Wenn ein Schoß betet...

Charlottes Roches neues Buch zeigt die Verspätung und die Provinzialität der deutschen Literatur.

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Der Hype um das neue Buch von Charlotte Roche mit dem durchaus poetischen Titel "Schoßgebete" ist ebenso unverständlich wie jener um ihr erstes Werk, das kalauernd "Feuchtgebiete" hieß. Unverständlich nicht etwa deshalb, weil die Thematisierung des Unappetitlichen oder Pornographischen überraschender Weise einen sensationellen Aspekt offenbart hätte, den sie eigentlich nicht mehr haben dürfte; eher wundert sich der Leser über den verzweifelten Ernst der Medien, mit dem wesentlich uninteressante persönliche Details zu einer gesellschaftlichen Relevanz aufgeblasen werden. Aber gut - das Buch verkauft sich bestens, ob wegen des Hype oder aus anderen Gründen, dies sei dahingestellt, und könnte deshalb etwas aussagen über unsere Gesellschaft. Selbst wenn man konzediert, dass individuelle Neurosen dann relevant werden, wenn sie massenhaft auftreten und so einen interessanten psychologischen oder medizinischen Aspekt bekommen, darf gefragt werden, ob diese flotte Bearbeitung des Themas im kaum verhüllten Stil einer Ratgeberliteratur nicht aus einem anderen Grund so frenetisch besprochen wird.

Es handelt sich um ein weiteres Beispiel der Verspätung Deutschlands. Bleiben wir bei der Pornographie, so haben Charles Bukowski und Philip Roth schon vor langen Jahren einschlägige Kostproben geliefert, die durchaus Anspruch auf hohe Literatur erheben konnten. Es sei hier gar nicht auf die vielen anderen Beispiele aus dem Bordell- und Prostituiertenmilieu eingegangen, die schon vor Jahrhunderten in die Literatur Eingang gefunden haben, nein, es ist ja gerade die Beschreibung der Sexualität des "Normalbürgers", die pornographisch gehalten ist - alles schon da gewesen. Ein besonders kunstvolles Beispiel war Harold Brodkeys Story "Unschuld", in der Sex und die Gefühle dabei quasi unter dem Mikroskop und in Zeitlupe beschrieben wurden. Aber vielleicht ist es ja "der weibliche Blick", der bei Roche das Besondere ausmachen soll.

Doch auch hier kommt sie zu spät. Nein, natürlich darf nicht Josefine Mutzenbacher genannt werden, die - weil Wiener Hure - möglicherweise "zu professionell" war. Aber wer Kathy Ackers schönen kleinen Roman "Kathy auf Haiti" gelesen hat, fragt sich, was um alles in der Welt Frau Roche dem noch hinzuzufügen hat, von den Büchern französischer Autorinnen aus den letzten zwei Jahrzehnten ganz zu schweigen. Die Antwort lautet: Sie hat dem nichts hinzuzufügen. Es zeigt sich damit in gewisser Weise die Provinzialität deutscher Literatur und ihres Publikums heute. Der Anschluß an die internationale Entwicklung ist verloren, die Presse, mit wenig zufrieden, freut sich schon, wenn sie folgendermaßen urteilen kann: Immerhin, für Deutschland ist es ja noch neu... Auch ein Publikum, das offenbar in Unkenntnis der Weltliteratur ziemlich trübe Aufgüsse für originell hält und dafür Geld ausgibt, stellt sich kein gutes Zeugnis aus. Diese traurige Bilanz gilt auch für das andere Thema von Frau Roche, dem in den Staaten schon der interessante Beruf des "vaginal hygienist" vor langer Zeit den Boden bereitet hat. Wir sind halt kulturell doch eine Kolonie der Vereinigten Staaten geworden. Was es bedeutet, dass derlei Probleme und Scheinprobleme in unserer übersexualisierten Gesellschaft so breit diskutiert werden, darüber sei hier kein Wort verloren.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Adorján F. Kovács

@Rudi Gems
Ja, das Buch ist unter dem Titel "Bitter Moon" beim Aufbau-Verlag auf Deutsch erschienen und bei Amazon wohl noch erhältlich. Der englische Titel wurde gewählt, weil Polanski den Roman verfilmt hat und sein Film unter diesem Titel in die deutschen Kinos kam.

