Das Ende des Sakralen?

Der folgende Artikel zeigt, wie ein globalisiertes ökonomisches Denken auch eine sich als heilig definierende Kirche infiltrieren kann. Er kann darum auch für Ungläubige, Atheisten, Agnostiker und diejenigen, denen Religion ohnehin gleichgültig ist, von Interesse sein, weil er die Frage aufwirft, ob eine gewisse als Modernisierung aufgefasste Rationalisierung nicht doch kritisch zu bewerten ist.

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Die Neue Institutionenökonomik (Ronald Coase, Douglas North) hat es vermocht, "die Ökonomie als diejenige gesellschaftswissenschaftliche Disziplin" erscheinen zu lassen, "die alles erklären kann. [...] Jedes Mal geht es dabei um Investitionen, die mehr oder weniger Nutzen für die Akteure abwerfen. [...] Alles Denken über das menschliche Handeln und die Gesellschaft" wird "den eigenen Prinzipien" unterworfen. Ein Ausfluss der Neuen Institutionenökonomik ist die Prinzipal-Agent-Theorie (Kenneth Arrow, Oliver Williamson, Michael Jensen, William Meckling). "Alle sozialen Beziehungen" [lassen sich] "als Vertragsbeziehungen begreifen." Kurz gesagt, führt die Unsicherheit des Auftraggebers (Prinzipals) über die Vertragserfüllung des Agenten dazu, dass er Kontrollen einführt. "Eine häufig angewandte Form der Kontrolle sind Zielvereinbarungen und Kennzahlen, anhand derer Menge und Qualität von Endprodukten bestimmt werden."

 

Das Problem ist nun, daß bestimmte Bereiche sozialer Wirklichkeit bei dieser Sicht ausgeklammert werden, denn nicht die gesamte gesellschaftliche Realität kann damit erklärt werden - auch wenn dies immer wieder behauptet wird. "Wenn die soziale Realität [...] nur noch in den Kategorien von Verträgen und Prinzipal-Agenten-Beziehungen gesehen wird, dann werden sich die entsprechenden Akteure auch wie Vertragspartner bzw. Prinzipale oder Agenten verhalten und alles vergessen, was vorher ihr Handeln, ihre Beziehungen und ihre soziale Praxis ausgezeichnet hat." An die Stelle von Handeln nach Maßgabe von professionellen Ethiken "treten Kontraktmanagement mit Zielvereinbarungen, Outputorientierung statt Regeltreue bzw. Berufsethik, Controlling, Kosten- und Leistungsrechnung, Berichtswesen, Budgetierung, Kundenservice, prozessorientierte Organisation, Qualitätsmanagement und Benchmarking in die Konkurrenz mit verschiedenen Leistungsanbietern." (Alle Zitate aus Richard Münch, Globale Eliten, lokale Autoritäten. Frankfurt: Suhrkamp, 2009.)

 

Selbst die Katholische Kirche unterwirft sich den Zumutungen des Qualitätsmanagements. Mir liegt ein Faltblatt vor, das ich weiter unten komplett wiedergebe. Es zeigt, daß das moderne ökonomische Denken leider auch diese ehrwürdige Institution erfasst hat - zumindest im Bistum Limburg. Das Faltblatt ist zwar fünf Jahre alt, aber für einen Wandel im Denken gibt es im Raum des deutschen Katholizismus trotz des Papstbesuchs keinerlei Anzeichen.

 

Es werden Qualitätsstandards für die Krankenhausseelsorge festgelegt. Wie immer bei Qualitätshandbüchern o. ä. beginnt der Text mit der "Philosophie" des Unternehmens, als das Kirche ja aus Sicht der Institutionenökonomik erscheinen muss. Immerhin wird von der "Wirklichkeit und Gegenwart Gottes" geredet, von der die katholische Krankenhausseelsorge geleitet sei. Man hätte Schlimmeres befürchten können. Bereits hier wird jedoch im Sinne politischer Korrektheit relativiert: "die kulturelle, religiöse und konfessionelle Prägung der Menschen" wird geschätzt, ohne daß irgendein katholisches Spezifikum angeführt wird.

