100 Jahre Institut für Weltwirtschaft in Kiel

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Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) ist soeben 100 Jahre alt geworden. Zu diesem Jubiläum gibt es eine Festschrift, in deren Zentrum die Präsidenten Bernhard Harms, der Begründer des Instituts im Jahre 1914, sowie seine Nachfolger Jens Jessen, Andreas Predöhl, Fritz Baade, Erich Schneider, Herbert Giersch, Horst Siebert bis hin zum jetzigen Präsidenten Dennis Snower gewürdigt werden. Der Wirtschaftsjournalist Harald Czychol flügelt gekonnt „locker“ (das war die institutsseitig vorgegebene Konzeption) über die präsidialen Epochen und die mit ihnen verbundenen wissenschaftlichen Institutsprägungen hinweg, läßt sich aber doch auch bei dem einen oder anderen Präsidenten mit journalistisch-tiefergründiger Verweilung ob jeweils dessen spezifischen Wissenschafts- und Forschungsparadigma nieder. Das liest sich fein, wenn man die Wissenschaft von der Ökonomie und die sich mit ihr professionell Beschäftigenden nicht allzu ernst nimmt. Bekanntlich gehören zu der Personengruppe, für die das zutrifft, vor allem Politiker, die sich in ihren wiederwahlorientierten strategischen Spielen durch unabhängige wissenschaftliche Expertisen von Professoren, Sachverständigenräten, Wirtschaftsforschungsinstituten, Think Tanks und dergleichen gestört oder gar bedroht fühlen.

Herbert Giersch, einem der institutsprägenden Giganten in der präsidialen Reihe des IfW ist nun in der Festschrift diesbezüglich  eine besondere „Ehre“ zuteil geworden: Anstelle etwa von Robert Solow oder Jagdish Bhagwati, zwei weltberühmten Giersch-Vertrauten  der Ökonomenzunft, durften sich eine ehemalige Ministerpräsidentin (nennen wir sie HS) und ein ehemaliger Bundesfinanzminister, der später Bundeskanzler wurde (nennen wir ihn auch HS), über den IfW-Präsidenten (1969-1989)  äußern: Mit Giersch war es streckenweise „einfach unterirdisch“, analysiert die diplomierte Kieler Volkswirtin HS tiefgründig. Warum das? Weil bei den wirtschaftspolitischen Veranstaltungen der Kieler Woche, zu denen sie selbst  in ihrer Amtszeit einlud, es „besonders schlimm“ herging: „Ich stand ganz brav da und hielt meine Rede, doch dann ging das fröhliche Abwatschen der Wirtschaftspolitiker, mich eingeschlossen, los“. Und Giersch machte zudem wie alle Präsidenten des IfW („außer Professor Snower“) „mehr auf nationale Wirtschaftspolitik als auf Weltwirtschaft”.

Man bewundert in dieser Analyse nicht nur die geschliffene Spracheleganz von HS, sondern auch ihren Mut zur Negation der Realität: Keine Weltwirtschaft bei Bernhard Harms, der ja das Institut dezidiert aus gerade diesem Fokus heraus  gründete und es auch so benannte? Und keine Weltwirtschaft bei Herbert Giersch? „Unser Feld ist die Welt“, der Wettbewerb im globalen Strukturwandel, die Ökonomik der offenen Gesellschaft – das war das wissenschaftliche Credo  Gierschs von Anbeginn seines Amtsantritts, und dementsprechend prägte er das IfW in seiner Amtszeit. Gerade das war ja das neue Forschungsparadigma, mit dem Giersch den eher „national“-ökonomisch orientierten großen Vorgänger Erich Schneider ablöste, den damals berühmten Wirtschaftstheoretiker, bei dem HS ja noch diplomiert wurde („wer den heil überlebt hatte, fühlte sich wie zum Ritter geschlagen“). Aber natürlich stand auch die nationale Wirtschaftspolitik, also die der  beiden HS, im Fokus. Sie mußte es auch ganz gewiß, damals wie heute, denn wozu sind Wirtschaftsforschungsinstitute, die vom deutschen Steuerzahler finanziert werden, da? Giersch prägte das Wort von der Bringschuld, die die Wissenschaftler gegenüber der sie bezahlenden Öffentlichkeit zu bedienen hätten. Diese Bringschuld kann und muß sich in gutachterlicher analytischer Schärfe ausdrücken, die die Politiker nicht in partei-sympathisierender Weise umschmeichelt, sondern deren Tun auf den Prüfstand der unabhängigen ökonomischen Evaluation stellt.

