über seinen Schatten springen musste, um Friedenskompromisse zu schließen.

Zweites historisches Beispiel: Wie China an der altertümlichen Weltordnungsidee festhielt

Ein anderes Beispiel ist China. Das kaiserliche China hatte seine traditionellen Vorstellungen von der geordneten Welt bis ins 19. Jahrhundert bewahrt. Nach der chinesischen Herrschaftsauffassung war der Kaiser Herr über alle Länder unter dem Himmel.

Als im frühen 15. Jahrhundert eine chinesische Flotte unter dem Kommando des Admirals Zheng He nach Afrika aufbrach, war man nicht darauf aus, Handelskontakte zu knüpfen. Es ging darum, entsprechend des damaligen chinesischen Weltbildes, Tribute einzusammeln und den Völkern der Welt von der Majestät des Kaisers und vom „Reich der Mitte“ zu verkünden. Die angetroffenen afrikanischen Völker reagierten nach chinesischer Darstellung wie erwartet: Man brachte Tribute und huldigte dem chinesischen Kaiser.

China und Europa entwickelten sich unterschiedlich

In Europa dagegen mussten die Staaten und ihre Repräsentanten sich im gegenseitigen Konkurrenzverhältnis üben. Diplomatie und Verhandlungen auf allen Ebenen waren an der außenpolitischen Tagesordnung. Gesandtschaften reisten von Stadt zu Stadt. Spätestens seit dem Westfälischen Frieden von 1648 bemühte man sich, der Kommunikation innerhalb der europäischen Staatenwelt eine gewisse Ordnung zu geben, bei der sich die Staaten auf einer Augenhöhe begegnen konnten.

China hatte bis zum 19. Jahrhundert diese Erfahrungen nicht gemacht. Es hatte nicht einmal die Entwicklungen in den anderen Teilen der Welt mitbekommen bzw. intellektuell verarbeitet, um seine Vorstellung von der Weltordnung zu überdenken.

Westen und China: „Zusammenprall zweier Weltordnungen“

Henry Kissinger schreibt in seinem Buch „China – Zwischen Tradition und Verantwortung“ vom „Zusammenprall zweier Weltordnungen“. Als die Europäer im Zuge des Opiumkrieges in die chinesischen Interessenssphären eindrangen, war man in Peking unfähig, diese Entwicklung einzuordnen und entsprechend darauf zu reagieren.

Die Unfähigkeit der chinesischen Führung, die neuen Spielregeln der Welt zu erlernen und anzuwenden, hatte dramatische Konsequenzen. Für China folgte die Zeit der Demütigungen. Von der Mitte des 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts wurde das „Reich der Mitte“ zum Spielball der westlichen Mächte.

China hat heute ein neues Weltordnungskonzept entwickelt

Heute hat sich die Situation geändert. China hat einen neuen Weg gefunden. Zwar versteht sich das Land immer noch als „Reich der Mitte“. Aber man hat einen erfolgreichen Weg der Diplomatie gefunden, der einerseits das chinesische Selbstbild nicht trübt, andererseits den anderen Staaten auf der Welt eine wirtschaftliche und diplomatische Kommunikationsebene bietet.

Statt den Kaiser auf dem Himmelsthron als Zentrum der Welt zu sehen, strebt die chinesische Führung eine neue Rolle an. Das ehemalige Reich der Mitte soll das Zentrum eines wirtschaftlichen und politischen Netzwerkes sein.

Zusammenfassung: Weltordnung und Friedenssicherung

Die historischen und aktuellen Beispiele zeigen, dass Frieden, Handel und Diplomatie nur dann auf Dauer eine Chance haben, wenn international konstant und fair um ein gemeinsames Konzept einer Weltordnung gerungen wird. Die heutige Weltordnung ist das Ergebnis eines langen historischen Prozesses.

Wenn einige Staaten aus der Reihe tanzen und eigenartige Ideen der Weltordnung entwickeln, die mit jenen der anderen nicht kompatibel sind, gibt es internationale Verwerfungen und Erschütterungen.

Alle müsse an der Ausgestaltung der Weltordnung beteiligt werden. Besonders gefährlich sind zentralistische Weltordnungskonzepte, die die Diplomatie auf gleicher Augenhöhe erschweren (wie ehedem China und Ägypten und heutzutage zunehmend der US-amerikanische Exzeptionalismus mit seiner Idee von der unipolaren Weltordnung), und asymmetrische Weltordnungsvorstellungen, bei denen kein gemeinsamer Kommunikations-Nenner gefunden werden kann (wie zwischen dem IS und dem Westen).

 

 

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Ralle

Ich fürchte, dass wir einer anderen Realität entgegengehen.

Der Normalfall der diplomatischen Kommunikation zwischen zwei oder auch mehreren Machtblöcken wird durch die USA derzeit aufgekündigt.

Allem Anschein nach präferiert man eine Welt der "Failed States", in dieser kann dann die USA für ihre Vorstellung von Ordnung sorgen.

Der Nahe Osten brennt, für die Türkei wird inzwischen vor Bürgerkrieg gewarnt.

"Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, hat angesichts der jüngsten Spannungen in der Türkei vor einem Bürgerkrieg gewarnt. "Die Lage ist sehr gefährlich", sagte er dem "Kölner Stadt-Anzeiger" (Freitagausgabe). "Ich habe die Sorge, dass sich die Türkei zu einem Kriegsgebiet wie im Nahen Osten entwickelt."

Apropos. Es spielt vielleicht nur am Rande eine Rolle, aber insbesondere durch die syrische "Einwanderung" in Deutschland, wird erwogen Englisch zur (zweiten?) Amtssprache zu erheben.

Wie vielleicht bekannt ist, ist auch an den Universitäten der Austausch der deutschen Sprache durch Englisch bereits in vollem Gange. Die Rektoren der Technischen Universitäten in München und Dresden etwa haben sich zum Ziel gesetzt, bis 2020 Englisch als Unterrichtssprache durchzusetzen und gleichzeitig den Anteil der deutschen Studenten zu senken.

Gravatar: Gernot Radtke

Sehr kluge, den politischen Zentralismus und politische Asymmetrien anschaulich exemplifizierende, Geschichtsbetrachtung! Trotzdem bleibt - prima vista - die Frage: Was tun mit den 'Mächten', "bei denen kein gemeinsamer Kommunikations-Nenner gefunden werden kann"? Was tun mit dem IS in einer multipolaren Welt? Was tun mit einer Gruppe von Todesfanatikern und Totentänzern, die jedes Vernichtungsmittel zur Durchsetzung eines 'Paradieses für alle' einsetzen würden, wenn sie denn über solche verfügten? Was sollte der Westen tun neben seinen unsäglichen Verharmlosungen und Schönrednereien? Was der Osten? - Ich fühle mich durch Herrn von Storchs Überlegungen zwar belehrter, aber kaum weniger ratlos als zuvor.

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