"Es gibt keine unschuldige Emanzipation"

Wilhelm Genazino im SZ-Interview.

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Im Süddeutsche Zeitung Magazin 44/2011 ist ein denkwürdiges Interview mit Wilhelm Genazino erschienen, in dem der Frankfurter Autor Ansichten kundgibt, die man in einem deutschen Mainstream-Blatt nicht erwartet hätte. Wie konnte das überhaupt die interne Zensur passieren? Die Antwort gibt Genazino selbst: "Ich habe mich damit abgefunden, dass Menschen wie ich nur noch als Museumsdarsteller geduldet werden, die in Talkshows bestaunt werden." Genazino äußert sich zur Emanzipation, zum Feminismus, zum Schriftstellerdasein. Es genügt, einige Zitate zu bringen. Das erste widerspricht jeder Quotenseligkeit und klingt deshalb wie von einem anderen Stern.

Frage SZ: "Ihre Helden sind immer männlich. Spüren nur Männer diesen Gegenwartsdruck?"

Genazino: "Früher ja, inzwischen auch immer mehr Frauen. Ich beobachte jeden Tag, wie sie mit Businesskostüm im Café sitzen und über Dinge reden, die nicht zu ihnen passen – ein schauderhafter Moment, weil man abgesehen vom Klang der Stimme nicht mehr merkt, ob ein Mann oder eine Frau spricht. Die Businesswelt, der Kampf um Anerkennung – das sind antrainierte Verhaltensweisen, die nicht zu einem weiblichen Wesen passen. Frauen sind nicht dazu gebaut, außer dem sowieso nötigen Kampf mit dem Tag noch den Kampf mit dem Aufstieg zu absolvieren. Mir tun diese Frauen leid. Sie sind Opfer einer Politik, die ihnen seit Jahren erfolgreich einredet, dass sie einen anstrengenden Job brauchen, um sich selbst verwirklichen zu können."

SZ: "Ursula von der Leyen feiert jede Stelle, die an eine Frau vergeben wird, als Sieg der Gleichberechtigung."

Genazino: "Ich weiß, ein riesiger Beschiss."

SZ: "Heißt das, Sie halten die Frauenemanzipation nicht für eine der größten Errungenschaften der letzten vierzig Jahre?"

Genazino: "Nicht in dem Angebot, das sie zu Beginn des 21. Jahrhunderts vor-zuweisen hat. Wenn es andere Formen der Emanzipation gibt, müsste man die Sache neu verhandeln, aber die Totalvernetzung und Rund-um-die-Uhr-Erreichbarkeit der Frau als Emanzipation darzustellen ist ein großer Betrug."

SZ: "Sie können doch nicht ernsthaft behaupten, dass es den Frauen vor fünfzig Jahren besser ging."

Genazino: "Verstehen Sie mich nicht falsch, ich will die Emanzipation nicht zurückdrehen. Ich will nur klarstellen, dass es keine unschuldige Emanzipation gibt. Der Pakt, den die Frauen eingegangen sind, liefert neben gesellschaftlichen Vorteilen automatisch auch Nachteile. Und der Skandal ist, dass die Frauen mit diesen Nachteilen von den Politikern allein gelassen werden."

Für das zweite kann er froh sein, sich keine Klage der Genderideologen eingehandelt zu haben: Mann und Frau haben schließlich immer und überall gleich zu sein.

Genazino: "Übrigens bin ich der Meinung, dass Männer mehr von der Sexualität profitieren als Frauen."

SZ: "Warum?"

Genazino: "Weil sie den größeren biologischen Anteil haben. Der Sexualdruck des Mannes ist eine ganz eigene Sache, die nur er kennt. Die Frau hat nicht dieses Abfuhrproblem und wird es auch nie verstehen können."

Das dritte Zitat, das zum Schriftstellerberuf, gefällt mir wegen seiner realistischen Sicht des deutschen Bildungsgrades und der hübschen Anekdote mit den Industriellen im Literaturhaus: Das sind die Leute, denen Deutschland gehört.

SZ: "Aber Schriftsteller ist doch ein anerkannter Beruf."

Genazino: "Für Sie vielleicht, ich stelle anderes fest. Die Menschen, die mit mir in diesem Haus wohnen, meine Nachbarn und die Leute, denen ich auf der Straße begegne, haben alle einen anderen Beruf. Wenn die hören, was ich mache, sind sie voller Achtung, aber auch befremdet, wobei die Befremdung überwiegt. Ich muss immer wieder feststellen, dass mein Beruf in dieser Gesellschaft nicht vorgesehen ist."

SZ: "Jetzt übertreiben Sie. Millionen von Menschen lesen Bücher, es gibt Buchmessen, eine ganze Industrie lebt davon."

Genazino: "Seien wir ehrlich: Von zehn Leuten lesen neun nicht. Ich erlebe immer wieder, dass Leute mich fragen, was ein Schriftsteller den ganzen Tag macht. Meistens gehe ich diesen Gesprächen aus dem Weg, indem ich mich als Verlagsangestellter ausgebe."

SZ: "Warum machen Sie das?"

Genazino: "Um mir das Befremden der Menschen zu ersparen. Neulich war ich zu einem Gala-Essen eingeladen. Das Literaturhaus in Frankfurt feierte sein 20-jähriges Bestehen. Ich saß mit sechs Industriellen und ihren Frauen am Tisch. Die konnten es nicht fassen, dass da einer sitzt, der mit dem Schreiben Geld verdient, dabei fand das Essen wie gesagt in einem Literaturhaus statt."

Zum Schluß noch eine einfache Wahrheit über unsere Gesellschaft.

SZ: "Der Außenseiter hat einen Vorteil: Er muss sich nicht nach den Normen der Gesellschaft richten. Er kann ganz er selbst sein."

Genazino: "Stimmt. Ich glaube nicht, dass man heute noch das Gefühl haben kann, ein Individuum zu sein, ohne gleichzeitig ein Außenseiter zu sein. Es gibt allerdings eine Voraussetzung: Man muss ein erfolgreicher Außenseiter sein. Die Rechnung muss aufgehen. Tut sie es nicht, ist man kein Individuum, sondern ein Verlierer."

 

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Adorján Kovács

Deutsche Befindlichkeiten. Eine Umkreisung

Artikel und Essays.

Essen: Die Blaue Eule, 1. Auflage 23.02.2012, Paperback, 318 S., Maße: 21,0 x 14,8 cm, ISBN: 978-3-89924-337-6, Preis: € 36,00.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Oz74

Gutes Interview. Danke für den Hinweis!

Gravatar: Peter Müller

"Ich saß mit sechs Industriellen und ihren Frauen am Tisch. Die konnten es nicht fassen, dass da einer sitzt, der mit dem Schreiben Geld verdient, dabei fand das Essen wie gesagt in einem Literaturhaus statt."

Ein Schriftsteller ist auch ein Industrieller. Er ist eine Text-Fabrik, die den ganzen Tag lang Texte fabriziert. So einfach ist das.

Übrigens, was machen denn die Gattinnen jener Industriellen den ganzen Tag lang? Wohl kaum mehr als sich zum Designerladen chauffieren zu lassen und des Gatten Kreditkarte zu strapazieren. Vielleicht noch ein bißchen Pseudo-Wohltätigkeitsarbeit nebenbei. Den Pudel ausführen. Modemagazine lesen. Mehr aber auch nicht.

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