Denn was ist gefragt: Politikberatung oder Politikerberatung? Politikberatung stellt die Analytik der Berater für gute und bessere Lösungen in den Fokus der gesamtwirtschaftlichen Wirkungen. Dabei entsteht Wettbewerb zwischen den Konzepten der unabhängigen Berater und denen der beratenen Politiker. Dagegen umschließt Politikerberatung den Berater unmittelbar in den Kontext der vom Beratenen angestrebten Wiederwahl. Der Beratende und der Beratene bilden also ein politisches Kartell, das auf die  Egozentriertheit der Machterhaltung des Politikers abzielt. Man kann durchaus die Frage nach der Effektivität des einen wie des anderen Ansatzes stellen: Ist z. B. der amerikanische Council of Economic Advisers (CEA), dessen Mitglieder vom Präsidenten der USA berufen und entlassen werden, beratungserfolgreicher als der deutsche Sachverständigenrat (SVR), dessen Mitglieder zwar auch von der Politik bestimmt werden, aber doch cum grano salis als einigermaßen politikunabhängig agiert?

Die beiden HS, von denen die IfW-Festschrift Interviews dokumentiert, lassen höchste Zweifel an der generellen Wirksamkeit des deutschen Beratungsmodells erkennen. Giersch, der ja von 1964 bis 1970 konzeptionstreibendes Mitglied im SVR war,  „hatte regelrecht Spaß daran, der Regierung einen überzubraten“, konstatiert die Kieler HS in der ihr innewohnenden sprachlichen und analytischen Abgewogenheit. Sie zeugt davon, daß wissenschaftliche Politikkritik vor allem als provozierende Abstrafung denn als ernst zu nehmende Anregung gefühlt wird. Der ehemalige Finanzminister HS drehte nun in Bezug auf Herbert Giersch den Abstrafungsmodus um 180 Grad: „Das Geltungsbedürfnis, das einige deutsche Professoren dazu veranlaßt, sich in kritischen Situationen in die Währungsentscheidungen einzumischen, ….., wirft die Frage auf, ob solche Institute weiterhin vom Staat finanziert werden sollten“, zitiert die Süddeutsche Zeitung vom 29. Juni 1973. Und HS bekräftigt noch heute seine damalige Haltung, daß Professoren „große Weisheiten“ von sich gäben, die als „Wichtigtuereien ziemlich unerwünscht“ seien, „weil sie die Zeitungsleser verrückt machten“ (sic!).

Es war die Zeit der Aufwertungsdebatte in Deutschland, nachdem das Bretton-Woods-System  zusammengebrochen war. Die Äußerungen von HS wurden nicht nur von Herbert Giersch und den Mitarbeitern des IfW, sondern auch in der gesamten Akademia sowie in der Medienöffentlichkeit durchweg mit scharfer Kritik konfrontiert, denn sie zeugten von einer Politikerarroganz, die die Wissenschaftsergebenheit gegenüber der Politik einfordert und das hohe Gut der Wissenschaftsfreiheit die Luft abschneidet. Mit dieser Art autoritärer Politik wurde das IfW im Übrigen schon einmal während der Zeit des Nationalsozialismus konfrontiert, allerdings natürlich in faktisch existenzbedrohlicher Form, die vom damaligen Präsidenten Andreas Predöhl in einer schwierigen Gratwanderung zwischen politischem Gefallen und Wissenschaftsfreiheit  zu bewältigen war.

Währungstheorie zu verstehen und darauf basierend gute Währungspolitik zu machen, ist kein leichtes Unterfangen, denn man benötigt ein breites und tiefes Wissen um die ökonomische Komplexität der Zusammenhänge. In der ganzen Welt gibt es Professoren an Universitäten und Forschungsinstituten, die solches Wissen haben und durch Lehre und Gutachten exzellent vermitteln. Und daß praktische Währungspolitik, wie HS stets betont, politisch hochrelevant ist, weil z. B. nationale Wechselkursarrangements externe Effekte auf andere Länder erzeugen, ist für akademische Experten eine Binsenweisheit. In der berühmten Aufwertungsdebatte der 1960er Jahre in Deutschland und vor dem Hintergrund der derzeitigen wissenschaftlichen Debatte um feste versus flexible Wechselkurse, die der damaligen an fixe Wechselkurse gewöhnten Politikergeneration fremd war und einem großen Teil der deutschen Industrie bedrohlich erschien, war u. a. Herbert Giersch – in seiner Funktion als SVR-Mitglied und später auch als IfW-Präsident – die treibende Kraft zur öffentlichkeitswirksamen Vermittlung der Einführung flexible Wechselkurse, die ihm in der Öffentlichkeit nicht nur Ehre einbrachte. Schon gar nicht von HS.