Gravatar: Freidenker

Man kann es auch positiv sehen. Solch Literatur spiegelt vielleicht den Bildungsstand der Leser wieder, ist letztendlich aber auch ein Produkt der Aufklärung. Descartes, Nietzsche, Kant, Schopenhauer, Voltaire, Mises, Freud, Oswald Kolle, Charlotte Roche! Eine Entwicklung, die wir anderen "Kulturen" voraus haben, die auch im 21. Jahrhundert immer noch EIN EINZIGES Buch lesen!

Gravatar: Susanne

Vom Volk der Dichter und Denker zur postmodernen Kloake degeneriert

Gravatar: Karin Weber

Alte Bücher haben immer etwas interessantes, weil eben "altes" an sich. Es gibt sehr wertvolle alte Bücher. Wenn wir heute in Museen vor den Werken aus vorherigen Jahrhunderten stehen, dann ist damit eine gewisse Ehrfurcht auch vor der handwerklichen Kunst unserer Vorfahren verbunden.

Was mögen unsere Nachfahren denken, wenn sie dieses Buch lesen? Könnte man sich vorstellen, soetwas einmal in einem Museum auszustellen? Wird soetwas jemals Weltkulturerbe?

Sicher nicht!

Gravatar: Yussuf K.

Mir reichten aus dem ersten Buch einige Auszüge und ich nehme den Rat von Herrn Gems liebend gerne an und bleibe lieber bei schön-geistiger Literatur.

Heutzutage darf eben jeder Dreck medial verbreitet werden, der nur halbwegs irgendwie Geld in die Kasse spült. Das da Wert- und Moralvorstellungen auf der Strecke bleiben müssen, verwundert nicht mehr wirklich. Ich bin weder prüde, noch habe ich krude Ansichten.

Gravatar: Rudi Gems

Frau Roche, möchte ein Zeichen setzen. Sie möchte zeigen, wie es in unserer Welt noch möglich ist, ein Paar zu werden, das lange zusammen bleibt.

Die Fragen, die sie indirekt stellt, sind durchaus brauchbar. Die Antworten die sie gibt, machen nachdenklich. Ob es einer Frau, wirklich so leicht fallen kann, bestimmte Dinge mitzumachen, oder wenigstens zu dulden, fällt schwer zu beurteilen. Ich bin eher skeptisch. Ob Frau Roche wirklich schonmal in einem Bordell als Gast war? Genauso ein großes Fragezeichen. In beiden Büchern, schreibt sie von Bordelbesuchen. Für mich, bleiben da viele Fragen. Es liest sich eher, wie ein Wunschtraum.

Frau Roche, packt viele Fragen an, und geht spielerisch mit ihnen um. Das scheint wohl von ihrem Beruf zu kommen.

Ich bin ihr dankbar, das sie auf diese Art, Dinge als Frau anspricht, die ein Mann niemals hätte schreiben dürfen. Für jeden, der sich mal näher über Feuchtgebiete informieren wollte, oder im 2. Buch über sexuelle Praktiken, mit denen man einen Mann bei der Stange halten kann, kann das Buch eine Bereicherung sein. Leute, die lieber moralisieren, oder auf der Suche nach literarischen Perlen sind, sollten sich vielleicht anderen Werken zuwenden? Und diejenigen, die erotische Literatur suchen, um sich anzuregen, sollten sich vielleicht lieber im Internet, auf bestimmten Seiten umsehen.

Grüße, Rudi Gems

Gravatar: Crono

Sehr teffend. Köszönöm sépen.

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