Ansprache beim Seminar zum 100. Jubiläum der „Schlacht von Tannenberg“

Keiner konnte ahnen, dass nach dem 1. Weltkrieg ein „Zeitalter der Extreme“ begann. Heute bedroht uns der globale „Ökologismus“ mit „grünen Fesseln“. Seien wir wachsam und auf der Hut, damit nicht eines Tages unsere Enkel uns als „Schlafwandler“ bezeichnen.

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Meine sehr geehrten Damen und Herren,

zunächst möchte ich im Namen der Landsmannschaft Ostpreußen meinen Dank dem Dachverband Ostpreußen, insbesondere dessen Vorsitzenden Heinrich Hoch, für die Organisation wie die Durchführung dieses Seminars aussprechen. Die „Tannenbergschlacht“ vom 26. bis 30. August 1914 war in der Tat von ganz entscheidender Bedeutung für den weiteren Kriegsverlauf, nicht nur für die Provinz Ostpreußen. Ohne den Sieg des Generalfeldmarschalls Paul von Hindenburg hätte der Kriegsablauf einen völlig anderen Verlauf genommen.

Wir alle wissen, Geschichte ist irreversibel, wie alles im Leben unumkehrbar. Geschichte kennt keinen Konjunktiv. Aber lassen Sie mich dennoch im Konjunktiv fragen: Was wäre geschehen, wenn Paul von Hindenburg verloren und General Alexander Samsonow gewonnen hätte? Um eine plausible Antwort zu finden, genügt ein Blick auf die damaligen Grenzen, die nach Napoleons Niederlage beim Wiener Kongress mit der „Wiener Schlussakte“ vom 9. Juni 1815 gezogen wurde. Wie sah die Landkarte aus? Kongresspolen war ein Protektorat Russlands. Staatsoberhaupt war der Zar von Russland. Polen war als Staat nicht existent und spielte bei dem russisch-französischen Bündnis nicht die geringste Rolle. Deutschland und Russland hatten eine gemeinsame Landgrenze, die die zu Dreiviertel Ostpreußen umschloss und von Memel bis Thorn reichte. Bei einer Niederlage hätten die russischen Truppen einen freien Weg bis Berlin gehabt. Der Freiheitstraum der Polen wäre ausgeträumt gewesen. Die bolschewistische  „Oktoberrevolution“ hätte nicht stattgefunden.

Insbesondere Polen profitierte von dem Sieg über die russischen Armeen. Die Polen begehrten zwar 1830 und 1863 gegen den Wiener Friedensschluss und gegen Russland auf, aber erfolglos. 1837 wurde seine Teilsouveränität aufgehoben und das russische Regierungssystem etabliert und nach dem zweiten Aufstand wurde es 1867 eine russische Provinz. Der russische Statthalter wurde durch den Generalgouverneur von Warschau ersetzt. Dieser Zustand ging bis 1916, nachdem die Mittelmächte Deutschland und Österreich-Ungarn Kongresspolen von russischen Truppen befreit und die Wiedererrichtung eines polnischen Staates verfügt hatten.

Dieses historische Geschehen verbietet mir, nach dem amerikanischen Diplomaten George F. Kennan den 1. Weltkrieg als „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ zu bezeichnen. In der Geschichte haben Pauschalurteile nichts zu suchen. Für vier Reiche trifft dies zu. Sie verschwanden von der politischen Landkarte: die Kaiserreiche Deutschland, Österreich-Ungarn, Russland sowie das Osmanische Reich. Doch für viele Völker war die Katastrophe ein Segen. Sie wurden von der Fremdherrschaft befreit. Ich nenne nur einige: Finnland, Estland, Lettland, Litauen, Polen, Ungarn, Ukraine, die Tschechoslowakei. Sie profitierten von der Tapferkeit der 8. Armee unter Hindenburg und Ludendorff. Russland verlor etwa ein Viertel seines europäischen Territoriums.

So abwegig es ist, den 1. Weltkrieg pauschal als „Urkatastrophe“ zu bezeichnen, so abwegig ist es auch, die europäischen Mächte pauschal als „Schlafwandler“ zu bezeichnen, wie es der Historiker Christopher Clark aus Australien getan hat. Zum Beweis des Gegenteils möchte ich kurz die Bündnispolitik Otto von Bismarcks nach Gründung des „Deutschen Kaiserreichs“ 1871 skizzieren. Da ist zuerst das im Schloss Schönbrunn in Wien am 22. Oktober 1873 als Konsultativpakt ratifizierte „Dreikaiserabkommen. In der Balkankrise 1876-1878 zerbrach das Abkommen. Doch Bismarcks Bemühungen führten am 18. Juni 1881 der „Dreikaiserbund“, dessen Zweck es war, den damals in Europa herrschenden Friedenszustand zu befestigen und gegen Erschütterungen zu sichern. Dieser wurde bis zum 27. März 1884 verlängert, aber schon bei der Bulgarienkrise 1885-1886 zerbrach er wieder.

Zur Kompensation schloss Deutschland mit Russland am 18. Juni 1887 einen auf drei Jahre befristeten „Rückversicherungsvertrag“. Als Russland im Jahr 1890 auf eine Verlängerung drängte, weigerte sich Kaiser Wilhelm II. Daraufhin wandte sich Russland an Frankreich und schloss mit ihm am 17. August 1892 eine geheime Militärkonvention ab. Daraus wurde am 4. Januar 1894 ein festes Bündnis. Deutschland steckte in der Zange. Dazu kam noch am 8. April 1904 die „Entente Cordiale“ zwischen dem Vereinigten Königreich und Frankreich. Dieser trat 1907 Russland bei und machte daraus eine „Triple Entente“. Damit war die Koalition für den 1. Weltkrieg fertig. Kann man dieses zielstrebige Vorgehen als „Schlafwandeln“ bezeichnen?

Auf der einen Seite standen England, Frankreich und Russland, auf der anderen Deutschland und Österreich-Ungarn. Alle europäischen Mächte hatten ihre nationalen Interessen im Auge und suchten sich danach ihre Verbündeten aus. Als Sprengsatz für das „Dreikaiserabkommen“ erwies sich der „Balkan“, von dem aus durch das Attentat von Sarajevo am 28. Juni 1914, dem Mord am Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand samt Gemahlin, der 1. Weltkrieg ausgelöst wurde. Es gibt in der Geschichte Automatismen, die ihrer eigenen Logik folgen und außer Kontrolle geraten und stets mehr Unheil als Segen bringen.

Keiner konnte ahnen, dass nach dem 1. Weltkrieg ein „Zeitalter der Extreme“ begann, angefangen mit dem „Bolschewismus“ in Russland, dann dem „Faschismus“ in Italien und schließlich dem „Nationalsozialismus“ in Deutschland. Diese Tendenz zum Extremismus ist weiter virulent, auf vielen politischen wie gesellschaftlichen Ebenen. Die Worte mit einem „ismus“ am Ende nehmen erschreckend zu. Der globale „Ökologismus“ bedroht uns mit „grünen Fesseln“. Seien wir wachsam und auf der Hut, damit nicht eines Tages unsere Enkel uns als „Schlafwandler“ bezeichnen.

Oppenheim, den 30. August 2014

Dr. Wolfgang Thüne

Mitglied des Bundesvorstandes der Landsmannschaft Ostpreußen

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