Denn von der Politik wurde dies nie recht akzeptiert: Die Konstrukte der Währungsschlange, des Floating-Blocks und des Europäischen Währungssystems in den 1970er Jahren atmeten nach dem Zusammenbruch von Bretton Woods nach wie vor den Geist der festen Wechselkurse mit der bekannten Folge, daß auch  diese Währungsarrangements  scheiterten. Aber von diesem Geist wollte HS als Wirtschafts- und Finanzminister dennoch nicht ablassen: Nachdem der kluge Professor Karl Schiller, bei dem HS in Hamburg studiert hatte, als Wirtschafts- und Finanzminister 1972 aus Protest zurücktrat, weil sich die Bundesregierung gegen sein Plädoyer für die Freigabe des DM-Wechselkurses und für die Anwendung von Devisenkontrollen aussprach, wurde HS sein Nachfolger, der gegen seinen ehemaligen Lehrmeister Schiller die Kapitalverkehrskontrollen verteidigte. Auch damit scheiterte er.

Schließlich war und ist HS einer der führenden Protagonisten des impliziten Festkurssystems der Europäischen Währungsunion. Eine gemeinsame europäische Währung, also implizit absolut feste Wechselkurse 1:1 zwischen den Mitgliedern der Euro-Zone, so kann man aus der Theorie und Historie der Währungsunionen lernen, funktioniert dann, wenn es innerhalb der Währungsunion keinen signifikanten realen Wechselkursänderungsbedarf gibt. Gibt es ihn doch, weil die ökonomischen, politischen und kulturellen Heterogenitäten zwischen den einzelnen Mitgliedern groß sind, dann entstehen Heterogenitätskosten der Währungshomogenisierung, die  in der Euro-Zone jetzt schon extraordinär hoch sind und zur Zeit sicher besser noch durch partielle Wechselkursanpassungen denn durch politische Konstrukte der Einführung und Administration immer neuer Rettungsschirme und Kreditarrangements reduziert oder vermieden werden könnten.

Aber das ist politisch inopportun, wenngleich ökonomisch effizient. HS, der ein Anhänger Karl Poppers und also dem an der Realität orientierten Fallibilismus in Bezug auf ökonomische und politische Theorien verbunden ist, müßte sein eigenes Politikerscheitern in Währungsdingen zur Grundlage seines Lernens aus Fehlern machen und nicht immerzu den „Professor in der akademischen Welt“ verächtlich abtun, der als „Marktideologe“, wie Giersch einer sei, nichts von Politik verstünde: „Ein Ökonom versteht gar nicht, daß in der Demokratie ein Gesetz nur zustande kommt, wenn vorher tausend Kompromisse geschlossen werden, damit man eine Mehrheit der Stimmen kriegt. Jedes Gesetz ist ein Geflecht von Kompromissen. Das kann sich ein Professor der Ökonomie gar nicht richtig vorstellen. Der findet das irrational und komisch.“

Wie kommt HS zu dieser Vorstellung? Er weiß offensichtlich nicht, daß die Forschung und Lehre an Deutschlands Hochschulen und Instituten längst, und zwar seit Jahrzehnten, mit Politischer Ökonomie durchsetzt sind. Herbert Giersch war ein politischer Ökonom par excellence. Die Neue Politische Ökonomie, Public Choice, die Institutionen- und Konstitutionenökonomie und neuerdings die Verhaltensökonomie sind nur einige Beispiele für das Gegenteil dessen, was HS sich in Bezug auf die akademische Ökonomenzunft so vorstellt. Und im Übrigen: Eine Arbeits- und Wissensteilung zwischen akademischer Forschung und praktischer Politik steigert, wie jede Arbeitsteilung, die Produktivität. Der Wissenschaftler muß und darf nicht jeden Kompromiß des Politikers schon im Vorwege gutachterlich mitliefern, er soll vielmehr die z. B. ordnungstheoretischen Leitlinien aufzeigen, an denen sich die späteren Kompromisse in ihren Kosten und Nutzen messen lassen, die dann die Politiker gegenüber der Öffentlichkeit zu verantworten haben. Aber was nützt das alles, wenn der Politiker HS, wie er einmal zugestand, weder als Finanzminister noch als Kanzler die SVR-Gutachten gelesen hatte, weil ihn das, was Professoren der Ökonomie so schreiben, nicht interessierte. Unabhängig davon stimmt es aber wohl nach wie vor: Was ökonomisch nicht trägt, hat auch politisch langfristig keinen Bestand. Und ökonomisch nicht tragfähig ist ein politischer Konstruktivimus, der sich in seinem Dominanzstreben gegenüber der Ökonomie zu wenig an den Marktgesetzen orientiert.

Herbert Giersch hat in der 100-Jahr-Festschrift Pech gehabt, daß nicht Solow und Bhagwati seine Lebensleistung würdigen konnten, sondern stattdessen den beiden HS Raum für Despektierliches gegeben wurde. Das ist bedauerlich.

Beitrag erschien auch auf: wirtschaftlichefreiheit.de

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