 

Anschließend werden die Qualitätsziele definiert. Eine Andeutung irgendeiner "Spiritualität", was ja wenig genug wäre, sucht man hier vergebens. Unter den Aufgaben, die die Seelsorge hat, finden sich verschämt auch Gottesdienste und Sakramente. Natürlich ist es wichtig, zusätzlich ganz praktische Anleitungen zu geben, aber am ganzen Duktus des Textes sieht man die geistige Unsicherheit, die die Katholische Kirche in Deutschland prägt: "Transparentmachen der eigenen Tätigkeit" hieß früher innere Mission. Und überall die Floskeln der Kooperation: Vernetzung, Diskurs, Kontakt, Angebot, Mitwirken. Ja keine kantige eigene Linie.

 

Und zuletzt die "Kompetenzen", zu denen die sakramentale Weihe des Krankenhauspfarrers zusammengeschrumpft ist. Das Unwort "Supervision" läßt zusammenzucken. Die sakrale Aura ist dem Habitus des Fortzubildenden gewichen. Auch die personenbezogenen Kompetenzen gehen über allgemeine psychologische Kenntnisse nicht hinaus; von Religion und Glaube ist kaum die Rede. Das Wort "biblisch" taucht hier erstmals auf. Die Worte und Bilder der Bibel erschließen nannte man ehedem Predigt oder Schriftauslegung - alles vorbei? Erstaunlich, daß "Liturgie" nicht extra übersetzt wird: Wer kennt das Wort noch? Zum Schluß werden einige Anforderungen genannt, ohne die ohnehin nichts ginge. Angemessen und abgrenzbar soll der Arbeitsumfang sein: der zum Priester Berufene als normaler Gehaltsempfänger. Das passt zum Niedergang des Krankenhausarztes, der (wenn er nicht gerade an einer Universitätsklinik der Selbstausbeutung frönt) auf einem 8-Stunden-Tag besteht und sich damit dem Verwaltungsangestellten gleichstellt. Das Ganze schließt mit der Verfassung entnommenen Rechtsgrundlagen, damit alles schön konform geht.

 

Natürlich kann der Text auch so interpretiert werden, daß die Kirche sich in einer feindlichen Umwelt alle Möglichkeiten offenhalten, sich nicht aufdrängen, aber durch den Anspruch auf einen Gottesdienstraum wenigstens Präsenz wahren will. Doch will man lieber nicht wissen, was unter den "Maßnahmen zur Qualitätssicherung" zu verstehen ist. In der Regel sind das nämlich Befragungen des "Kunden", zu dem in diesem pervertierten Denken der Patient mutiert ist. Hat der Seelsorger eine gute Note verdient? War die Beichte prozessorientiert genug oder ist die Lossprechung von den Sünden doch zu früh erfolgt? Hat die Spendung der Heiligen Kommunion nachweisbar zur Heilung beigetragen? Besonders gespannt wäre ich auf die Befragung der Verstorbenen, ob sie die Krankensalbung (früher, als man noch wußte, daß es auch schon mal ans Sterben gehen kann, treffend Letzte Ölung genannt) als zielführend empfunden haben.

 

Der Text des Faltblatts:

 

Katholische Krankenhausseelsorge im Bistum Limburg

Qualitätsstandards

Ziele – Aufgaben – Kompetenzen – Voraussetzungen

Bistum Limburg

 

Die katholische Krankenhausseelsorge

ist geleitet vom Glauben an die Wirklichkeit und Gegenwart Gottes, den sie als liebevoll und nah bezeugt, den sie aber auch als verborgen und fremd annimmt und mitträgt. Sie ist ein Angebot der Kirche für alle Patientinnen/Patienten, ihre Angehörigen und das Personal.

