Schönberg ist tot - Schönberg wird nie sterben

Zum 60. Todestag des Komponisten Arnold Schönberg

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Heute vor 60 Jahren, am 13. Juli 1951 ist Arnold Schönberg, einer der bedeutendsten Komponisten aller Zeiten, in Los Angeles gestorben. In einem wenig pietätvollen Vortrag bei den Darmstädter Ferienkursen noch im Todesjahr verkündete Pierre Boulez polemisch, ”Schönberg ist tot” und meinte damit den Abschied von jeder Orientierung an der deutsch-österreichischen Tradition, der Schönberg sich verpflichtet fühlte. Boulez kritisierte vor allem, dass Schönberg seine revolutionäre Entdeckung, die Methode der «Komposition mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen», immer noch in den Dienst einer expressiven Musik stellte, was nach Boulez´ Meinung (vereinfacht gesagt) zu einem Widerspruch zwischen Form und Inhalt führte. Schönberg habe also vor dem letzten, jedoch konsequenten Schritt zurückgeschreckt, sei also nicht nur tot, sondern erledigt. Schönberg ein Kompromissler, ja ein Feigling?

Lässt man einmal die Zeitumstände dieses Vortrags beiseite, der ja (gerade in Deutschland und Österreich, die soeben die Nazizeit hinter sich hatten) in einer extrem hitzigen Atmosphäre entstand, die durch eine unbarmherzige Ablehnung, ja Bekämpfung alles Neuen gekennzeichnet war, so darf man doch biografische Besonderheiten in Schönbergs  Leben nicht vergessen, die Boulez und seine Mitstreiter, die die Freiheit und den Frieden geniessen durften, geflissentlich übersahen. Der 1874 geborene Wiener Jude Schönberg musste mit 59 Jahren in die USA emigrieren, in eine ihm durchaus fremde Kultur, wodurch er auch seinen professionellen Hintergrund verlor. Das kann ohne weiteres erklären, dass manche Kompositionen Schönbergs aus den 40er Jahren nicht mehr die Radikalität seiner Meisterwerke der 20er Jahre aufweisen. Ähnliches kann man auch bei Béla Bartók beobachten, der 1940, ebenfalls 59-jährig, in die USA emigrierte und dort noch weniger heimisch wurde als Schönberg. Die Emigration kann nicht spurlos an diesen Musikern, die ja auch aufgeführt werden wollten, vorübergegangen sein; von billigen Kompromissen kann aber bei beiden und bei Schönberg erst recht keine Rede sein.

In einem am 31. März 1931 ausgestrahlten Vortrag auf Radio Frankfurt beklagte Schönberg, dass der musikalische Entdecker weniger angesehen sei als z. B. ein Amundsen. Tatsächlich besteht bis heute ein erheblicher Vorbehalt gegenüber der Behauptung, in der Kunst, speziell der Musik, könne es so etwas wie „Fortschritt“ geben. Während in der Malerei die Entdeckung der Perspektive ohne weiteres als „Fortschritt“ bezeichnet, der innere Monolog in der Literatur ebenso als eine echte Neuerung gesehen werden darf, wird dies für die Musik erbittert bestritten. Das führt zu erheblichen Verzögerungen bei der Rezeption solcher Neuerungen (hier sei nur daran erinnert, dass die 1950 in New York unter dem Titel „Style and Idea“ erschienene Sammlung von Schönbergs Schriften, darunter auch den wichtigsten zur Zwölftontechnik, auf Deutsch erst im Jahre 1976 herausgebracht wurde). Absurder Grund für diese Fortschrittsskepsis ist die falsche Behauptung, jedes ältere Werk verlöre damit an Bedeutung, da es ja per definitionem weniger fortschrittlich sei. Selbstverständlich behält aber jedes ältere Werk seine Qualität, weil es immer aus seiner Zeit heraus verstanden werden muss. Auch jedem Laien leuchtet es unmittelbar ein, dass eine Mahlersche Instrumentation gegenüber einer Renaissance-Motette einen „Fortschritt“ bedeutet, nämlich im Einsatz der vielen Instrumente und ihrer Beziehung untereinander. Selbstverständlich heisst das nicht, dass eine Mahler-Symphonie „besser“ ist als eine Motette irgendeines bedeutenden Renaissance-Komponisten. Die Fragestellungen sind einfach andere.

Karlheinz Stockhausen hat in diesem Zusammenhang einen interessanten Vergleich mit Geräten eines elektronischen Studios gezogen. Es gäbe dort viele Filter und viele Lautsprecher, aber nur einen oder zwei Generatoren. Generatoren seien eben diejenigen Komponisten eines Zeitalters, die etwas grundlegend Neues hervorbrächten. Filtern entsprächen solche Komponisten, die das, was die Neuerer entdeckt hätten, umformten, variierten, bestenfalls vertieften. Schliesslich seien mit Lautsprechern jene Komponisten zu vergleichen, die das Vorgefundene weitgehend unverändert nur in die Welt hinausposaunen würden. Es ist klar, dass alle diese Komponisten Musik machen können, die eine hohe Qualität hat und gefällt. Aber warum sollte man sich verbieten, nach etwas Ausschau zu halten, das wirklich neu ist? Warum sollte man einem musikalischen Entdecker weniger Bedeutung zugestehen als einem Entdecker in der bildenden Kunst oder der Literatur? Ihm nicht Respekt zollen für den Mut, den er unter seinen weniger wagenden Zeitgenossen besessen hat?

