Abgewirtschaftet?

Stell Dir vor, es ist Landtagswahl und keiner geht hin – so könnte man angesichts der Wahlbeteiligung bei der gestrigen Wahl in Sachsen, die unter 50 % lag, formulieren. Eine Quote bei der man sich durchaus fragen kann, ob die Ergebnisse eigentlich noch zu einer demokratischen Regierung legitimieren.

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Denn so wie es jetzt aussieht, steuern CDU und SPD wohl auf eine große Koalition zu, was in dem Fall bedeutet, dass sie zusammen knapp 52 % der abgegebenen Stimmen auf sich vereinen. Damit wird eine Regierung gestellt, die ein Viertel der Wählerschaft repräsentiert – demokratische Legitimation sieht anders aus!

Umgekehrt muss man aber auch fragen, mit welchen Ergebnissen man denn rechnen müsste, stiege die Wahlbeteiligung in Sachsen auf angestrebte 100 %? Am wenigsten mobilisiert sind dabei wohl die beiden etablierten Parteien CDU und SPD, die in dem Fall vermutlich zulegen würden. Knapp 19 % Wählerstimmen für die Linke – man darf annehmen, dass das noch mehr werden könnten. Die AfD hat vermutlich ihr aktuelles Wählerpotenzial gehoben, gleiches gilt wohl auch für die NPD. Sprechend dagegen das Abschneiden der FDP, die mit 3,8 % erneut einen ordentlichen Tritt in den Allerwertesten bekommen hat. Als Libertärer hofft man dabei, dass das die Quittung für konfuse Parteitaktik auf Bundesebene ist, denn verglichen mit anderen Landesverbänden zeichnet sich die sächsische FDP durch tatsächliche Liberalität aus.

Aus all dem abgeleitet kann man das Ausscheiden der FDP im Zusammenhang mit geringer Wahlbeteiligung, absoluter Mehrheit für eine große sozialdemokratische Koalition und einem ordentlichen Wähleranteil für die Linken auch als Absage an die Demokratie in sich deuten. „Die da oben“ machen eh was sie wollen, aber das, was sie machen wird schon auch passen! Warum sich mühen um Veränderungen, die für einen persönlich im Zweifel anstrengend sind, wieso sich erst Recht mühen um mehr wirtschaftliche und gesellschaftliche Selbstverantwortung, wenn es doch Mutti auf Bundesebene und ihre Hilfsorgane in den Ländern schon machen.

Nein, die Deutschen, das zeigt das Ausscheiden der NPD, rufen nicht mehr nach dem starken Mann, sie rufen nach mehr Behaglichkeit , sie rufen nicht nach einem Führer, sie rufen nach einer Nanny! Vater (oder Mutti) Staat wird es schon richten, ihm gegenüber kann man seine Ansprüche geltend machen, und wenn überhaupt etwas die Menschen in Massen auf die Straße treibt, dann der Wunsch nach mehr sozialem Netz, nach MEHR staatlicher Einflussnahme. Gewählt wird, wovon ich mir selbst Vorteile verspreche, ohne Blick in die langfristige Zukunft, die sich höchstens noch in Empfindlichkeiten beim Umweltschutz niederschlagen, bei denen sich die großen Parteien aber kaum unterscheiden.

Das alles aber ist der Parteiendemokratie in einem Sozialstaat fast systemimmanent: Wenn der große Kuchen verteilt wird, den andere erst erwirtschaften müssen, ist derjenige der Dumme, der nicht die Hand aufgehalten hat, derjenige ist der Dumme, der seine „Ansprüche“ nicht lautstark hat geltend machen können. Nachhaltigkeit im Sinne der Wirtschaft ist da eine Forderung, die nur stört und was für angebliche intellektuelle Schöngeister ist.

„Demokratie ist, wenn zwei Wölfe und ein Schaf über die nächste Mahlzeit abstimmen“, dieser Satz, der Benjamin Franklin zugeordnet wird, ist heute passender als je zuvor. Abgesehen davon, dass sich die Wölfe gar nicht als solche begreifen, sondern meinen, nur ihre – die der Schafe nämlich – Interessen durchzusetzen.

Ich gebe zu, meine Analyse ist einigermaßen trostlos, ich sehe aber im Moment wirklich nicht, wie sich dieser Teufelskreis anders aufbrechen ließe als durch eine wirkliche Krise, die deutlich macht, dass wir über unsere Verhältnisse leben während wir munter über sinnfreie Themen wie Gendermainstreaming oder Autobahnmaut diskutieren – Themen die eigentlich ein Symptom der aktuellen Problemlage, in keinem Fall aber eine auch nur annähernde Lösung darstellen.

„Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.“ so steht es im deutschen Grundgesetz Artikel 21. Der Hauptprotagonist der politischen Willensbildung ist demnach das Volk, deren Wille durch Parteien zwar auch repräsentiert, aber eben auch gebildet werden sollte. Parteien, deren Programmatiken alleine dem Machterhalt dienen und so mit Programmen aufwarten, die Wählerstimmen versprechen aber die Wahrheit vernachlässigen, braucht kein Mensch. Fragt sich aber, ob der oben beschriebene Prozess innerhalb eines demokratischen Sozialstaats noch umkehrbar ist, oder die Demokratie in der bestehenden Form bereits abgewirtschaftet hat.

Beitrag erschien auch auf: papsttreuer.blog.de

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Andreas Schneider

Hinter der sinnbefreiten Diskussion, ob ein Newcomer auf der Parteibühne "rechts" oder noch schlimmer sei, kommt der Aspekt einer beschämend niedrigen Wahlbeteiligung allzu kurz weg. Erfreulich, dass Herr Honekamp dies hier aufgreift.

Über die Ursachen kann man natürlich des Langen und Breiten streiten. Dass die Welt nicht mehr die Gleiche ist wie vor 30 oder 40 Jahren, ist unbestreitbar; insoweit sind alle Parteien angehalten, ihr Tun und Wirken ebenso neuen Rahmenbedingungen anzupassen wie ihre programmatische Ausrichtung permanent zu prüfen. Allein eine wie auch immer geartete "Modernisierung" zu beschwören, ist ebenso unzureichend wie ein Beharren auf überholten Standpunkten.

Aber mir scheint, dass gerade in der sog. "Modernisierung" die Crux liegt. Eine schnelllebige Zeit, wie wir sie gerade jetzt haben, weckt wohl bei vielen Menschen den Wunsch nach Beständigkeit, einem festem Halt in einem mitreißenden Strom. Und gerade konservativen Parteien hat dies vornehmliches Ziel zu sein. Eine CDU hingegen, die (gefühlt oder tatsächlich) eine Sozialdemokratisierung vollzieht, wird diesem Anspruch nicht gerecht, einer SPD, die für viele Wähler in der Ära Schröder ihr Gesicht verloren hat, ebenso wenig.

Die Zusammenhänge interessieren den Großteil der Wähler offenkundig nur am Rande. Hand auf's Herz: wer glaubt ernsthaft, dass kaum mehr als vielleicht 15 % der Wahlberechtigten ihre Entscheidung gründlich durchdenkt? Wo die "Politik" darüber hinaus diffus und ziellos erscheint, nimmt die Wahlbeteiligung unter solchen Umständen ab.

Besserung ist nicht in Sicht. Allein schon das Koalitionsgeplänkel in Sachsen wir die Unterschiede zwischen den Parteien noch mehr verwischen. Wo die Gier nach der Macht die Überhand über die eigenen Prinzipien gewinnt, ist Kritik an der Wahlverweigerung der Bürger unangebracht.

Gravatar: FDominicus

Traurig aber sehr wahr.

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