 

Sie schätzt die kulturelle, religiöse und konfessionelle Prägung der Menschen in ihrem Eigenwert, sie achtet die je eigene Lebensdeutung und unterstützt die persönliche Selbstbestimmung.

 

Sie sucht mit den Menschen im Krankenhaus nach Quellen der Hoffnung und der Annahme von Grenzen und Leid.

 

1. Ziele

Die katholische Krankenhausseelsorge

 

·        unterstützt Krankheits- und Krisenbewältigung,

·        will Heilung positiv beeinflussen,

·        tritt mit dafür ein, dass Patientinnen/Patienten in Würde sterben können,

·        achtet die berufliche und persönliche Kompetenz des Krankenhauspersonals,

·        arbeitet ökumenisch,

·        ist auch außerhalb der Dienstzeit erreichbar,

·        bringt sich in die Öffentlichkeitsarbeit des Krankenhauses ein.

 

2. Aufgaben

Katholische Krankenhausseelsorger /innen

 

·        führen seelsorgliche Gespräche mit Patientinnen und Patienten, Angehörigen und Mitbetroffenen vom Kontaktbesuch bis zur intensiven Begleitung,

·        begleiten Sterbende und Trauernde,

·        intervenieren in Krisensituationen,

·        leiten Gottesdienste, Gebete, Segensfeiern und Meditationen,

·        feiern Sakramente.

 

Zum Spektrum ihrer Aufgaben gehört auch:

 

·        Kooperation mit dem ärztlich-pflegerisch-therapeutischen Personal und den anderen Berufsgruppen im Krankenhaus,

·        ökumenische Kooperation und regelmäßige Dienstgespräche,

·        Anbieten von Gesprächskreisen,

·        Rufbereitschaft übernehmen,

·        Mitwirken beim Diskurs ethischer Fragestellungen z. B. im Ethik-Komitee,

·        Kontakt zu Krankenhausleitung und Verwaltung,

·        Ansprechpartner/in für das Krankenhauspersonal sein und Anbieten einer seelsorglichen Begleitung,

·        Mitwirken bei Aus-, Fort- und Weiterbildung des Krankenhauspersonals,

·        Mitwirken in der Ausbildung von Seelsorgern und Seelsorgerinnen,

·        Gewinnung, Schulung und Begleitung ehrenamtlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,

·        Kooperation und Vernetzung mit den umliegenden Pfarrgemeinden,

·        Transparentmachen der eigenen Tätigkeit und Öffentlichkeitsarbeit,

·        Mitarbeit bei Bildungsveranstaltungen.

 

3. Kompetenzen und Voraussetzungen

A.    Fachliche Voraussetzungen

 

·        Ausbildung und Berufserfahrung in Theologie und Seelsorge,

·        Zusatzausbildung in klinische Seelsorge,

·        Qualifizierte Einführung, Supervision und regelmäßige Fortbildung,

·        Grundkenntnis von Krankheitsbildern, Krankheitsverläufen und ihrer Behandlung bezogen auf den Einsatzbereich,

·        Spezialkenntnisse für Sonderbereiche z. B. Psychiatrie,

·        Grundkenntnisse in aktuellen medizin-ethischen Fragestellungen,

·        Mitgliedschaft in der diözesanen Arbeitsgemeinschaft, die in Verbindung mit der Konferenz der Katholischen Krankenhausseelsorge in Deutschland steht.

 

B.    Personbezogene Kompetenzen

 

Kontakt und Kooperationsfähigkeit

 

·        Sich einfühlen und zuhören können; authentisch und kommunikativ sein,

·        Seelsorge als Angebot verstehen; mit Ablehnung umgehen können,

·        Praxis kollegial reflektieren.