Bei Arnold Schönberg spürt man heute noch den Entdeckergeist, der ihn antrieb. Seine Entwicklung von der „Verklärten Nacht“ und den „Gurre-Liedern“ über das Zweite Streichquartett und den „Pierrot lunaire“ bis zu den „Variationen für Orchester“ und dem Violinkonzert war mehr als beeindruckend. Er war wirklich ein Generator. Er gehört zu den wenigen Musikern, ohne die die Entwicklung der Musik anders verlaufen wäre, weil sie etwas substantiell Neues in die Welt gebracht haben. Insofern lag Boulez damals völlig falsch, wenn er einen Abbruch der Tradition insinuierte. Selbstverständlich hat Schönberg mit der Reihen- bzw. seriellen Musik eine Tradition begründet, der unzählige Komponisten verpflichtet waren und sind. Seine Schüler Berg und Webern, die er überlebte, haben weit in die Zukunft gewirkt. Und über seine Förderer Strauss und Mahler reicht diese Tradition in das so reiche 19. Jahrhundert zurück.

Gab es ein serielles Jahrhundert in der Musik? Man hat Schönberg, vor allem im angelsächsischen Raum, folgendes Zitat zur Entdeckung der Zwölftontechnik vorgeworfen und immer wieder gegen ihn verwendet: „Heute habe ich etwas entdeckt, das die Überlegenheit der deutschen Musik für die nächsten hundert Jahre versichern wird.“ Im Jahre 2009 hat Pierre Boulez die von konservativen Musikjournalisten bei einem ihm gewidmeten Symposium in Frankfurt gestellte Frage nach dem seriellen Jahrhundert verneint; er meinte aber den "totalen" Serialismus, der nach wenigen Jahren steril geworden und gescheitert sei. Der Musikwissenschaftler Arnold Whittall sieht ganz im Gegenteil in seinem Buch "The Cambridge Introduction to Serialism" (2008) das gesamte 20. Jahrhundert im Zeichen der Reaktion auf die serielle Musik und damit durchaus im Banne Schönbergs. Doch natürlich gab es eine Entwicklung in unterschiedliche Richtungen, natürlich wird mittlerweile viel freier und spontaner komponiert und natürlich findet sich heute niemand, der meint, serielle Musik dürfe nicht opulent sein oder nicht schön klingen. Die Gegner Schönbergs sind immer noch in den Fünfziger Jahren stehengeblieben oder haben politische Gründe: Es geht aber um Musik. Es gibt im 21. Jahrhundert überhaupt keinen Grund mehr, Schönberg für tot zu erklären. Schönberg kann gar nicht sterben.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Adorján F. Kovács

@Horatio Nelson
Danke, dass Sie reingehört haben! Und als nächstes könnte ich Musik aus dem 11. bis 14. Jahrhundert empfehlen, die ebenfalls frei von Empfindungen war, jedenfalls für uns Menschen von heute frei ERSCHEINT von Empfindungen (wie die Menschen damals empfunden haben, wissen wir ja nicht). Es war "objektive" Musik zum Lobe Gottes, möglichst unabhängig von den kleinen, sehr unwichtigen Gefühlen der Menschen. Mein Eindruck ist eben der, dass nach einer Zeit des Gefühlsausbruchs (18./19./frühes 20. Jahrhundert) nun eine neue Zeit "neuer" Gefühle kommt, die wir noch gar nicht kennen. Da bin ich überhaupt nicht kulturpessimistisch. Vielleicht habe ich unrecht, aber das ist das Risiko.
Vielen Dank für Ihre Kommentare.

Gravatar: Horatio Nelson

@ Prof. Adorján F. Kovács:
Wenn man über subjektive Ansichten hinausgeht, begibt man sich in den Bereich des Wissenschaftlichen. Man entfernt sich also aus dem Bereich der natürlichen Empfindungen und betritt das Labor zur Durchführung einer experimentalen Studie. Bei "VIBRA ELUFA", meine ich erkannt zu haben, daß der Urheber, der "Schöpfer", wenn man ihn als solcher bezeichnen möchte, vielleicht doch den Versuch unternimmt, eine Beziehung zum musikalischen Gespür zu demonstrieren. Doch dies ist zwecklos. Denn, bei solchen "modernen" Kreationen fehlt es gänzlich an Gefühlsausdruck. Dem Zuhörer wird nichts sinnliches geboten. Inkohärent, abgehackt. Vergleiche zwischen diesem und z.B. "Pastorale" oder den Symphonien und Klavierkonzerten von Tchaikowsky sind schlicht und einfach unmöglich, sogar beleidigend für die Klassik. Allerdings, auch bei der Klassik kann analysiert werden. DAS schon. Nur ist auch dies, wie bei Stockhausen und Schönberg üblich, der Bereich des Studierens, nicht des Empfindens.
Grüße,
Horatio Nelson.

Gravatar: Cono

Herr Kovács,
herzlichen Dank.

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