 

Beratung und Begleitung

 

·        Die Dynamik eines Beziehungsgeschehens kennen,

·        Nähe und Distanz ausbalancieren,

·        Begleiten bei Lebensdeutung, Sinn- und Hoffnungssuche,

·        Sich tröstend und ermutigend zuwenden und begleiten,

·        Biblische Worte und Bilder erschließen und sensibel in die aktuelle Lebenssituation bringen.

 

Liturgie und Spiritualität

 

·        Eine eigene lebensförderliche Spiritualität entwickeln und pflegen,

·        Mit Bildsprache und Zeichenhandlungen sensibel umgehen,

·        Auf die seelsorgliche Kompetenz anderer Menschen vertrauen und sie zur Begleitung ermutigen,

·        Andere Konfessionen und Weltanschauungen in ihrem Wert schätzen,

·        Liturgie, Rituale und Segen personen- und kontextbezogen gestalten,

·        Mit der eigenen Sterblichkeit und Begrenztheit bewusst umgehen.

 

C.    Äußere Rahmenbedingungen

 

Voraussetzungen:

 

·        Kommunikations- und Arbeitsmittel, finanzielle Ausstattung,

·        Angemessener und abgrenzbarer Arbeitsumfang,

·        Beauftragung durch den Bischof,

·        Diensterfahrung im Rahmen des Gottesdienstes.

 

Erwartungen an die Klinik:

 

·        Gottesdienstraum,

·        Dienst-/Gesprächszimmer,

·        Zugang zu den für die Seelsorge relevanten Informationen und Daten,

·        Integration in das Informationssystem des Krankenhauses und Teilnahme an Maßnahmen zur Qualitätssicherung.

 

Rechtliche Grundlage der Krankenhausseelsorge

 

GG Art. 140, in Verbindung mit Art. 141 der Weimarer Verfassung

Hess. Krankenhausgesetz

 

Es folgt das Impressum.

 

 

So lautet der Text.

 

 

Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat und Sie weitere Artikel des Autors lesen wollen, eingebettet in eine facettenreiche Behandlung deutscher Denkmuster in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur, dann lesen Sie bitte

Adorján Kovács

Deutsche Befindlichkeiten. Eine Umkreisung

Artikel und Essays.

Essen: Die Blaue Eule, 1. Auflage 23.02.2012, Paperback, 318 S., Maße: 21,0 x 14,8 cm, ISBN: 978-3-89924-337-6, Preis: € 36,00.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: HJM

Sehr geehrter Herr Prof. Adorján F. Kovács,

über das Immermehr i. S. des dem Zeitgeist nachlaufen bei der katholischen Kirche in Deutschland, wundere ich mich nicht.
Die Käßmannisierung der deutschen katholischen Kirche geht – eben gerade bei denjenigen, die in der deutschen katholischen Kirche verantwortliche, leitende und maßgebliche Stellen besetzen – doch zügig voran.
Hierüber braucht niemand zu erstaunen. Ein Blick in das sog. „memorandum-freiheit“ vom Beginn d. J. genügt. Die Leute, welche teilweise seit Jahrzehnten den Nachwuchs ausbilden, lenken und leiten sollen, sind die Initiatoren jenes „memorandums“ …!
Ich denke, dass sich deshalb Fragen zum Sakralen, Fragen zum Spirituellen, Fragen zu der katholischen Tradition usf. doch erledigen! Oder? Ein Text wie z. B. „Rerum Novarum“ wird für solche Leute und deren Nachwuchs in einem sehr seltenen und extrem schwierigen asiatischen Dialekt verfasst sein!

Gravatar: Frank

Dank an Prof. Kovács, daß er die notwendige Sensibilität bei sich erhalten hat und uns auf die Dinge hinweist, die auch uns auffallen sollten. Regen wir uns über Faltblätter solcher Art und ihren dahinter stehenden Geist noch auf?
Wir wollten es wieder tun und damit zeigen, daß zumindest ein Rest der katholischen Kirche durchaus noch vital ist.

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